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unbekannter Gast

Die neue Türkei#

Zwei Kulturen, bunt wie ein Regenbogen#


Mit freundlicher Genehmigung von DIE FURCHE

Von

Seher Çakir


Österreich und die Türkei verbindet mehr, als ihnen bewusst und so manchem auch lieb ist. Das beginnt beim reichen Bevölkerungsgemisch – und endet bei den Mehlspeisen#

Seher Çakir
Okzident: Türkisches Leben in Wien. Auf dem Wiener Naschmarkt halten die orientalische und die westliche Lebenswelt einen Plausch miteinander. Wer es etwas weniger touristisch dafür mehr türkisch will, setzt sich zum Brunnenmarkt in Wien XVI. ab.
© FURCHE / APA, Gindl

Sie sind stolz auf ihre Kaffeekultur. Sie sind gesellig und gemütlich. Sie lieben Süßspeisen und rühmen sich mit ihren originellen Erfindungen. In einem der Länder heißen die Süßspeisen Sacher, Topfenkolatschen oder Nussbeugerl im anderen Zuckerstück (Şekerpare), Frauennabel (Hanımgöbeği) oder einfach Baklava. Das Kipferl ist sowieso etwas, was beiden gehört. Sie lieben beide Fußball und sind heuer nicht bei der WM in Südafrika. Die Rede ist von der Türkei und von Österreich. Ihre Küche ist so bunt wie ein Regenbogen.

Österreich und Türkei haben mehr Gemeinsamkeiten, als ihnen bewusst und lieb ist. Beide Länder sind und waren immer schon ein bunter Haufen an Völkern und trotzdem, so scheint es, kommen sie nicht so zurecht damit. Mit der Vielfalt, die sie beheimaten. Die Slowenen haben ihre zweisprachigen Tafeln noch immer nicht. Die Kurden in der Türkei haben erst seit Kurzem die Freiheit, in der Öffentlichkeit Kurdisch zu sprechen. Von zweisprachigen Tafeln in der Türkei kann erst gar nicht gesprochen werden.

Aber es sind nicht nur die Slowenen und die Kurden, die für die jeweiligen Länder für Vielfalt sorgen. Während es in Österreich vorwiegend Mähren, Slowaken, Ungarn, Rumänen, Italiener, Tschechen, Juden, Bulgaren waren, sind es in der Türkei neben den Kurden, Armenier, Araber, Tscherkessen, Lazen, Georgier, Albaner gewesen, die die Vielfalt garantiert haben. Verschiedene Volksgruppen, die die Lebensart und Weise, also die Kultur, gegenseitig beeinflusst haben und weiterhin beeinflussen werden. Heute haben beide Länder Zuzug aus noch entfernteren Gebieten.

Seher Çakir
Seher Çakir ist Schriftstellerin in Wien
© FURCHE

Österreich hat mittlerweile eine große türkische, deutsche, arabische, bosnische, kroatische, chinesische, indische, serbische Bevölkerung, und auch aus verschiedenen Ländern Afrikas um nur einige zu nennen. In der Türkei sind es wiederum Menschen aus Afrika, Deutschland (vor allem in Antalya), Polen, Russen, und Georgier, die für eine neue Buntheit sorgen. Während der Zuzug aus den genannten Ländern in die Türkei erst ganz frisch ist, ist die Zuzugswelle nach Österreich vor etwa 50 Jahren losgegangen.

Und mit ihnen kamen neue Lebensweisen und Lebensmittel. War es vor 30-40 Jahren schwer möglich Auberginen, Schafkäse, Baklava, Falafel oder auch eine Pitahaya zu finden, bekommt der/die Österreicher/-in genannte Speisen an fast jeder Ecke. Willkommene Vielfalt für den Gaumen. Unauffällig leise und nicht wahrnehmbar, weil sehr langsam und nicht von heute auf morgen, ist die Kultur im ständigen Wandel. Nicht nur durch Zuwanderung, sondern viel mehr durch die uns allen bekannte Globalisierung, die neuen Kommunikationsmittel Internet, Fernsehen und andere Medien wandelt sich die Kultur unauffällig. Daher behaupte ich, gibt es „DIE“ türkische oder österreichische Kultur nicht. Obwohl natürlich für beide Kulturen eine Kernkultur existiert mit ihren Tänzen, Gesängen und eben der Lebensweise.

Familie – Aile#

Wenn wir trotzdem eine grobe Verallgemeinerung machen wollen, können wir sagen, dass die türkische Kultur eher kollektiv ist, wohingegen in Österreich die Individualitätskultur herrscht.

Die Kollektivität ist am besten in der Großfamilie sichtbar. Auch wenn es in Großstädten in der Türkei mittlerweile andere Lebensformen gibt, grundsätzlich gilt: Die Familie ist für die in der Türkei lebenden Menschen enorm wichtig. Die Großfamilie mit all den Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen spielt eine große Rolle im Leben der Menschen. Es kommt nicht von ungefähr, dass auch für jeden Verwandtschaftsgrad eine eigene Bezeichnung gibt. So wird der Onkel väterlicherseits (Amca) anders bezeichnet als der Onkel mütterlicherseits (Dayı). Genauso ist es von den Großeltern bis zur Cousinen.

All diese Verwandten haben auch ein Mitspracherecht bei Entscheidungen. Von der Namensgebung bis zum Studium, bei wichtigen Entscheidungen werden alle Mitglieder mit einbezogen. Es ist durchaus möglich, dass ein Kind einen Namen von der Tante, Großmutter oder dem Onkel bekommt womit die Eltern des Kindes leben müssen, da der Onkel oder die Tante beleidigt wären, würden die Eltern den Namen nicht akzeptieren. Sie würden sich nicht respektiert fühlen. Denn Respekt älteren Menschen gegenüber lernt jedes Kind mit dem Laufen und dem Sprechen. Kinder gilt es zu lieben und Erwachsene zu respektieren, heißt eine türkische Schulweisheit: „Büyükelini saymak, küçüklerini sevmek.“ So ist es auch nicht denkbar, dass alte Menschen in ein Altersheim abgegeben werden, wenn sie nicht mehr alleine leben können. Kein alter Mensch in der Türkei möchte seinen Lebensabend in einem Altersheim verbringen.

So ziehen alte Menschen, falls sie alleine gelebt haben, zu ihren Kindern, wenn sie ihren Alltag nicht mehr meistern können. Keine Frage, auch in der Türkei gibt es Altersheime. Für Menschen, die entweder keine Kinder haben/ hatten oder deren Kinder sie nicht wollen. Auch das kommt vor.

Essen - Yemek#

Was sowohl der/die Österreicher/-in als auch der/die Türke/-in beim Essen gemeinsam haben, ist die Gemütlichkeit. Doch das Essenverhalten ist anders. Während die Hauptmahlzeit der Österreicher/-innen das Mittagessen ist, ist es für die in der Türkei lebenden Menschen das Frühstück und das Abendessen.

Auf das Mittagessen wird in der Türkei nicht so viel Wert gelegt. Die, die arbeiten gehen, nehmen eine Kleinigkeit, meistens ein Toast oder Simit (Sesamkringel, die heute auch in Österreich sehr leicht zu bekommen sind) zu sich. Die, die zu Hause sind, meistens die Frauen, warten mit dem Essen auf den Mann und die Kinder. Dann wird aufgetischt. Suppen, Salate, Gefülltes, Geschnetzeltes, Gegartes, Gegrilltes. Alles kommt auf den Tisch und jeder nimmt sich, was er gerade begehrt. Nach dem Essen wird dann Obst serviert. Eine Eigenart, die in Österreich nicht denkbar ist. Und dann kommt der obligatorische çay, der türkische schwarze Tee, oder der türkische Kaffee. Auch das Abendessen kann stundenlang dauern. Neben dem Essen wird auch viel geredet, was in Österreich eher nicht gern gesehen wird. Im Gegensatz zur Türkei wird in Österreich viel auf das gemeinsame Mittagessen gegeben. Nicht umsonst kündigt sich hier die nahende Mittagszeit ab zehn Uhr Vormittags mit dem Gruß "Mahlzeit" an.

Vor allem auf dem Land wird dann Punkt Mittag, wenn die Kirchenglocke 12.00 Uhr schlägt, aufgetischt. Auch wenn es unter der Woche nicht immer machbar ist, am Wochenende ist das gemeinsame Mittagessen mit der Familie für den/die Österreicher/-in heilig. Was für den /die Österreicher/- in das Mittagessen, ist für den/ die Türke/-in am Wochenende das Frühstück mit Böreks (mit Käse, Topfen, Spinat oder Kartoffeln gefüllter Blätterteig), Käsesorten, Tomaten, Gurken, Oliven, das bis in die Mittagsstunden hineingeht. Eins aber haben beide Völker gemeinsam. Sie lieben Döner. Es ist sogar so, dass es in Österreich statistisch betrachtet mehr Dönerbuden gibt als in der Türkei.

Gastfreundschaft – Misafir perverlik#

Meine Oma pflegte immer zu sagen: „Wenn ein Gast kommt, egal zur welcher Tages- oder Nachtzeit, musst du ihn willkommen heißen, ihn bewirten, wie wenn er ein König wäre, auch wenn er ein Landstreicher ist. Und wenn du gerade nichts zu Hause hast, musst du ihm ein Glas Wasser so servieren, als ob es Löwenmilch wäre.“ Daran muss ich immer denken, wenn es um die viel gerühmte türkische Gastfreundschaft geht. Und um die geht es zwangsläufig, wenn über die Türkei und die Menschen dort gesprochen wird.

Die Gastfreundschaft ist die erste Assoziation, die gemacht wird, wenn es um die Türkei geht. Es ist auch nicht ganz falsch. Denn es ist durchaus üblich, dass Fremde, die man gerade am Strand in einem Geschäft oder sonst wo kennengelernt hat, zu einem Besuch nach Hause eingeladen werden. Eine Ablehnung kann für den Einladenden beleidigend sein. Wenn in Österreich über die türkische Kultur in Europa gesprochen wird, sind die Assoziationen allerdings Zwangsehe, Ehrenmord oder Kopftuch tragende Frauen. So unterschiedlich sind die Wahrnehmungen. Doch auch in Österreich haben sich die Menschen aus der Türkei ihre Gastfreundschaft bewahrt. Denn ein Gast ist Gesandter Gottes, so heißt es.

Prekäre Situation der Christen im Kernland des Glaubens#

Die Ermordung eines katholischen Bischofs in der Türkei verdeutlicht die schwierige Situation der christlichen Kirchen: Sie ringen verzweifelt um ihren Status in Recht und Gesellschaft#


Mit freundlicher Genehmigung von DIE FURCHE

Von

Henning Klingen


Bischof Luigi Padovese war bis zu seiner Ermordung am 3. Juni 2010 Apostolischer Vikar von Anatolien und als Vorsitzender der Türkischen Bischofskonferenz einer der wichtigsten katholischen Repräsentanten in der Türkei.

Seher Çakir
Bischof Luigi Padovese
© FURCHE / kirchensite.de

Das Christentum ist bis heute gewissermaßen ein Fremdkörper in der türkischen Kultur geblieben. Außerdem haben wir als Kirche keinen Rechtsstatus, wir existieren de facto, aber nicht de jure.“ – Es ist Anfang Juni 2008. Brütende Hitze liegt über Iskenderun, einer Bezirksstadt im Südosten der Türkei. Wohl geschützt von dichtem Blätterwerk sitzen einige Journalisten im Innenhof eines kleinen Palais, ein Springbrunnen plätschert gegen die nachmittägliche Trägheit an. Niemand ahnt, dass der Gesprächspartner, der mit bestimmten Worten die Situation der Christen in der Türkei beschreibt, zwei Jahre später Opfer eines Mordes werden wird. Es ist Luigi Padovese, bis zu seinem Tod am 3. Juni Apostolischer Vikar von Anatolien und als Vorsitzender der Türkischen Bischofskonferenz einer der wichtigsten katholischen Repräsentanten in der Türkei.

Lebten auf dem Boden der heutigen Türkei noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts rund zwei Millionen Christen, so ist ihre Zahl heute auf rund 100.000 zusammengeschmolzen, die Zahl der Katholiken beträgt nur rund 30.000. Ein geregeltes Pfarrleben ist unter diesen Umständen kaum möglich. Schikanen bei Arbeitsbewilligungen für ausländische Geistliche, bei der Restitution von Gebäuden und bei Behördengängen sind weiterhin an der Tagesordnung. „Das Christentum wird hier wie ein Fremdkörper betrachtet“, so Padovese damals, „obwohl das Christentum hier doch tief verwurzelt ist.“ Noch ist das Motiv des Mordes an Bischof Padovese unklar. Doch er lenkt den Blick auf die prekäre Situation der Christen im Land - eine Situation, die differenziert zu betrachten ist, reicht das Spektrum „der Christen“ doch von zum Teil aggressiv-missionarisch auftretenden evangelischen Freikirchen über die um Integration bemühte katholische Kirche bis hin zum auf wenige Tausend Gläubige geschmolzenen Ökumenischen Patriarchat in Istanbul.

Seher Çakir
Bischofs Luigi Padovese. Am 3. Juni wurde Padovese von einem seiner Angestellten mit einem Messer angegriffen und ermordet. Über die Hintergründe der Tat gibt es noch keine Klarheit.
© FURCHE

Die Rolle des Harlekins unter den Christen in der Türkei spielen zweifellos die evangelischen Freikirchen. Verzeichnen sie auf der einen Seite durch ihre rege, zum Teil aggressive Missionstätigkeit derzeit ein Wachstum, so ist ihr mediales Image bestimmt von lautstarker Ablehnung in der Türkei. Bestens aus dem Ausland organisiert und finanziert, werben sie via Satellitenfernsehen oder auch Bibelverteilaktionen offen um Gläubige – koste es auch nicht selten die Leben der Missionare, wie etwa bei jenem grausamen Mord an drei Mitarbeitern eines christlichen Verlags 2007 in Malatya. Doch auch hier ist Nüchternheit angesagt: So wurden etwa in den Jahren zwischen 1997 und 2004 laut parlamentarischer Anfrage nur 288 Konversionen zum Christentum vermeldet. Bei einer Gesamtbevölkerung von rund 72 Millionen Einwohnern müsse man das oftmals heraufbeschworene „Gespenst der Christianisierung der Türkei als psychotisch bezeichnen“, so der deutsche Türkei-Experte und „Missio“-Menschenrechtsbeauftrage Otmar Oehring. Wohl nirgends wird indes das ungelöste Problem der Präsenz des Christentums in der Türkei sichtbarer als in Person des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I.

Schwache Position#

Wird er in der Weltöffentlichkeit als wichtigster Repräsentant der Orthodoxie und zugleich als herausragender Intellektueller und Mahner für Frieden, Gerechtigkeit betrachtet, so ist seine Position an seinem Amtssitz in Istanbul, dem Phanar, eine schwache. Zuletzt sagte er dem US-Sender CBS gar, man fühle sich als Christ in der Türkei „zweitklassig“, ja „gekreuzigt“. Seit dem „morgenländischen Schisma“ von 1054 zwischen den östlich-orthodoxen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche erfuhr das Patriarchat zunächst eine stetige Aufwertung und rückte an die erste Stelle unter den orthodoxen Kirchen – eine Position, die nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und den Aussiedelungen von rund zwei Millionen Griechen aus der Türkei eine starke Schwächung erfuhr – und von der sich das Patriarchat bis heute nicht erholt hat. Es ringt bis heute um eine gesicherte Rechtsstellung. Ein leichtes Wachstum verzeichnen die syrischen Christen, die in der Region von Tur Abdin ihr geistliches Zentrum haben. Sie sind lebendiges Mahnmal an jenen dunkelsten Punkt der christlich-muslimischen Geschichte in der Türkei: dem Völkermord an den armenischen Christen 1915 - 1917, dem rund 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fi elen. Bis heute zeitigt dieser Konflikt, der sich tief ins kollektive Gedächtnis sowohl der Türkei wie in der verfolgten christlichen Minderheit eingegraben hat, Nachbeben – etwa im Blick auf den Priesternachwuchs, der mangels Ausbildungsstätten für alle christlichen Kirchen ein Problem darstellt. Noch einmal der verstorbene Bischof Luigi Padovese: „Unser Priesternachwuchs stammt gänzlich aus dem europäischen Ausland - Italien, Frankreich, England, Deutschland. Zugleich sind dies die Länder, die in der Türkei als ehemalige Kolonialmächte wahrgenommen werden. Das Christentum wird immer noch als Religion der ehemaligen Kolonialmächte empfunden.“

Gläubige Brückenbauer mit Stimme (ein Film)#


Mit freundlicher Genehmigung von der Wiener Zeitung (17. Juni 2010)

Von

Otto Friedrich


Jedem Besucher von Istanbul bleibt der Klang in nachhaltiger Erinnerung; die türkische Mega city ist durch den vielstimmigen Gesangsruf geprägt: Fünf Mal am Tag ruft der Muezzin die Gläubigen zum Gebet. In der 13-Millionen-Metropole gibt es etwa 3000 Moscheen: Aus ihnen erklingen die frommen Töne, welche die faszinierende Brücke zwischen einer 1400-jährigen Glaubenstradition und dem Pulsieren der Großstadt bilden. Nicht nur die Silhouetten der Gebetshäuser bestimmten die Stadt, sondern ebendieser Sound.

Ein Besucher am Bosporus bekommt den Klang der Gottesbekenntnisse zu hören – Allahu akbar, Asch hadu an la ilaha illa llah ... (Gott ist groß; ich bezeuge, es gibt keinen Gott außer Gott...) – aber fast nie die Person zu Gesicht, die hinter der Stimme steckt: Der österreichische Filmemacher Sebastian Brameshuber setzt im Dokumentarfilm "Muezzin" den Gebets rufern ein beeindruckendes Film-Denkmal und weckt Interesse für diesen hierzulande trotz steigender Muslimenzahl kaum öffentlich präsenten Beruf. Dabei gehört der Ruf des Muezzins durchaus zum cineastischen Alltag: Um einen muslimischen oder orientalischen Schauplatz zu etablieren, wird der Gebetsruf im Film eingesetzt, schreibt Brames huber: „Man reduziert den Gebetsruf auf einen Soundeffekt und bedient sich eines mystischen Klangs ...“

Stiller Film über Rufer zum Gebet#

Seher Çakir
"Muezzin" - Der unnachahmliche Singsang des islamischen Gottesbekenntnisses hat auch ein "Gesicht"
© FURCHE

Indem der Dokumentarfilmer die Personen hinter den gläubigen Klängen hervorholt, will er den Mythos hinter deren "akustischen Omnipräsenz" dekonstruieren. Seinem stillen Film gelingt dies ganz und gar.

"Muezzin", der Film, „handelt“ von einem Gebetsrufwettbewerb, in dem landesweit die stimmlich besten Muezzins gekürt werden. Brameshuber porträtiert dabei Halit Aslan, den Rufer der historischen Fatih-Moschee, der sich fürs Istanbuler Finale des Wettbewerbs locker qualifi ziert. Doch dort trifft er auf den frommen Vorstadt-Imam Isa Aydin, der mit seiner hohen Stimme überraschend zum nationalen Finalteilnehmer wird. Das hätte sich auch Habil Öndes, der Meister des Singsangs dieser Muezzins und Ausbildner der Vorbeter nicht gedacht. Wie Muezzins leben – Menschen aus Fleisch und Blut, mit Familie und zwischen Tradition und moderner Welt oszillierend – all das zeigt dieser Film ohne viel Aufhebens, aber mit umso mehr Empathie. "Mir war wichtig, mit meinem Film auf keinen Fall die Vorstellung zu bestärken, dass es auf der einen Seite die moderne säkulare und auf der anderen die rückwärts gewandte muslimische Türkei gibt", beschreibt Brameshuber seine Intention: "Ich habe versucht, dieses Klischee ein bisschen zu unterwandern. Ich möchte vermitteln, dass auch die islamischen Türken moderne und säkulare Türken sind."

Man kann dem Dokumentarfilmer bescheinigen, dass seine Rechnung voll und ganz aufgeht.

Wiener Zeitung, 17. Juni 2010


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