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Die ganze Stadt ist Bühne#

Salzburg ist und bleibt, allen zeitweiligen Turbulenzen zum Trotz, das Mekka der internationalen Festspielszene. Ein Blick auf das Programm zum 90jährigen Jubiläum beweist es.#


Von DIE FURCHE (Donnerstag, 24. Juni 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

von

Walter Dobner


Salzburger Festspiele
Salzburger Festspiele
© FURCHE / Foto: APA / Gindl

Ein Genius loci – und schon ist der Funke für ein Festival übergesprungen. Nach solchen Kriterien erfindet man seit Jahren Festspiele. Selbstverständlich mit dem Anspruch des Einzigartigen, was immer man darunter verstehen mag.

Das Kulturleben leide an Festivalitis, konstatierten Kritiker in seltener Einmütigkeit schon vor Jahrzehnten. Geändert hat dieser Befund, wie man weiß, nichts. Allerorten fühlt man sich berufen, Festspiele auszurichten. So, hört man es allenthalben, lenke man die Aufmerksamkeit auf einen bis dahin kaum gekannten Ort, locke Fremde an.

Zusätzlich könne man mit Umwegrentabilität rechnen. Und bei den Premieren – ein weiteres unschätzbares Atout – biete sich Politikern die stets willkommene Gelegenheit, sich im Glanz von Stars zu sonnen. Freilich, so rasch wie manche Festivals aus dem Boden sprießen, so rasch sind sie wieder Vergangenheit. Streben nach kurzfristigem Erfolg und auf Nachhaltigkeit gerichtete Perspektive sind eben nicht immer kompatibel.

Selbst Mozart allein ist zu wenig#

Nicht der unmittelbar erzielbare, spektakuläre Erfolg, sondern grundsätzliche Absichten standen an der Wiege der heuer 90 Jahre bestehenden Salzburger Festspiele. Natürlich wollten ihre Gründer – der Dichter Hugo von Hofmannsthal, der Komponist Richard Strauss, der Regisseur und Theaterimpresario Max Reinhardt, der Bühnenbildner Alfred Roller und der Dirigent Franz Schalk – damit auch ein Podium für die Verwirklichung eigener Ziele. Er dacht aber haben sie die Festspiele als „Projekt gegen die Krise, die Sinnkrise, den Werteverlust, die Identitätskrise des einzelnen Menschen, aber auch ganzer Völker“, wie es der gegenwärtige Festspielintendant, Jürgen Flimm, auf den Punkt bringt.

Denn mit dem Genius allein, selbst wenn es sich um Wolfgang Amadeus Mozart handelt, so lehrten sie die davorliegenden Festspielversuche, wäre diesen Salzburger Festspielen wohl nur ein kurzes Leben beschieden gewesen. So verwundert nicht, dass nicht Musik, sondern ein Theaterereignis den Startschuss für die Salzburger Festspiele gab: jene von Max Reinhardt inszenierte Aufführung von Hofmannsthals "Jedermann" am 22. August 1920 vor dem Salzburger Dom. Bis heute ein zentraler Programmpunkt der Festspiele. Nirgendwo ist dieses Thema vom Sterben des reichen Mannes besser angesiedelt als vor dieser Kulisse.

"Wo Gott und Mensch zusammenstoßen, entsteht Tragödie", heißt das auch schon mit herber Kritik (siehe etwa FURCHE Nr. 20, S. 13; red) bedachte Motto der diesjährigen Festspiele. Entnommen ist es einem Essay von Michael Köhlmeier, der sich darin mit dem eigentlichen inhaltlichen Anspruch des heurigen Festivals, den Mythen, beschäftigt. Eine plakative, in dieser Form nur dann verständliche Ansage, wenn man bedenkt, dass es sich nicht um eine theologische Aussage handelt, sondern um die Beurteilung der Interaktion von Göttern und Menschen am Beispiel der Schicksale von Ariadne, Elektra, Orest, Dionysos. Sie dominieren auch das Programm dieses Festspielsommers: die im Auftrag der Festspiele komponierte, durch Texte von Nietzsche inspirierte Oper "Dionysos" des deutschen Erfolgskomponisten Wolfgang Rihm, Glucks "Orfeo ed Euridice", Strauss’ "Elektra", Sophokles’ "Ödipus auf Kolonos", Racines "Phädra" sowie, gleichermaßen als Mythos des ewig Weiblichen und als Beitrag zum Alban-Berg-Jahr, dessen unvollendet gebliebene Oper "Lulu".

Eine thematische wie entstehungsgeschichtlich mehrere Jahrhunderte umspannende Vielfalt, die sich zusätzlich in der Auswahl der Interpreten widerspiegelt. Denn die Rihm-Novität dirigiert Ingo Metzmacher in der Regie von Pierre Audi. Glucks "Orfeo" führt erstmals Riccardo Muti und den Regisseur Dieter Dorn zusammen. "Elektra" leitet der Musikdirektor der Zürcher Oper, Daniele Gatti, in der Regie von Nikolaus Lehnhoff. "Lulu", ursprünglich für Nikolaus Harnoncourt reserviert, wird Marc Albrecht dirigieren. Gespannt darf man auf die Inszenierung sein: Wird, wie zuletzt bei Verdis "Macbeth" in der Wiener Staatsoper, die Salzburger Festspieldebütantin Vera Nemirova wiederum mit einer eigenwilligen Sicht scharfe Kontroversen herausfordern? Racines "Phädra" wird Burgchef Matthias Hartmann mit Sunnyi Melles und Mitgliedern des Burgtheaters realisieren. Peter Stein steht am Regiepult für den von ihm ins Deutsche übertragenen Sophokles, Klaus Maria Brandauer führt die Riege der Schauspielerprominenz an.

Ofczarek & Minichmayr in "Jedermann"#

Ergänzt werden diese Produktionen durch Wiederaufnahmen von "Don Giovanni" und Gounods "Romeo et Juliette" (wo man in der weiblichen Titelpartie zwischen der Netrebko und Nino Machaidze wählen kann), eine konzertante "Norma" mit Edita Gruberova in der Titelpartie und Joyce DiDonato als Aldagisa, den mit Nicholas Ofczarek und Birgit Minichmayr als Jedermann und Buhlschaft attraktiv neu besetzen „Jedermann“, die Dramatisierung der Zweig-Novelle "Angst" (Regie: Jossi Wieler) sowie das wiederum zahlreiche neue Einblicke versprechende Young Directors Project mit Produktionen des Schweden Jakop Ahlbom, dem französischen Revolutionsstück "Notre terreur", Angela Richters Inszene von Fosses "Tod in Theben" und Claude Schmitz’ "Mary Mother of Frankenstein". Claudio Magris, einer der besten literarischen Kenner Mitteleuropas, nicht zuletzt der Kulturlandschaft der Donau, ist als Dichter zu Gast. Max Reinhardts Modellinszenierung von Shakespeares "Sommernachtstraum" wird im Park von Schloss Leopoldskron gezeigt.

Kontinent Wolfgang Rihm#

"Kontinent" heißt das Zauberwort, um das Musikchef Markus Hinterhäuser sein Programm zentriert. Diesmal ist es dem symphonischen Werk von Rihm, als Ergänzung zu seinem "Dionysos", gewidmet. Womit man u. a. sein Violinkonzert "Gesungene Zeit" in der Luxusbesetzung mit Anne-Sophie Mutter, den Wiener Philharmonikern und Riccardo Chailly, das Orchesterwerk "Ernster Gesang“, ebenfalls mit den "Wienern", unter Eschenbach, oder Streichquartette mit dem Arditti Quartet hören kann. Neben den traditionellen Orchestergastspielen kann man sich in einer achtteiligen Reihe in das Kammermusikwerk von Brahms vertiefen, die Chopin-Klavierkonzerte mit Pogorelich hören, Martha Argerich in zwei Kammerabenden erleben, Liederabende in so spannenden Besetzungen wie Goerne/ Eschenbach oder Villazón/Grimaud genießen, die Pianisten Kissin, Sokolov, Schiff, Pollini und Zimerman bei Schumann und Chopin miteinander vergleichen, im Rahmen des Young Singers Project Sängerstars von morgen entdecken, beim Young Conductors Award nach kommenden Pultstars Ausschau halten ...

Salzburger Festspiele
Salzburger Festspiele © FURCHE / Foto: SCM photo

Weil auch historisch Interessierte bei einem so besonderen Jubiläum wie 90 Jahre auf ihre Rechnung kommen sollen, kann man bereits ab 17. Juli (die Festspiele selbst eröffnen am 25. Juli mit "Jedermann" und einem "Philharmonischen" unter Barenboim am 26.) an mehreren Orten in Salzburg die Festspielausstellung "Das große Welttheater" besuchen.

Womit Realität wird, was sich die Festspielväter stets wünschten:

Im Sommer wird ganz Salzburg (Festspiel-) Bühne.


DIE FURCHE, Donnerstag, 24. Juni 2010


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