Österreich in 36 Kehren #
In ihrer Jugend Beschäftigungsprogramm, Politik- und Ideologie-Vehikel, im Alter ist sie zur Diva gereift. Liebeserklärung an eine 80-Jährige.#
Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von DIE FURCHE (Donnerstag, 30. Juli 2012)
Von
Wolfgang Machreich
Die Großglockner Hochalpenstraße ist wie ein guter Rotwein. Je älter, desto besser. Mein Großonkel war einer der „Glocknerbaraber“, die Fotos mit ihm und anderen braungebrannten, muskelbepackten Männern mit strengen Blicken und Schaufeln und Krampen in der Hand waren in der Kindheit neben den Soldatenfotos meine Lieblingsmotive in der mit alten Bildern gefüllten Schuhschachtel in der Truhe unter der Küchenbank. Seit 35 Jahren gehe ich jedes Jahr am 28. Juni mit anderen Pinzgauern und Gästen bei der Fußwallfahrt nach Heiligenblut über lange Strecken auf der Glocknerstraße; und als Bergsteiger und Skitourengeher erwarte ich oft sehnsüchtig die Tage rund um den 1. Mai, wenn „der Glockner“ wieder aufsperrt. Und mit dieser Beziehungsgeschichte im Rücken, oder sage ich passender am Buckel, wage ich das Urteil: Die Glocknerstraße ist heute schöner denn je zuvor in ihrer langen Geschichte.
Diese Liebeserklärung an 48 Kilometer und 36 Kehren Kopfsteinpflaster und Asphalt möchte ich anhand von drei Beispielen, einem politischen, einem wirtschaftlich- touristischen und einem klimatisch- botanischen begründen. In allen drei Bereichen sehe ich die Glocknerstraße beispielhaft für die Entwicklung Österreichs , versinnbildlicht diese Straße in guten wie negativen Entwicklungen den österreichischen Weg.
Politisches und ideologisches Statement #
Erstens die Politik: Die Eröffnung der Hochalpenstraße am 3. August 1935 war ein politisches und ideologisches Statement in schwieriger Zeit mit noch schwierigeren Zeiten vor Augen. Bundespräsident Wilhelm Miklas würdigte die Glocknerstraße als „Beweis unseres Selbstbehauptungswillens und unseres festen Entschlusses, Österreichs Freiheit und Unabhängigkeit auch in einem unruhigen Europa mit allen Mitteln in Not und Tod zu schützen und zu schirmen“. Bundeskanzler Kurt Schuschnigg stieß ins gleiche Horn: „Ich wiederhole, dass mir hierbei der politische Effekt momentan fast noch wichtiger erscheint, als die wirtschaftliche Seite. Was aber die letztere betrifft, muss zugegeben werden, dass die Salzburger sich bis jetzt, weder was die Festspiele, noch was die Glocknerstraße anlangt, geirrt haben.“
Damit durfte sich vor allem der Salzburger Landeshauptmann und geniale politische (Stur-)Kopf Franz Rehrl angesprochen fühlen, der den Bau gegen alle Widerstände aus dem „unverbesserlichen Wiener Sumpf“ durchgesetzt hat. Gegenüber den zur Eröffnungsfeier geladenen 150 in- und ausländischen Journalisten betonte Rehrl „das neue Österreich, unser Österreich, das Gott uns für immer und ewig erhalte“. So wie die vom Polit-Impressario Rehrl ermöglichten Festspiele sollte auch diese Straße eine Art „Verschweizerung“ Österreichs fördern, die Patrioten wie der Komponist Ernst Krenek erhofften: „Blickt hin gegen Westen, wo ein freies Volk auf freien Bergen wohnt, und lernt von ihm, wenn es auch spät ist, bald ist es allzu spät!“
All dieser Österreicherei zum Hohn wehte bereits eine Hakenkreuzfahne neben der Straße am Fuscher Törl – unweit der Gedenktafel an den im Vorjahr von Nationalsozialisten ermordeten Bundeskanzler Dollfuß entfernt. Zum einen ein Zugeständnis an Hitler-Deutschland, das dafür vier Tage lang die 1000-Mark-Sperre aufgehoben hatte; zum anderen ist das Hakenkreuz bei der Eröffnungsfeier „eine für den vaterlandtreuen wie für den nationalsozialistisch angehauchten Österreicher sehr erfreuliche Tatsache“, wie das christlich-soziale Parteiblatt Salzburger Chronik einen gewagten Vermittlungs- Spagat versuchte, der von Georg Rigele in seinem Buch „Die Großglockner- Hochalpenstraße – zur Geschichte eines österreichischen Monuments“ kritisiert wird: „Vom Herzen Europas zu reden, aber an Deutschland zu denken, war das Problem, welches selbst das patriotische Fest der Glocknerstraßen-Eröffnung nicht vollständig verdecken konnte.“
Vor zehn Jahren, zum 70er der Glocknerstraße, habe ich in der FURCHE moniert, dass ausgerechnet der damalige Kärntner Landeshauptmann, mit seinem bekanntlich zwiespältigen Zugang zu Österreich, für die Festansprache auf der Kaiser-Franz-Josef- Höhe eingeladen war. Im Kontext der politischen Stoßrichtung dieses Straßenbaus habe ich das als unpassend empfunden. Zum 80er fehlt hier jeglicher Stein des Anstoßes, und auch wenn der Aufsichtsrat der Straße nach politischen Gegebenheiten besetzt wird, so hat sich die Glocknerstraße doch längst von Politik und politischen Ideologien emanzipiert. Im Vordergrund steht heute die Nationalpark-Idee, in der die Glocknerstraße als gelungenes Beispiel für das Miteinander von Mensch, Technik und Natur steht. Das bringt mich zu meinem zweiten Thema der wirtschaftlich-touristischen Seite: Das schlagende Argument für die Umsetzung dieses Straßenbaus war der damit erhoffte beschäftigungspolitische Effekt im von Arbeitslosigkeit gequälten Österreich der 1930er-Jahre. Die zu propagandistischen Zwecken genannte Zahl von 3200 Arbeitern, und mehr lässt sich laut Rigele aber für keinen Zeitpunkt nachweisen: „Sie ist eine Übertreibung, die sich allerdings als historisches Faktum publizistisch festgesetzt hat.“ Nur in wenigen Wochen der über sechs Jahre verteilten 26-monatigen Bauzeit werden mehr als 2000 Arbeiter beschäftigt.
Keine Mär ist die seit der Eröffnung ständig wachsende Besucherzahl. Mit seiner Prognose von 120.000 Besuchern im Jahr wurde der Kärntner Straßenerbauer Franz Wallack als Träumer diskreditiert. Doch schon im ersten Jahr der Vollöffnung 1936 kamen über 140.000 Besucher. Das Spitzenjahr war 1962 mit 359.801 Fahrzeugen oder 1,3 Millionen Gäste. Heute fahren rund 900.000 Menschen pro Jahr über die Straße, 2010 wurde der 60-millionste Besucher begrüßt. Damit zählt die Hochalpenstraße zu den Top 3 Sehenswürdigkeiten in Österreich – und zu einem lukrativen Wirtschaftsunternehmen. Die Quantität geht aber nicht auf Kosten der Qualität, denn die Gewinne, so scheint es mir als Glockner-Feinspitz, werden lobenswerterweise auch dafür verwendet, die Straße noch mehr zum alpinen Schmuckkastl um- und zurückzubauen. Dass die Straße seit kurzem unter Denkmalschutz steht und die Aufnahme in die UNESCO-Weltkulturerbe-Liste anstrebt, ist da nur der logische nächste Schritt für „ein durchkomponiertes Bauwerk mit einer dem Stil der Zeit folgenden Gestaltung“ und „einer einzigartigen Synthese von Technik, Kunst und Natur“.
Landschaft nicht zerstören #
Damit bin ich beim dritten Argument für meinen Jubel über die Schönheit der Glocknerstraße, das sich den veränderten klimatisch- botanischen Gegebenheiten widmet, und mit dem ich mich zugegebenermaßen am schwersten tue. In Sagen wird der Großglockner als „schwarzer Berg“ aufgrund eines Kristalls in seinem Inneren bezeichnet. Mit jedem Jahr wird er dieser Zuschreibung auch äußerlich gerechter. In Hundstagen wie den heurigen erscheint die Ahnung, dass aus der Pasterze – dem Namen entsprechend – wieder einmal Hirten- und Weideland werden könnte, gar nicht so weit hergeholt. Mit einem Wort: Das Weiß der Gletscher wird weniger werden, die Blumenpracht in bislang unerreichbare Höhen vorstoßen. Auch schön, anders schön. Aber auch ein Aufruf gerade an Straßenbetreiber, die von der Schönheit neben ihrem Weg leben, sich als Avantgarde zu verstehen und kreativ über Möglichkeiten und Alternativen nachzudenken, die Straße zu genießen und das Klima zu schonen. Ganz in Fortsetzung von Star-Architekt Friedrich Achleitner, der von der Glocknerstraße einmal gesagt hat: „Sie ist ein Beweis, dass wirtschaftliche Interessen und technischer Verstand eine Landschaft nicht zerstören müssen.“