Es war doch alles ganz anders#
"New York liegt im Neandertal": Architekt Ernst W. Heine geht mit seiner Menschheitsgeschichte auf Konfrontationskurs zu tradiertem Schulbuchwissen.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 15. Jänner 2019
Von
Mathias Ziegler
1986 hat Ernst Wilhelm Heine die Geschichte des Menschen aus seiner Sicht als Architekt erzählt: Der Subtitel von "New York liegt im Neandertal" lautete damals: "Die abenteuerliche Geschichte des Menschen von der Höhle bis zum Hochhaus". 33 Jahre später hat Heine sein Werk adaptiert und dem 21. Jahrhundert angepasst: "Die abenteuerliche Geschichte des Menschen von der Höhle bis zum virtuellen Raum" geht nun also einen Schritt weiter - und liest sich immer noch genauso interessant wie in den 1980ern. Abenteuerlich sind vor allem die Schlüsse, die er als Architekt bei der Betrachtung uralter Bauwerke zieht.
Sein Ansatz ist, die Geschichte der Menschheit anhand ihrer Architektur aufzuarbeiten. Schriftlichen Quellen kann man laut Heine oft nicht trauen - Gebäude aber lügen nicht. Die stehen da, so wie sie einst errichtet wurden, als Zeugen ihrer jeweiligen Epoche, deren Spiegelbild sie wie kein anderes Kunstwerk sind. Er ist überzeugt, dass die Menschen früher einen ganz anderen Bezug zu ihren Häusern hatten als heute in Zeiten von Fertigteilbauten und Mietwohnungen. "Dabei liegt die Gestaltung des Raumes in der Natur des Menschen", so Heine.
Die ganz und gar unägyptische Cheops-Pyramide#
Dass Heine Architekt und kein studierter Historiker ist, nutzt er zu seinem Vorteil, weil er sich damit in kein wissenschaftliches Korsett zwängt. Frisch von der Leber weg lässt er seinen Assoziationen freien Lauf und teilt mit seinen Lesern, was ihm in den Sinn kommt, wenn er sich mit unterschiedlichen Baustilen befasst. Warum er das tut, erklärt er zu Beginn: "Die Geschichte der Menschheit ist der spannendste Roman, der je geschrieben wurde, aber er liest sich in den meisten Geschichtsbüchern wie ein Kursbuch der Eisenbahn." Heine setzt sich daher zum Ziel, sie mit Leben zu füllen. Mit jenem Leben, das einst auch die Gebäude erdacht, errichtet und genutzt hat. Dabei wirft er mitunter auch tradiertes Schulbuchwissen total über den Haufen.
Zum Beispiel bei der Cheops-Pyramide: Heine zollt als Architekt den Erbauern seine allergrößte Bewunderung und weist auf die vielen beeindruckenden und teilweise absolut rätselhaften Details hin, ehe er seine Überzeugung kundtut, dass dieser Monumentalbau als architektonischer Höhepunkt des Altertums am Nil nicht vom namensgebenden ägyptischen Pharao in Auftrag gegeben worden sein kann, sondern schon vorhanden gewesen und von ihm okkupiert worden sein muss. Und dass sie auch ganz anders gebaut worden sein muss, als wir es in der Schule gelernt haben.
Heine traut dem antiken Historiker Herodot hier mehr als der modernen Geschichtsforschung. Die Geschichte Ägyptens, so der Autor, müsse viel älter sein als die landläufig angenommenen 6500 Jahre. Und: Die Pyramide habe mit der späteren ägyptischen Kultur nichts gemeinsam und sei ein reiner Zweckbau "wie ein Atomreaktor oder ein Spiegelteleskop". Sie sei "nicht auf visuelle Wirkung ausgelegt, sondern auf präzises Funktionieren". Und wenn er dann auch noch rätselhafte kosmische Strahlung und magnetische Schwingungen im Inneren der Pyramide anspricht und Parallelen zu heutigen Laserstrahlen zieht, wird es überhaupt für die einen endgültig abstrus - und für die anderen so richtig spannend.
Eine wirklich plausible Erklärung für dieses schier unglaubliche Bauwerk hat auch Heine nicht (ebenso wenig für einen 42 Meter langen Obelisken aus einem einzigen Granitblock), aber er warnt jedenfalls davor, sich von allzu blumigen oder auch plumpen Theorien blenden zu lassen. Vielmehr ist er überzeugt, dass dahinter ein umso größeres verlorenes Wissen stecken muss. Er geht übrigens auch von einem gemeinsamen Ursprung der altägyptischen und der altamerikanischen Kultur aus, also einer untergegangenen Kultur, die den beiden vorausgegangen sein und sie beeinflusst haben muss - mehrere Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung.
Allein dieses zweite Kapitel ist es schon wert, zu Heines Buch zu greifen. Professionelle Historiker mögen vielleicht an mancher Stelle einwerfen, dass der Architekt allzu subjektiv zu Werke geht, aber genau das macht seine Ausführungen so lesenswert. Heine formuliert pointiert und kompromisslos. Auch, wenn er mit der aus seiner Sicht kaum zu übertreffenden Geschmacklosigkeit der antiken römischen (Un-)Kultur abrechnet: "Rom kann für sich in Anspruch nehmen, den Kitsch erfunden zu haben."
Etwas besser weg kommen die alten Griechen, die ihre Tempel nach den Gesetzen der Mathematik errichteten - und nach jenen der Musik. Gleichzeitig bemängelt Heine, dass die griechische Demokratie der breiten Basis vorenthalten blieb und die altgriechische Ethik nicht unbedingt die höchste war. So weit, so bekannt. Manch Neues erfährt man hingegen vielleicht zur ausgeklügelten Architektur Chinas, über die der Architekt (an der Grenze zur Esoterik?) schreibt: "Menschen, die vor mehreren Jahrtausenden von elektrischen Spannungsfeldern wussten, die wir heute erst mit höchst sensiblen Messgeräten nachweisen können, und die dieses Wissen zu einer alles beherrschenden Lebensharmonie entwickelten, haben diese Erkenntnisse in einem Bauwerk festgehalten wie in einem Buch, das offen vor uns liegt." Auch wenn in der chinesischen Baukultur alles nach außen orientiert ist.
Ob alle Erläuterungen Heines in der Fachwelt genau so unterschrieben würden, darf wohl hinterfragt werden. Flüssig und unterhaltsam zu lesen sind sie jedenfalls. Und wie Heine selbst betont: Die absolute Wahrheit über vergangene Epochen hat ohnehin niemand für sich gepachtet.
Information#
SachbuchNew York liegt im Neandertal - Die abenteuerliche Geschichte des Menschen von der Höhle bis zum virtuellen Raum. E. W. Heine, Terra Mater 2018, 240 Seiten, 20 Euro.