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"Ich bin ein Schauspieler der Kunst"#

Der Universalkünstler Christian Ludwig Attersee, der heuer 75 Jahre alt geworden ist, über seine Nachkriegskindheit in Oberösterreich, das Blau des Attersees und das rauschhafte Glücksgefühl beim Malen.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 26./27. September 2015) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Julia Rumplmayr


Attersee beim Interview mit der 'Wiener Zeitung'.
Attersee beim Interview mit der "Wiener Zeitung".
© Robert Newald

"Wiener Zeitung": Seit fast 50 Jahren heißen Sie jetzt Attersee - nach dem Ort, wo Sie als Segler Erfolge gefeiert haben. Können Sie sich noch an den Moment erinnern, als Sie Ihren Künstlernamen wählten?

Christian Ludwig Attersee: Das war 1966 bei einer Zugfahrt von Wien nach Klagenfurt mit der damals sehr jungen Galeristin Krinzinger. Da habe ich gesagt, ich heiße jetzt Attersee. Meine erste Ausstellung kurz davor in Berlin war zur selben Zeit wie die vom Wolfgang Ludwig. Da habe ich gemerkt: du brauchst einen Künstlernamen! Da habe ich den genommen, den ich eigentlich schon gehabt habe als Österreichs vielleicht erfolgreichster Segler. Meine Mutter hat immer in die Rettungswesten und Decken "Attersee" reingeschrieben. Und wenn ich gewonnen habe, und das war sehr oft, wurde das Revier Attersee immer dazu genannt - also Christian Ludwig, Attersee. Das war also schon eingehört. Künstlernamen zu wählen ist gar nicht so einfach, und dieser war gut.

Wie haben der Attersee und das Segeln Ihre spätere Kunst beeinflusst?

Ich habe ein Gefühl bekommen für Wasser, Wind und Wetter - und für Blaus. Segeln ist eine der schönsten Beschäftigungen, die der Mensch für sich erfunden hat: Sie geht nicht auf Kosten der Umwelt, sondern man kann die ganze Welt mit Wind und Taktik bereisen. Ich habe letztlich mein Leben nicht als Segler, sondern als Künstler verbracht, weil diese beiden Blaus, Himmel und Wasser, für mich noch wichtiger waren. Wenn ich durchs Segeln ins Ausland gekommen bin, bin ich immer gleich in die Museen gegangen. Ich musste mich entscheiden, Malerei oder Segeln, ich habe mich für Malerei entschieden.

Sie sind 1944 mit Ihrer Familie von Pressburg nach Aschach an der Donau geflüchtet. Welche Erinnerungen haben Sie an das Oberösterreich der 40er und 50er Jahre?

Ich erinnere mich an den Aschacher Apfelsaft, den wir als Flüchtlingskinder bekommen haben. Ich habe noch viele Kriegssachen in Erinnerung, die ich eigentlich alle verdrängt habe nach der Vertreibung meiner Familie aus Pressburg. Ich könnte stundenlang von Aschach reden, zum Beispiel wie ich mein erstes Salzstangerl gesehen habe. Mein Vater hat zwei Jahre keine Arbeit gehabt und mit mir gezeichnet. Von mir gibt’s keine Kinderzeichnung, weil ich wie mein Vater gezeichnet habe. 1946 habe ich dann den ersten Preis bei einem Zeichenwettbewerb, den die amerikanischen Besatzungsmächte unter allen Volksschulen ausgeschrieben haben, gewonnen. Die Zeichnerei hat Spaß gemacht, ich konnte die ganze Welt erfinden, wie ich es auch heute mache. Damals war wichtig, dass man was zum Essen gehabt hat. Ein Apfel hat eine Bedeutung gehabt, eine Zeichnung nicht. Für mich waren die Zeichnungen aber schon wichtig, weil ich immer gern etwas alleine für mich gemacht habe.

Die Mittelschule haben Sie später in Linz besucht. . .

Ich war in meiner Mittelschule, der Khevenhüllerschule in Linz, nicht so beliebt, weil ich schon mit 14 meinen Caesar mit lauter Aktzeichnungen vollgezeichnet habe. Die Mittelschule war für mich auch schwierig durch meine Taubheit, es hat ja keine Hörgeräte gegeben. Ich wurde komischerweise immer nach hinten gesetzt, da habe ich dann nicht einmal gehört, wenn mein Name genannt wurde. Es war immer noch sehr rassistisch, die Nachkriegsprofessoren waren zum Teil noch aus der Nazizeit. Es war keine gute Stimmung in dieser Mittelschule, vor allem wenn man ein Handicap gehabt hat wie ich.

Verfolgen Sie das oberösterreichische Kulturgeschehen heute, etwa das neue Musiktheater, oder 2009 die Kulturhauptstadt Linz?

Ich verfolge das nur ein bisserl, ich bin ja viel im Ausland. Das Musiktheater hat gute Kritiken, die Kulturhauptstadt war eine Geldweglegung, die nicht notwendig war. Ich habe damals eine sehr gute Idee gehabt, die nicht umgesetzt wurde: Ich wollte eine zweite zeitkritische Pestsäule machen, das hätte vielleicht das wichtigste Projekt werden können.

Nun kehren Sie zu einem richtigen Attersee-Fest wieder zurück nach Linz. Sie spielen ein Konzert, es gibt eine große Ausstellung im Brucknerhaus, Sie gestalten das Bühnenbild für die Kammeroper "Weiße Rose".

Christian Ludwig Attersee in seinem Wiener Atelier.
Christian Ludwig Attersee in seinem Wiener Atelier.
© Robert Newald

Eigentlich wollte ich ja Opernsänger werden, das hat man mir aber nicht erlaubt und niemand wollte mich unterrichten. Dadurch ist ein Mensch entstanden, der alle Berufe machen muss, daher spiele ich nicht am Klavier, sondern male am Klavier und so weiter. Bei mir gibt’s bei nichts eine Regel - und so inszeniere ich auch in Linz. Die Reihen sind alle rausgerissen worden, das Publikum sitzt im Kreis. Die "Weiße Rose" ist sicher die schönste Kammeroper der letzten 25 Jahre. Sie ist schwierig mit Bühne zu umgeben, da sie sehr sensibel ist, es geht ja um die Geschichte der Geschwister Scholl, die nicht erschlagen werden soll von Regie und Bühnenbild. Im Foyer mache ich eine Ausstellung quer durch mein Werk von 1980 bis jetzt, das ist viel besser als im Museum, weil am Tag 2000 Leute kommen, im Museum kommen pro Tag vielleicht 20.

Auch mit Ihrer angewandten Kunst von der Attersee-Wurst bis zur Weinetikette erreichen Sie viele Menschen, die vielleicht nie in ein Kunstmuseum gehen würden. War das auch Ihr Motor bei Projekten wie dem Atterseehaus oder der Verhüllung des Ringturms in Wien?

Mich interessiert die Aufgabe, weil sie neu ist. Wenn der Ringturm nicht gut gewesen wäre, hätten sie es nicht wieder gemacht. Das war eh das Beste, was dort bis jetzt passiert ist: Don Giovanni und die Frauen - aufsteigende, kreisende Menschen. Das hat einen Sinn, weil die Architektur eine Bewegung bekommt. Die Leute erreiche ich mit meinen Weinetiketten und meinen Briefmarken auch.

Für Ihre Attersee-Wurst haben Sie damals aber auch viel Kritik geerntet.

Das ist ein Blödsinn, die amerikanischen Künstler wie der Warhol haben das auch dürfen. Das, was ich gestalte, Coladosen oder Sachertorten-Kisten, das sind meistens Geschenke, ich verdiene nichts dran. Das ist ein Riesenerfolg, weil es unter Menschen kommt. Wofür das Geld gespendet wird, darf ich mir aussuchen.

Gibt es etwas, das Sie keinesfalls "atterseeisieren" würden?

Ich lehne viel ab, ich kann ja nicht ununterbrochen was unterstützen - ich muss mein Werk weiterentwickeln. Ich lebe ja davon. Das Geld selbst hat mich aber nie interessiert, ich habe keine Kinder, ich brauche niemanden erhalten. Wenn’s mir einmal schlecht geht, werde ich irgendwas verkaufen. Ich bin so arm aufgewachsen, ich habe gelernt zu hungern und zu warten.

Ich erzähle Ihnen eine Geschichte über den H.C. Artmann: Ich sitze in Berlin und sehe ihn unten auf der Straße im Mistkübel herumstierln, er findet eine Kartoffel und isst sie. Ich habe eigentlich weinen müssen, so ein bedeutender Mensch - und so wenig kann er in der Welt mit seinem Beruf überleben. Da habe ich gesagt, ich werde sicher nie im Leben etwas anderes als ein Künstler. Das war mir ein Vorbild, dass jemand so weit gehen muss, damit er Künstler bleiben kann.

Sie waren selbst Flüchtlingskind. Was geht in Ihnen angesichts der aktuellen Flüchtlingskrise vor?

Es beschäftigt mich leider so, dass ich schon Angst habe, den Fernseher einzuschalten, weil es mir zu viel ist. In Wahrheit wird sogar zu wenig präsentiert, weil so viel auf der Strecke bleibt, es ertrinken viel mehr Menschen, es werden viel mehr erschossen. Ich war gerade in Ägypten, bin mit einem Schiff den Nil hinaufgefahren. Mein Guide, ein Kopte, erzählte von kleinen Orten, in denen alle erschossen wurden. Davon ist nie etwas in der Zeitung gestanden, die bringen alle Christen um, es ist verheerend. In unseren Zeitungen steht mehr über Fußball als über Flüchtlinge. Wir sind ein reiches Europa, wir müssen dieses Problem lösen. Wir Künstler versuchen natürlich zu spenden, aber das geht ja in Dimensionen, die kann ein Privatmensch nicht stemmen.

Sie haben die Slowakei, Ihre erste Heimat, als Kind verlassen. Wo haben Sie heute so etwas wie ein Heimatgefühl?

Ich habe keine Heimat in dem Sinn, ich lebe von einem zum anderen Tag. Mich interessiert die Vergangenheit nicht, für mich ist der Sinn des Lebens, dass man Teil der Schöpfung und an ihr beteiligt ist - und das tue ich auch mit gewaltiger Kraft und Ernst. Für mich ist Erfolg schon wichtig, aber es ist nicht der Sinn des Lebens.

Christian Ludwig Attersee in seinem Wiener Atelier.
Christian Ludwig Attersee in seinem Wiener Atelier.
© Robert Newald

Beschäftigt Sie Ihre Stellung am Kunstmarkt?

Nein, das interessiert mich überhaupt nicht, das ist lächerlich. Das hängt ja nur von Manipulanten ab, da ist immer Schwindel dabei. Der große weltweite Kunsthandel - das hat mit Kunst nichts zu tun. Der große Kunstmarkt kann mich von Österreich aus nichts angehen, wir haben diese großen Kunsthändler nicht. Wir haben den österreichischen Handel - und der reicht auch aus, um zu leben.

Sie kennen die österreichische Kulturszene seit über 50 Jahren. Was wäre Ihrer Ansicht nach zu tun?

Das Problem in Österreich ist so wie in vielen Ländern, dass Kultur mit öffentlichen Geldern immer einen Hauch von Korruptheit hat. Es gibt immer zu wenig Geld für Kultur, aber ich bin gegen Stipendien. Das sind Tröpferl- aktionen, jedem jungen Künstler 3000 Euro zu geben und nach drei Monaten muss er wieder betteln. Das ist meistens verschenktes Geld. Ich glaube, dass Kunst nicht zum Geldverdienen da ist. Jeder will Maler werden, weil das am schnellsten geht, da kann man mit einem mittelmäßigen dekorativen Bild Geld verdienen. Ein dekoratives Bild ist aber nicht Aufgabe der Kunst. Die Aufgabe ist, eine Meinung zu haben, zu verändern mit der Kunst, neue Wege zu finden. Das ist wichtig, nicht das Geldverdienen.

Sie haben von 1990 bis 2009 an der Angewandten unterrichtet. Ist der Künstlerberuf einer, zu dem Sie jungen Menschen raten würden?

Nein, ich rate niemandem dazu. Aber wenn’s so viele werden wollen! Ich kann auch was weitergeben, ich kenne die Kunstgeschichte, kenne 50 Jahre Attersee-Sein. Die Studenten lernen dadurch auch, selbst eine eigene Sicht zu entwickeln, nicht die aus Lehrbüchern oder schlechten Kunstbüchern, die meistens von einfallslosen Kuratoren geschrieben worden sind. So unterrichte ich nicht.

Wenn man heute die Jugend in die Schulen schickt, lernen alle das Gleiche - und die Hälfte davon ist falsch. Oder sie googeln, das ist unsere Bildung heute.

Wohin entwickelt sich die Kunst Ihrer Meinung nach?

Ich bin der Meinung, dass die Aufgabe des Menschen ist, schöpferisch an der Schöpfung beteiligt zu sein. Mit einer eigenen Aussage. In der heutigen Kunst wird nur abgekupfert, wir haben die dritte oder vierte Postmoderne, das ist langweilig. Damit könnte man eine Art Ende der Kunst voraussehen: neue Generationen, die keine Bilder mehr brauchen, weil sie die im Fernsehen haben oder sie sich ausdrucken lassen. Oder sie haben eine elektrische Wand, wo sie sich den Louvre einschalten können. Das heißt, es muss etwas Neues passieren.

Information#

Christian Ludwig Attersee wurde am 28. August 1940 als Christian Ludwig in Pressburg (Slowakei) geboren. 1944 flüchtete die Familie nach Österreich, Christian Ludwig verbrachte seine Kindheit und Jugend in Aschach an der Donau, in Linz und am Attersee, wo er als Segler große Erfolge feierte und dreimal österreichischer Staatsmeister wurde.

Mit 16 Jahren kam Christian Ludwig als Hochbegabter an die Universität für Angewandte Kunst und studierte zunächst Bühnenarchitektur und später Malerei und angewandte Kunst. 1965 hatte er seine erste Ausstellung in Berlin und legte sich danach den Künstlernamen "Attersee" zu. 1984 vertrat er Österreich auf der Biennale in Venedig, von 1990 bis 2009 unterrichtet er eine Meisterklasse an der Universität für Angewandte Kunst. Heute unterrichtet er in Wien und Geras. Attersee machte sich auf fast allen Gebieten der Kunst einen Namen, als Musiker, Schriftsteller, Designer, Bühnenbildner. Vor allem aber gilt er als einer der bedeutendsten Vertreter der gegenständlichen Malerei Europas und ist einer der international meistbeachteten Künstler Österreichs mit über 500 Einzelausstellungen in Europa und den USA.

Attersee ist mit Ingried Brugger, der Leiterin des Bank Austria Kunstforums, verheiratet und lebt in Wien und am Semmering. Zuletzt erschien das Buch "Das Mosaik" über Attersees Mosaikarbeiten im Hirmer Verlag.

Wiener Zeitung, Sa./So., 26./27. September 2015


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