Lebensnahe Sachlichkeit#
Vor fünfzig Jahren starb der Wiener Graphiker und Maler Otto Rudolf Schatz, der zu den produktivsten Künstlern seiner Zeit gehörte.#
Von der Wiener Zeitung (23./24.April 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Evelyne Polt-Heinzl
"Die meisten Menschen halten mich nur für einen Holzschneider", schreibt Otto Rudolf Schatz 1949 in der Zeitschrift "Der schöne Brunnen", die zwei seiner dynamischen Kaprun-Aquarelle enthält. Viele seiner Arbeiten aus den 1920er Jahren sind in Publikationen der österreichischen Arbeiterbewegung erschienen. Da diese ziemlich ins Abseits geraten ist, seit es nur mehr Arbeit- und Projektnehmer gibt, und die engagierte Kunst aus ihrem Umfeld mit dem Geruch monumentaler Heroisierung verbunden wird, ist eine solche Verortung einer größeren Popularität im Moment nicht gerade förderlich. Doch Schatz hat viele künstlerische Facetten und auch eine bemerkenswerte Bandbreite bei seinen – laut Selbstaussage – etwa 1500 Holzschnitten.
Geboren wird Otto Rudolf Schatz am 18. Jänner 1900 in Wien als Sohn einer Beamtenfamilie. Er besucht die Kunstgewerbeschule, unter anderem bei Oskar Strnad. Schon hier dürfte der bürgerlich jugendbewegte Künstler entscheidende Prägungen erhalten haben, denn Strnad pflegte seine Studenten und Studentinnen – er war der erste, der Frauen in seinen Klassen zuließ – zum Lokalaugenschein in die Vorstädte zu schicken.
Erste Erfolge#
1920 präsentiert der Kunsthändler Max Hevesi in der Eröffnungsausstellung seines graphischen "Kunstsalons" in der Mariahilferstraße erstmals Arbeiten von Schatz, zusammen mit Erich Lamm, Lilly Steiner und Bela Uitz. 1922 entstehen in Zusammenarbeit mit dem Kunstkritiker Arthur Roessler in dessen Avalun Verlag erste Buchprojekte, u. a. Illustrationen zu Johannes von Saaz’ "Der Ackermann aus Böhmen".
1923 erhält Schatz einen Vertrag des Galeristen Otto Kallir-Nirenstein, der ihn großzügig unterstützt. 1924 finanziert der Galerist dem jungen Künstler eine Reise quer durch Italien, bei der Schatz allerdings schon in Venedig das Geld ausgeht. Bei seinen Venedig-Impressionen beginnt Schatz mit einer ganz eigenen Schabetechnik zu experimentieren, die Grautöne und weiche Abschattungen im Holzschnitt möglich macht. 1924 folgt Schatz’ erste Kollektivausstellung in der Neuen Galerie Otto Kallirs, eine weitere 1925 gemeinsam mit Anton Faistauer, Franz Probst und Marianne Seeland. In diesem Jahr beginnt auch sein Kontakt zur Büchergilde Gutenberg, Schatz illustriert das Märchen "Im Satansbruch" von Ernst Preczang, dem Cheflektor der Büchergilde, und 1926 Josef Luitpolds "Der entwurzelte Baum": Dieses Kunstbuch besteht aus 18 Doppelblättern, zur Gänze in Holz geschnitten und von der Buchdruckwerkstätte in Berlin vom Stock gedruckt. 1927 folgen der Prachtband "Die neue Stadt" – im vergangenen Jahr in der Ausstellung "Kampf um die Stadt" im WienMuseum zu sehen gewesen – und "Die Rückkehr des Prometheus", beide nach Texten Josef Luitpolds. Damals entstehen auch die Kinderbücher "Reise um die Welt" und "Zirkus" nach Texten des Journalisten Max Roden.
Um 1927 wendet sich Schatz in einer Holzschnittserie dem Thema Industrie zu: Er zeigt die Gewalt der Technik und denkt ihre potentiellen Störfälle stets mit. Das verleiht den Bildern oft etwas Bedrohliches, wie in den Blättern "Schornsteine" oder "Eisenbahnunglück". Menschen fehlen hier oder sind so klein dargestellt, dass das Übermächtige der Mechanisierung ins Bild kommt. Schatz schneidet keine heroischen Arbeiterbilder, sondern bildhafte Analysen über das Unausweichliche der technischen Entwicklung. Auch seine Werke zur Massenarbeitslosigkeit der Zwischenkriegszeit sind mehr als Elendsdarstellungen, sie erzählen konkrete Geschichten und belassen den Menschen ihre Würde – oft mit einem trotzigen Aufbegehren vermischt.
Die dynamische Komplexität seiner Kompositionen zwingt selbst in den "neusachlich" eingefrorenen Blick auf eine Förderanlage oder ein Kesselhaus Leben hinein. Das macht seine Holzschnitte um einiges lebendiger als jene von Frans Masareel. Gut zu beobachten ist das im Band zwei der Roman-Rundschau des Wiener Verlags Der Strom – insgesamt illustrierte Schatz vier Bände dieser Reihe –, der zwei Erzählungen Stefan Zweigs enthält: "Der Zwang" mit zehn Holzschnitten von Masareel, und "Phantastische Nacht" mit fünf Holzschnitten von Schatz, die in der Komposition lebendiger und in der Ausführung weniger manieriert sind.
Im Frühling 1937 zeigt Kallirs Neue Galerie Aquarell-Arbeiten von Schatz, und im Herbst 1937 sind bei einer Ausstellung des Hagenbunds – dem Schatz seit 1928 angehört – Ölbilder und Aquarelle mit New York-Motiven zu sehen, die bei seiner Amerikareise 1936/37 entstanden sind. 1937 illustriert Schatz für die Büchergilde Gutenberg Upton Sinclairs "Co-op. Der Weg der amerikanischen Arbeitslosen zur Selbsthilfe", den letzten Band, der im Prager Exil noch erscheinen, aber im deutschen Sprachraum kaum mehr verbreitet werden konnte.
Exil und Arbeitslager#
Im März 1938 verlässt Schatz Österreich und lebt in Brünn und Prag; seine Position ist einigermaßen prekär: Er ist in zweiter Ehe mit der Tochter eines jüdischen Textilindustriellen aus Brünn verheiratet, die Mischehe bewahrt sie vor der Deportation und ihn als "wehrunwürdig" vor der Front. Mit Arbeits- und Ausstellungsverbot belegt, hält er sich als Maler von Miniaturen über Wasser, fährt immer wieder nach Wien, München oder Salzburg auf der Suche nach alten Bekannten, und wird zunehmend depressiv.
In Brünn soll er an einer leer stehenden Fabrik ein Kreuzigungsfresko geschaffen und der Jesus-Figur die Züge eines einst beliebten und längst deportierten jüdischen Kaufmanns verliehen haben. Als die örtlichen Behörden aufmerksam werden, ist Schatz nicht mehr greifbar: Er wird 1944 von der Gestapo verhaftet und in verschiedene Arbeitslager verschleppt, zuletzt ins Lager Bistritz, wo ihn 1945 die sowjetischen Truppen befreien.
Das Wien der Nachkriegsjahre hält Schatz in einer Serie von Holzschnitten, Ölbildern und Aquarellen – "die Reportage des bildenden Künstlers" (Schatz) – fest, er ist nicht nur ein "Vedutenmaler" der Industriekultur, sondern auch des zerstörten Wien und seiner desorientierten Bewohner. Gefördert und unterstützt wird er dabei vom Wiener Kulturstadtrat Viktor Matejka; die beiden unorthodoxen Herren scheinen sich vom ersten Moment an sympathisch gewesen zu sein.
Am 20. April 1946 überbringt Schatz – Matejka beschreibt die Szene in seinen Erinnerungen reichlich grotesk – seine Mappe "Zlata Praha" mit zehn 1944 in Prag entstandenen Aquarellen und der Widmung: "Herrn Stadtrat Dr. Viktor Matejka, dem unentwegten Bekämpfer der Schlafkrankheit in und außer dem Rathaus herzlichst gewidmet" . Matejka improvisiert eine Ausstellung im Rathaus, bei der die Widmung programmgemäß für einige Aufregung in der Beamtenschaft sorgt. 1947 schreibt Matejka das Vorwort zur Mappe mit 18 Holzschnitten nach Peter Roseggers Roman "Jakob der Letzte", und er vermittelt Schatz immer wieder Arbeitsmöglichkeiten, als Illustrator von Publikationen der Gemeinde Wien oder beim Globus Verlag. Dort erscheint 1949 eine Buchausgabe seiner 1941 entstandenen Mappe "Prater" mit 48 Aquarellen.
Im Rahmen der Initiative "Kunst am Bau" schuf Schatz bereits in der Ersten Republik Fresken in der Bücherei der Wohnanlage Sandleitenhof im 16. Bezirk und in der später ausgebombten Arbeiterhochschule in Döbling. 1949 stattet er das als Bildungshaus der Gewerkschaft genutzte Schloss Weinberg im Mühlviertel mit Wandbildern aus. In den 1950er Jahren entstehen Mosaike und Wandbilder an sechs Wiener Gemeindebauten und einer Volksschule im 22. Bezirk. Kachelmosaike für den Wiener Westbahnhof hingegen bleiben unrealisiert, obwohl Schatz für sein Projekt prämiert wird. Ein 40 Quadratmeter großes Fresko über den Wiederaufbau des Druckerei- und Zeitungswesens befand sich bis zum Abriss des "Kurier"-Hauses in der Seidengasse im siebten Bezirk. Das Fresko wurde auf Initiative der Stadt Wien abgenommen und soll bald auf mobile Träger montiert für Ausstellungszwecke zur Verfügung stehen.
Otto Rudolf Schatz starb, wohl auch an den Folgen seiner exzessiven Lebensart, am 26. April 1961 in Wien an Lungenkrebs. Es ist das Verdienst des österreichischen Psychotherapeuten und Kunstsammlers Wilfried Daim, immer wieder auf die Bedeutung dieses Künstlers hingewiesen zu haben. In zwei vergriffenen Bänden edierte er 1978 und 1982 große Teile des druckgraphischen Werks und versah es mit oft eigenwilligen, aber immer anregenden Interpretationen. Es war übrigens einer von Schatz’ Holzschnitten zu Zweigs "Phantastischer Nacht", der Daims Sammelleidenschaft geweckt hatte: Es ist eine Kutschen-Szene am Wiener Graben, und im Gesicht des Fiaker sah Daim "den mit schwerfällig-zäher Höflichkeit überlagerten sadistischen österreichischen Kleinbürger", ein "Ödön von Horváth-Gesicht". Umfang und Bandbreite des malerischen Werks von Schatz zeigt erstmals der 2010 erschienene Bildband von Dietrich Kraft und Matthias Boeckl.
Eigenständige Kunst#
Was das Werk von Anfang an auszeichnet, ist die produktive Anverwandlung verschiedener Stile und Gesten ohne jedes Schielen auf "angesagte" Strömungen und Tendenzen – einer zwangsläufig zu Kategorisierungen neigenden kunsthistorischen Rezeption ist das selten zuträglich. Schatz übernimmt das Dramatische des Expressionismus in die klare geometrische Linienführung seiner neusachlichen Stadtszenen, transponiert seine anfängliche Nähe zu Schiele in die mit Grautönen wie lavierend arbeitenden Holzschnitte der späteren Jahre, und importiert in manche Frauenakt- und Blumen-Holzschnitte Artdeco-Elemente. Auch wo seine großformatigen Figurenbilder der Neuen Sachlichkeit nahe stehen, enthalten sie immer authentische Informationen über das Alltagsleben der Zeit.
Literatur:
- Dietrich Kraft, Matthias Boeckl: Otto Rudolf Schatz. 1900 – 1961. Bibliothek der Provinz, Weitra 2010.
- Wilfried Daim (Hrsg.): Otto Rudolf Schatz: Kriegsbriefe. Edition Roetzer, Eisenstadt 1979.
Evelyne Polt-Heinzl, geboren 1960, ist Literaturwissenschafterin.
Gerade erschienen: "Peter Handke – In Gegenwelten unterwegs" (Sonderzahl Verlag).