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Extremes Leben verwirklichen#

Ein neues Museum in Neapel, neue Bücher und alte Aufreger: Hermann Nitsch wird siebzig.#


Von der Wochenzeitschrift Die Furche, freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Hartwig Bischof


Nitsch, Hermann
Hermann Nitsch
© Die Furche

Man muss die Feste feiern, wie sie fallen: Geburtstage genauso wie Spezialformen, etwa das Orgienmysterientheater. Sein Erfinder schreibt darüber: „das 6 tage dauernde spiel des o[rgien]. m[ysterien]. theaters soll das grösste und wichtigste fest der menschen werden (es ist ästhetisches ritual der existenzverherrlichung). es ist gleichzeitig volksfest und zu bewusstsein gebrachtes mysterium der existenz. das fest des o[rgien]. m[ysterien]. theaters hat keinen anderen vorwand als die seinsmystische verherrlichung unseres hierseins. das fest treibt in richtung zu einem durch den menschen zu sich selbst kommenden sein.“ Dieses Fest in Form eines Theaters, in unterschiedlicher Länge bisher an die 125-mal als Kunstaktion durchgeführt, bescherte seinem Schöpfer lange Jahre – bis heute – die übelsten Schmährufe von selbsternannten Kunstverteidigern. Daneben aber auch internationale Anerkennung, mehrere Ehrungen und zwei ausschließlich seinem Werk gewidmete Museen. In ein paar Tagen feiert Hermann Nitsch seinen 70. Geburtstag.

Orgien Mysterien Theater#

Aufgewachsen im Arbeiterbezirk Floridsdorf, absolviert er eine Ausbildung an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt. Aber das Arbeiten auf kleinen Papieroder Leinwandflecken genügt dem explosiven Geist nicht, so notiert er bereits 1957 die Grundideen zu „seinem“ Orgien Mysterien Theater. Damit ist jener Keimling in den Schaffenskreis von Nitsch gepflanzt, der bis heute ständig gehegt und gepflegt wird. Zunächst noch im Verbund mit jenen Leuten, die man heutzutage als Wiener Aktionisten bezeichnet. Doch Nitsch setzt in seinen Präsentationen immer auf Einzelausstellungen und erweitert die fast ausschließliche Bezugnahme der anderen auf den menschlichen Körper zu umfassenden Festaktionen im oben beschriebenen Sinn. Was nach einhelliger Beteuerung niemals als Provokation gedacht war, regt das gesellschaftliche Umfeld der Sechzigerjahre dermaßen auf, dass Nitsch und Freunde nicht nur den wüstesten Beschimpfungen ausgesetzt sind, sondern dass er sich in mehreren Prozessen verantworten und drei Gefängnisstrafen über sich ergehen lassen muss. Mit dem Erwerb von Schloss Prinzendorf 1971 steht ihm ein Aufführungsort zur Verfügung, der zwar nicht ein für alle Mal „Störungen“ von außen ausschalten kann, aber die Variationsmöglichkeiten viel mehr seiner Festpartitur annähert, als das ein Galerieraum je könnte. 1972 wird er zum ersten Mal zur Documenta nach Kassel eingeladen, ein zweites Mal dann ein Jahrzehnt später. Die Teilnahme an der Biennale in Sidney sowie Ausstellungen in renommierten Museen unterstützen die zunehmende Akzeptanz seiner Arbeit genauso wie seine Lehrtätigkeit an der Städelschule in Frankfurt und an der Sommerakademie in Salzburg. Nitsch zeichnet für Opernausstattungen in der Staatsoper in Wien und im Festspielhaus in St. Pölten verantwortlich und kehrt mit einer Aktion im Burgtheater ein. Die Stadt Wien verleiht ihm die Goldene Ehrenmedaille und die Republik den Staatspreis. In Mistelbach eröffnete im vergangenen Jahr das erste Nitsch-Museum seine Pforten, heuer wird dem am 13. September ein zweites in Neapel folgen. Mit ungeheurer Beharrlichkeit und mit dem Fleiß des Überzeugten hat Nitsch die lang anhaltende Durststrecke von Unverständnis und Anfeindung durchgestanden. Dennoch spaltet er wie kaum ein anderer Künstler das Publikum in glühende Verehrer auf der einen Seite und jene, die ihn vehement ablehnen. Wobei erstere sich mit seiner Arbeit gebührend auseinandergesetzt haben, zweitere zumeist über die Hürde, dass Nitsch auch Blut als Malmittel verwendet, nicht hinauskommen. Einen qualifizierten Mittelweg, der etwa eine banale Stärken- Schwächen-Analyse vornehmen würde, macht nicht nur der im persönlichen Umgang vor Gemütlichkeit und Freundlichkeit sprühende Mensch Nitsch schwierig, sondern noch viel mehr sein künstlerischer Anspruch, der das gesamte Universum als Bühne für sein Theater in Beschlag nehmen möchte. Nur selten gelingt ein Versöhnungsgespräch wie dem Dichter und Nitsch-Intimus Gerhard Jaschke mit einem erbosten Besucher der Frankfurter Buchmesse, der in „drei, vier Sätzen wissen wollte, was der ganze Scheiß hier soll“. „Auf der einen Seite gibt es die ganz schönen Dinge des Lebens, wie Geburt, Liebe, Schönheit, Glück – das Befreiendste und Beste für Sie selbst. Und auf der anderen Seite gibt es die größten Schrecken, die grauenhaftesten Situationen, die Sie sich nur vorstellen können, bis zu Vernichtung, Auslöschung und Tod. Und beide Pole will Nitsch in seinem Theater veranschaulichen.“ Die Antwort, nachzulesen im soeben erschienenen Buch „Der Nitsch und seine Freunde“, überzeugte.

Schönheit und Schrecken#

Gleichzeitig bringt sie die große Schwierigkeit in der Arbeit von Nitsch – jenseits des Vorwurfs von Primitivität oder Perversion – auf den Punkt: Diesen Zusammenfall der Gegensätze nicht nur als Theater zu inszenieren, sondern in einem umfassenden Lebenstheater als ein Stück Realität aufzufassen, überfordert selbstredend die allermeisten logischen Systeme, deren sich die Menschen in unserer Zivilisation bedienen. Aber für Nitsch bleibt es dabei: „Kunst heisst, extremes Leben zu verwirklichen.“ Da gilt es noch viele Feste zu feiern, zunächst einmal jenes eines runden Geburtstags.

Die FURCHE,, Donnerstag, 28. August 2008