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Vergeltung – Vergebung#

Norbert Gstreins neuer Roman "Die Winter im Süden".#


Von der Wiener Zeitung freundlicherweise zur Verfügung gestellt. (Samstag, 4. Oktober 2008)

von

Von Werner Schandor


Schön wäre es gewesen, wenn in einer Verfilmung dieses Romanstoffs John Houston die Rolle jenes alten kroatischen Ustascha-Majors hätte spielen können, der Anfang der 1990er-Jahre, nach 45 Jahren im argentinischen Exil, in die verlorene Heimat zurückkehrt, weil er den Kampf gegen die Kommunisten und gegen die Serben wieder aufnehmen will. „Die Winter im Süden“ ergäbe verfilmt eine Art „Chinatown“ des Kroatienkrieges, einen modernen Film noir, in dem ein politisches Thema mit psychologischer Subtilität beschrieben wird, wobei sich sein komplexes Geflecht erst nach und nach erschließt. Norbert Gstrein legt in seinem neuen Buch die Fäden raffiniert aus. „Die Winter im Süden“ beginnt mit der Geschichte von Marija, der Frau eines gut situierten, selbstgefälligen Wiener Journalisten, welcher Marija ihr kroatisch-faschistisches Elternhaus zum Vorwurf macht. Als sich Kroatien anschickt, seine Unabhängigkeit zu erklären, zieht es Marija ins Land ihrer Eltern, in dem sie selbst aber nie gelebt hat. Also landet sie in Zagreb. Sie sucht etwas, weiß aber nicht was, und sie findet einen Soldaten auf Fronturlaub – so jung, dass er ihr Sohn sein könnte –, der sie sexuell erniedrigt. Dann ein Schwenk über den Atlantik nach Argentinien. Wir begegnen dem traumatisierten Wiener Ex-Polizisten Ludwig, der hier vergessen will, dass er in Österreich bei einem Einsatz seine Kollegin und Geliebte verloren und ihren Mörder erschossen hat. Doch Argentinien ist nicht das Land, wo Erinnerungen leicht vergessen werden. Ludwig begegnet einem alten Ustascha-Major, der auch nach über 40 Jahren nicht vergessen kann, dass die Alliierten den Balkan 1945 den kommunistischen Partisanen überließen. Der Wiener Ex-Polizist wird von dem Alten, der die Stunde der Vergeltung gekommen sieht, als Leibwächter angeheuert. Norbert Gstrein ist ein begnadeter Melancholiker. Er verleiht seinen Figuren psychologische Tiefe, indem er ihnen uneinlösbare Sehnsüchte einpflanzt – den Wunsch nach Vergeltung oder den nach Vergebung. Doch Gstrein ist auch ein wahrhaft versierter Erzähler. Er führt den Blick stets entlang der Wahrnehmungen und Empfindungen seiner Figuren. Dabei schüttelt er mühelos Sätze aus dem Ärmel, die das Dilemma auf den Punkt bringen und doch zugleich alles in Schwebe lassen: „Einmal sagte er ganz unvermittelt, dass für ihn das nicht Gewesene in seinem Leben, das Verpasste und Versäumte, genauso wichtig sei wie alles andere, weil die Sehnsucht danach viel größer sei als die Erinnerung an etwas je sein könnte, aber noch bevor Ludwig verstand, was er damit meinte, sah er seinen verzweifelten Blick und wusste, dass es Unsinn war.“ Der Leser stößt auf den ersten 150 Seiten des Romans auf einige lose Enden, die ihn verwundern. Doch Gstrein verknüpft diese Erzählfäden in der zweiten Hälfte des Buches zu einem spannenden Ganzen: Der Alte kehrt nach Zagreb zurück. Er will Gelder, die Exilkroaten aufgetrieben haben, ins Land schleusen, um den Unabhängigkeitskampf zu unterstützen – was aber nicht gelingt. Und er will die Jahre nach 1945, als er und seinesgleichen flüchten mussten, vor der aktuellen politischen Entwicklung neu bewertet sehen – was in Zagreb während des neuen Krieges aber niemanden wirklich interessiert. Und dann lebt in dieser Stadt ja noch seine Tochter Marija, auf die er durch einen Zeitungsbericht aufmerksam wird. Er lässt nach ihr suchen, doch als er sie findet (bzw. sie ihn), will er sie nicht sehen. Ist Marija überhaupt seine Tochter? Alles scheint zu zerbröckeln. Nichts wird so, wie es sich die Figuren ingsgeheim erhofft hatten. Keine einzige Wunde verheilt auch nur ansatzweise. Alles bleibt ambivalent. Wie im Film noir. Kurzum: Norbert Gstrein hat nach „Die englischen Jahre“ (1999) und „Das Handwerk des Tötens“ (2003) nun abermals einen beeindruckenden Roman über die Narben des Exils, die Unmöglichkeit, zueinander zu finden, und über die langen Schatten des Krieges in Europa geschrieben.

Norbert Gstrein: Die Winter im Süden. Roman. Hanser Verlag, München 2008, 284 Seiten, 19,90 Euro.

Wiener Zeitung, Samstag, 4. Oktober 2008


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