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Verwandlung von Leben in Kunst#

Bücher von und über Peter Handke#


Von der Wiener Zeitung (30. November 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Uwe Schütte


Peter Handke
Peter Handke beim Besuch einer serbisch-orthodoxen Kirche im Kosovo, 2007.
Foto: © epa/Valdrin Xhemaj

Von Abort bis Zuschauer: Bücher von und über Peter Handke, die zu seinem heurigen Jubiläum erschienen sind. Ein kommentierter Überblick.#

Zum Geburtstag darf natürlich ein neues Buch aus der Feder des Meisters nicht fehlen - und mit seinem "Versuch über den Stillen Ort" sind wir es, denen Peter Handke ein schönes Geschenk macht. Die neueste Folge seiner unregelmäßigen Versuchs-Reihe widmet sich einem besonderen Ort von Ruhe und Stille, nämlich dem Abort.

Ausgehend vom bäuerlichen Plumpsklo seines Großvaters, zeichnet Handkes literarischer Essay jene Toilettenerfahrungen nach, die eine prägende Rolle in seinem Leben gespielt haben. Das Kärntner Bahnhofsklo, auf dem er als Jugendlicher eine Nacht verbrachte, etwa, oder die japanische Tempeltoilette, die dank ihres einzigartigen Lichts zum Ort metaphysischer Erleuchtung wird. Alles, was mit Unflat, Geruch, Hygiene zu tun hat, das für gewöhnlich mit der Notdurft assoziiert ist, spielt bei Handke keine Rolle.

Er feiert den Unort, der stellvertretend für alles Schmutzige steht, das wir schamhaft zu entsorgen trachten, vielmehr als einen Schutzbereich, der dem Individuum Rückzug ermöglicht und temporäres Asyl vor der Gesellschaft bietet. Damit ist der "Versuch über den Stillen Ort" auch ein Musterbeispiel für die Verwandlung von Realität und Leben in Kunst; ein Verfahren, das Peter Handke so inspiriert beherrscht wie sonst kaum ein Schriftsteller.

Dichter und Verleger#

Obligatorisch zu jedem Jubiläum eines der Suhrkamp treu gebliebenen Autoren ist mittlerweile auch ein Band mit dem gesammelten Briefwechsel mit dem Verlagspatriarchen Unseld. An den Unterhaltungswert der teils komischen, teils bizarren Korrespondenz zwischen Bernhard und Unseld reicht der Band zwar nicht heran, als biografische Quelle für die Entwicklung Handkes vom unsicheren Debütanten über den zu Weltruhm aufgestiegenen Star-Schriftsteller und schließlich zum abgeklärten Dichter besitzt das Buch aber einen hervorragenden Wert. Zwar geht es im Briefwechsel auch um leidige Honorarprobleme, die der Autor beim Verleger anmahnt, doch schnell kommt es zum "Du" zwischen beiden und einem in vielerlei Hinsicht einvernehmlichen Verhältnis, das allenfalls getrübt wird, wenn Handke privat Rechenschaft fordert von Unseld ob gewisser öffentlicher Distanzierungen von seinen Äußerungen zum Jugoslawienkrieg. Doch steht nie in Frage, dass sich hier zwei vielleicht nicht Freunde, aber doch sehr eng Verbundene schreiben.

Einen hervorragenden Wegweiser durch das veritable Dickicht der unzähligen Bücher, die seit Handkes Debüt "Die Hornissen" (1966) erschienen sind, hat Leopold Federmair geliefert, der in "Die Apfelbäume von Chaville" von seinen Begegnungen mit dem Autor berichtet und von persönlichen Lese-Erfahrungen zur Diskussion des Werks kommt. Dabei verfällt er nie in germanistischen Jargon. Vielmehr stellt Federmair die poetischen Verbindungen her, die das Werk durchziehen; er erprobt auch deren realistischen Gehalt, indem er Handkes Texte der österreichischen Wirklichkeit entgegenstellt, wie er sie selbst erlebt hat. Als jemand, der wie Handke bereits lange Jahre im Ausland lebt, selbst als Autor, Kritiker und Übersetzer wirkt, ist er für die Aufgabe, den Büchern von Handke gerecht zu werden, hervorragend geeignet. Ein besseres Buch kann man sich als Leser nicht wünschen, denn es wirkt als Schlüssel und inspiriert zu eigenen Lektüreabenteuern.

Nationaldichter?#

Gut gelungen ist auch die Handke gewidmete Sonderausgabe des "Literatur/a Jahrbuch 2010/11", das Grußadressen poetischer wie eher prosaischer Art von Freunden, Weggefährten und Kollegen versammelt, ergänzt mit Fotos und Faksimiles. Interessant ist auch die Sammlung persönlicher (Re-)Lektüre-Eindrücke zu den wichtigsten Büchern Handkes; allerdings rekrutiert sich die, sagen wir: etwas inzüchtige Auswahl der Beiträger aus der versammelten austriakischen Obergermanistenschaft und Chefkritikerriege, welche die ja weit über Österreich hinausreichende Wirkung von Handkes Texten nicht zu perspektivieren vermag.

Da Bernhard tot ist, muss als nächstes offenkundig Handke dereinst (und lang möge es noch dauern!) aus Chaville zurückgeführt werden in den Pantheon der Nationaldichter. Die Heimholung des verlorenen Sohns ist freilich auch eine Gegenoffensive zum germanischen Chauvinismus, mit dem man Handke - zumindest solange sich mit ihm renommieren ließ - kurzerhand in die deutsche Literatur eingemeindete (wie etwa in einer 1977 erschienenen Anthologie: "Deutschland erzählt. Von Rilke bis Handke"). Ob Handke, dessen ganzes Bestreben darauf gerichtet war, sich von Österreich zu distanzieren, das er einmal evokativ als das "Fette, an dem ich würge" bezeichnete, zum Nationaldichter taugt, ist freilich eine andere Frage.

Es wird jedenfalls nicht gelingen, wenn man jene Texte, in denen sich der ganze Eigensinn seines poetischen Projekts so deutlich zeigt wie kaum sonst wo, als temporäre Aberrationen an den Rand drängt. Gemeint sind natürlich die literarischen Interventionen des Dichters in die mediale Darstellung des Jugoslawienkriegs, die seit dem 1996 entfesselten Skandal um "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien" zu Ver-leumdungen und Rufmordkampagnen gegen Handke geführt haben. Angesichts der nicht unbeträchtlichen Verworrenheit der ganzen Angelegenheit war bisher die positivistische Rezeptionsgeschichte "Peter Handke und ‚Gerechtigkeit für Serbien‘" von Kurt Gritsch die beste Quelle, die chronologische Entfaltung der Erregung nachzuvollziehen.

Handke und Serbien#

Ein gänzlich neues Niveau jedoch erreicht die Analyse der Affäre nun in Lothar Strucks Studie ",Der mit seinem Jugoslawien‘. Peter Handke im Spannungsfeld zwischen Literatur, Medien und Politik", eine in jeder Hinsicht mustergültige Darstellung, in der alle relevanten Texte bis zu der 2011 erschienenen "Geschichte des Dragoljub Milanović?" behandelt werden. Zur Sprache kommen auch die assoziierten Eklats um die nachträgliche Verweigerung des 2006er Heine- und des 2011er Candide-Preises, samt des Skandals um die improvisierte Rede, die Handke beim Begräbnis von Miloević hielt. Zwar steht Struck parteiisch auf Seiten Handkes, sein Buch aber ist nie einseitig; wo nötig, spart es auch nicht mit Kritik.

Seine ganze Stärke zeigt Strucks Buch, wenn an Fallbeispielen rekonstruiert wird, wie aus Verdrehungen und Erfindungen eine Lüge wird, die dann al-lenthalben als Wahrheit über Handkes Verhalten verbreitet wird. Auch die Manipulationen des Literaturbetriebs arbeitet er hervorragend auf, indem er zeigt, wie Kritiker flugs die Meinung ändern und der eine beim anderen etwas Unzutreffendes abschreibt, das dann beim nächsten zu falschen Behauptungen führt, wie etwa dass Handke - wahlweise - Antisemit, Antimuslim oder Verteidiger des Massakers von Srebrenica sei. Indem Struck die Jugoslawien-Texte im biografischen Hintergrund Handkes verortet und in die sprachkritischen wie gesellschaftstheoretischen Zusammenhänge seines Werkes einordnet, wird vieles erst verständlich. Wer sich ernsthaft für Handke interessiert, kommt an dieser Studie nicht vorbei.

Dichter in Abwesenheit#

Die eigentlichen pièces de résistance jedes Jubiläums sind natürlich opulente Bildbände, deren Fotografien ein Gegengewicht zur Buchstabenwelt der Schriftsteller liefern und die (nicht unverständliche) Neugierde der Leserschaft nach Einblicken in die Privatsphäre des Autors befriedigen sollen. Daran aber herrscht heuer Fehlanzeige, sodass man gerne auf den wunderbaren Band "Peter Handke. Porträt des Dichters in seiner Abwesenheit" von Lilian Birnbaum erinnert, der bereits im Vorjahr erschienen ist: In Abwesenheit des Autors durfte Birnbaum im verfallenen Garten und dem wunderbar altmodischen Haus fotografieren.

Was sie uns zeigt, wirkt fast wie eine Illustration der Beschreibungen Federmairs von seinen Besuchen: die im Garten herumliegenden, den Verwitterungseinflüssen ausgesetzten Bücher, die in einer Schublade gesammelten Bleistiftstummel, das zurückgelassene Schuhwerk und die Kleidung Handkes, aufgeschlagene Notizhefte und die überall herumliegenden Belegexemplare der Übersetzungen seiner Texte.

In absentia entsteht so in der Tat ein Portrait, das evokativer wirkt als die gestellten Aufnahmen, von denen man etwa eine zu Anfang des Katalogs findet, den Klaus Kastberger und Katharina Pektor zu der von ihnen kuratierten Ausstellung im Österreichischen Theatermuseum herausgegeben haben. "Die Arbeit des Zuschauers. Peter Handke und das Theater" wird durch ein aufschlussreiches Interview mit Handke eröffnet, worauf ein exzellenter Essay von Kastberger über die wesentlichen Stationen des Theaterautors folgt. Die weiteren Texte leuchten das Thema in alle relevanten Richtungen aus.

Ergänzt durch die Vielzahl an abgebildeten Dokumenten repräsentiert das schön gestaltete Buch nicht weniger als das Standardwerk zum Dramatiker Handke.

Uwe Schütte ist Dozent für Deutsche Literatur an der Aston University, Birmingham. Neben Büchern über Thomas Bernhard und Heiner Müller (jeweils 2010) ist 2011 seine "Einführung in Leben und Werk" von W.G. Sebald erschienen.

Wiener Zeitung, 30. November 2012