Schwarzes Gold stinkt nicht #
In Neuseeland bringt eine App erstaunliche Erfolge bei der Kompostierung und dem Recycling von Bioabfällen. Die ungewöhnliche Idee hilft nicht nur, die eigenen Rohstoffabfälle loszuwerden. Sie verbindet auch Menschen. #
Mit freundlicher Genehmigung aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (2. August 2018)
Von
Doris Neubauer
Würmer bahnen sich ihren Weg durch welke Salatblätter, Kartoffelschalen und faulende Äpfel – manch einer rümpft jetzt verächtlich die Nase. Nicht so Katrina Wolff. Wenn die Neuseeländerin von Bio- und Grünabfall spricht – oder vielmehr von dem, was daraus unter Einfluss von Luftsauerstoff und Bodenlebewesen entsteht –, glänzen ihre Augen. Kompost ist eines der Lieblingsthemen der Gärtnerin, die nicht nur ihr Zuhause bei Auckland in ein Obst- und Gemüseparadies verwandelt hat, sondern auch bei einer Handvoll Nachbarn Wunder wirkt. Letztere sind keineswegs nur den grünen Daumen der 45-Jährigen zu verdanken. Katrina Wolff setzt auf humus- und nährstoffreiche Düngemittel – vom biodynamischen Komposthaufen bis zu diversen Wurmkisten. Dort verrotten Katrinas eigene Küchen- und Gartenreste ebenso wie die von Nachbarin Jenny. Letztere ist zufällig zu Wolffs „Abfall-Dealerin“ geworden: „Unsere Pfade hätten sich im echten Leben kaum gekreuzt“, meint sie, „Jenny ist online auf mich aufmerksam geworden.“
Wer will meinen Abfall? #
Die Neuseeländerinnen sind zwei von etwa 6.300 registrierten Mitgliedern der Smartphone-App „ShareWaste“. Wer seinen Bio- oder Grünabfall zu Hause aus Platzoder anderen Gründen nicht kompostieren oder verwenden kann, findet über die Plattform willige Abnehmer. Entstanden ist die Idee aus Not: Als das Ehepaar Eliska und Tomas Bramborova 2016 von der australischen Westküste in die Großstadt Sydney zog, wurde den beiden schmerzhaft bewusst, dass das kommerzielle Bioabfall-Entsorgungssystem nicht ihren Vorstellungen entsprach. „Wir konnten nicht selbst kompostieren“, erklärt Eliska, „doch das bestehende System war zu unflexibel: Wir hätten bei der Abholung zu Hause sein und dafür noch 15 Dollar zahlen sollen.“ Damit wollte sich das aus Tschechien stammende Ehepaar nicht zufriedengeben. „Ich habe in einer Facebook Gruppe gefragt, ob jemand aus unserer Nachbarschaft den Abfall möchte“, erzählt Eliska. Tatsächlich meldete sich eine Dame. Doch der 30-minütige Spaziergang mit einem Eimer voller Essensreste alle vierzehn Tage stellte sich für die junge Mutter bald als zu mühsam heraus. Nach einem Gespräch mit Tomas, der als Software-Entwickler tätig ist, war die Idee geboren, mit einer App „etwas Nützliches zu schaffen“. Im November 2016 war die Plattform online; Geber wie Empfänger von organischen Resten konnten sich auf einer Landkarte eintragen. Einige Wochen später hatten die beiden drei Abnehmer in der Nähe gefunden.
Kreative Lösung für urbane Räume #
Mittlerweile hat sich ShareWaste nicht nur in Sydney etabliert, sondern in ganz Australien sowie den USA und Großbritannien. „Vor Kurzem haben wir eine Lizenz- Version für die Aucklander Initiative ‚Compost Collective‘ gestaltet, die Kompostierung im urbanen Raum fördert“, freut sich Eliska, erstmals nach zwei Jahren für ihr Engagement entlohnt worden zu sein. „Wir haben lange daran gearbeitet und sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden.“ Es ist ein Modell, das sie künftig auch mit anderen Initiativen und Kommunen umsetzen möchte. Nicht nur im englischsprachigen Raum.
Der Bedarf für kreative Lösungen wie ShareWaste scheint vorhanden, sind Essensabfälle insbesondere für Großstädte weltweit ein Riesenproblem: UN-Schätzungen zufolge leben 54 Prozent der Menschen im urbanen Gebiet, bis 2050 wird sich diese Zahl auf 66 Prozent steigern. Mehr werden damit auch die Essensabfälle: Schon heute produzieren wir in der EU jährlich zwischen 118 und 138 Millionen Tonnen Bioabfall. Bis 2020 wird das Aufkommen voraussichtlich um 10 Prozent ansteigen. Damit wachsen die Probleme: Einerseits kann man den organischen Abfall nicht vor sich hin verrotten lassen, wird doch dabei Methan- und damit eines der gefährlichsten Treibhausgase freigesetzt, das 25-mal klimaschädlicher ist als Kohlendioxid. Andererseits gibt es heute bereits vielerorts nicht genügend Platz für die Reste. Neben Kompostierungs- und Verwertungsindustrie bemühen sich High-Tech- Unternehmen um Lösungen. In Singapur etwa hat die Firma „Enerprof“ eine Maschine entwickelt, die Essensabfälle verflüssigt und in Abwasserrohren verschwinden lässt.
Für die ShareWaste-Erfinderin Eliska Bramborova braucht es diesen High-Tech nicht: „Wir können alles selbst recyceln. Es kostet nichts. Das ist das Schöne am Eigenkompostieren“, setzt sie aufs älteste und einfachste Recyclingverfahren der Welt, „die Leute haben sofortigen Nutzen davon – in ihrem eigenen Garten.“ Die in den Abfällen enthaltenen organischen Stoffe werden wieder in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt. Doch Kompost liefert nicht nur sämtliche Nährstoffe für ein gesundes Bodenleben, er lockert die Erde, speichert Wasser und trägt durch die Bindung von Kohlendioxid zum Klimaschutz bei. Bei richtig durchgeführter Eigenkompostierung wird so der Kreislauf Boden-Pflanze-Kompost- Boden geschlossen: Die Nährstoffe, die die Pflanze dem Boden entzieht, werden durch die Aufbringung des Komposts in den Boden zurückgeführt und somit den Pflanzen wieder verfügbar gemacht. Mehr noch: Garten- und Küchenabfälle müssen nicht als Müll entsorgt werden; der LKW-Transport zur Kompostanlage fällt genauso weg wie Lärm- sowie Schadstoffemissionen. All das geschehe vor der eigenen Haustür, kommerzielle Kompostierung sei nicht notwendig, ist Eliska Bramborova überzeugt und findet bei Katrina Wolff Unterstützung: „Wir können auf das hunderte Jahre alte Modell der Eigenkompostierung zurückblicken und unsere hausgemachten Probleme zu Hause lösen“, gehört für die kurzhaarige Blondine Kompostieren zum (Gemüse-)Garteln genauso dazu wie Anbauen und Ernten.
So einfach das klingt, hat auch Eigenkompostierung ihre Tücken: Fette und Öle, tierische Speisereste von Fleisch, Käse und Fischgräten sowie Backwaren haben etwa aus Hygienegründen auf dem heimischen Komposthaufen nichts verloren. Sie sind meist die Erklärung für das Anziehen von Ratten, Mäusen oder Fruchtfliegen und für das buchstäblich zum Himmel stinkende schlechte Image von Kompost. Mit Hausverstand, entsprechender Recherche und verschiedenen Kompostierungsmethoden lassen sich diese Herausforderungen zwar aus dem Weg räumen. Dennoch ist Eigenkompostieren nicht für jeden zu empfehlen, es braucht eine bestimmte Gartengröße. Hobby-Gärtner verwenden außerdem erfahrungsgemäß in gut gemeinter Absicht oft zu viel Kompost und überfrachten den Boden dadurch mit Nährstoffen. Die Folge sind Mangelerscheinungen, die sich letztendlich schädlich aufs Grundwasser und die Pflanzen auswirken.
Ein Geben und Nehmen unter Nachbarn #
Katrina Wolff lässt ihre Pflanzen darüber Zeugnis abgeben, ob ihr Boden die richtigen Nährstoffmengen erhält. „So lange sie gedeihen, mache ich wohl etwas richtig.“ Eine Bodenanalyse hat die Alleinstehende, die in ihrem Garten auch Jugendliche aus einer Förderschule ausbildet, bisher nicht durchführen lassen. Das Problem, zu viel Kompost zu produzieren, sieht sie ohnehin nicht. „Natürlich kann nicht jeder zum Gärtner werden, aber es gibt genügend Freiraum um Schulen oder Kirchen. Dort könnten Gärten entstehen, damit die Gemeinschaft ihre Essensabfälle dorthin bringen kann und wir die wertvolle Ressource Kompost nicht verlieren.“ Eine ähnlich pragmatische Lösung hat sie auch für ein weiteres Problem parat: „Ich kenne Geschichten von anderen Kompostierern, bei denen Strohhalme und Plastikbesteck entsorgt wurden“, erzählt Katrina, „mir ist es nicht passiert. Ich stecke im Vorhinein Grenzen ab.“ Damit es erst gar nicht soweit kommt, setzt sie auf klare Kommunikation. Nicht nur über den Inhalt der zwei Eimer, die Abfall-Dealerin Jenny pro Woche vorbeibringt. „Sie schickt mir außerdem eine Textnachricht, wenn es mehr geworden ist“, freut sich Wolff über den reibungslosen Ablauf und fügt hinzu: „Auf einen Kaffee würden wir vermutlich nicht miteinander gehen, aber es hat sich eine schöne Kommunikation ergeben.“ Das ist ganz im Sinn der App- Erfinder, geht es Eliska und Tomas doch nicht nur ums Recyceln. „Genauso wichtig ist uns, Nachbarn einander näher zu bringen“, meint die Wahl-Australierin. Auf beiden Seiten: „Als Spender geben wir unseren Bioabfall in fremde Tonnen. Doch wir bekommen manchmal auch etwas zurück. Obst, Gemüse, etwas aus dem Garten, das dank unseres Abfalls gewachsen ist.“ Damit schließt sich der Kreislauf der Natur.
Bitte auch den Beitrag in IIASA-OPTIONS Winter 2021 beachten!#