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Leben und Sterben#

Wiltrut Stefanek setzt sich nie eine Nadel und hat keine wechselnden Sexualpartner. Dennoch ist sie eines Tages HIV-positiv. Der Kampf um einen Sinn im Leben beginnt. Im Nachhinein ist alles zu spät. „Ich dachte, bald bin ich tot.“#


Mit freundlicher Genehmigung aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (Donnerstag, 28. Oktober 2010)

Von

Sandra Nigischer


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Ihre auf einem Kongress gefundene Kamera hütet Stefanek besonders: „Ich habe noch nie etwas gefunden.“ Stefanek fotografiert gerne und mag es, schöne Momente mit der Digicam einzufangen.
Foto:Stanislav Jenis

Im Nachhinein zieht es Wiltrut Stefanek den Boden unter den Füßen weg. Im Nachhinein sagt die heute 40-Jährige: „Am Ende habe ich alles verloren.“ Die Schuld bei sich selbst zu suchen, macht in ihrem Fall aber wenig Sinn, auch wenn sie sagt: „Ich war zu dem Zeitpunkt naiv.“

Im Oktober 1996 läuft Wiltrut Stefanek ferngesteuert aus der Ordination ihres Hausarztes, als sie erfährt,dass sie HIV-positiv ist. Damals ist sie 26 Jahre alt, anderthalb Jahre zuvor war sie noch HIV-negativ. Das weiß sie von einer Untersuchung im Zuge einer OP.

1996 hat Stefanek einen sechsjährigen Sohn, führt seit sechs Jahren eine Ehe und ist seit zehn Jahren mit ihrem Mann liiert. Sie weiß, dass er fremd geht. Ihr Wissen darum ist es, was sie später als „naiv“ bezeichnet.

Weil er auch gewalttätig ist, will sie sich scheiden lassen – von HIV weiß sie noch nichts. Ihr Mann will eine Scheidung nicht hinnehmen, droht mit Selbstmord und landet in der Psychiatrie. Dort willigt er unter anderem ein, Blutuntersuchungen durchführen zu lassen. Bald folgt ein kryptischer Anruf aus dem Krankenhaus: Abermals sind Untersuchungen notwendig. In der Zwischenzeit soll Blutkontakt gemieden und beim Sex ein Kondom benutzt werden. Für die Verkäuferin ist klar: „Das bedeutet HIV oder Hepatitis.“ Sie stellt ihren Mann zur Rede, doch der sagt kein Wort dazu.

Eine Woche später weicht die lähmende Vorahnung einer Gewissheit: Stefaneks Mann ist mit dem HI-Virus infiziert. „Ich habe zur Dame am Telefon gesagt: Wenn er es hat, habe ich es auch. Die Anruferin hat nur gesagt: Lassen Sie sich testen. Damit war die Sache erledigt für sie. Für mich aber natürlich nicht.“ Stefanek konfrontiert ihren Mann: „Du wirst an Aids sterben.“ Er antwortet bloß: „Das kann nicht sein. Ich bin nicht schwul.“

Lebenswille im Blut#

Im Nachhinein ist Stefanek selbst infiziert, doch das Wichtigste ist für sie, dass ihr Sohn HIV-negativ ist, wie ein Test ergibt.

Sie erfährt, dass ihr Mann seine HIV-Diagnose schon 1985 gestellt bekommen hat und dass eine Exfreundin ihres heutigen Exmannes an Aids gestorben ist. Die Hassgefühle gegenüber ihrem Exmann, der 2001 an Aids stirbt, kann sie nach Jahren verarbeiten.

Doch wie geht man selbst um mit einer solchen Diagnose? „Ich habe begonnen, alles zu erledigen, was noch zu erledigen ist, weil ich gedacht habe, bald bin ich tot“, erzählt Stefanek. „Dann bin ich draufgekommen, es hat sich nichts verändert, außer ich mich selbst.“

So sehr die Diagnose lähmt – viel mehr als infiziertes Blut pumpt Lebenswille durch ihre Adern: Sie beginnt wieder zu arbeiten, gründet den Selbsthilfeverein „Puls(h)iv“ und hält Vorträge. Jetzt, mit 40, macht sie den Führerschein. „Für sinnloses Herumsitzen ist mir meine Zeit zu kostbar“, sagt sie heute. „Alles, was ich jetzt habe, habe ich mir erkämpft.“ Durch diesen Kampf sei ihr Leben erst lebenswert geworden. Und für manche Dinge ist es im Nachhinein nicht zu spät: „Ich mache, was mich bereichert, denn was bringt der beste Job, wenn ich den ganzen Tag nur griesgrämig herumrenne und mit dem Leben unzufrieden bin?“

Stefanek sagt aber auch: „Ich bin sehr hart geworden durch meine Geschichte, darauf bin ich nicht stolz. Wenn man öfter erlebt hat, wie Freunde mit der Diagnose wegsterben, baut man Freundschaften nur mehr schwer auf.“ Ihre beste Freundin stirbt an Aids, eine andere erhängt sich nach der Diagnose. Erst vor drei Wochen stirbt wieder ein Bekannter.

Angst, selbst an der Krankheit zugrunde zu gehen, hat Stefanek nicht. Mit dem Tod setzt sie sich auseinander, weil ihr Sohn es verlangt, wenn er fragt, was mit ihm ist, wenn sie nicht mehr da ist. Angst hat sie nur vorm Fliegen, sagt sie und schmunzelt: „Vor einem Flug schreibe ich immer mein Testament und Abschiedsbriefe.“

Mit der HIV-Diagnose geht Stefanek von Beginn an offen um, das Umfeld reagiert sehr gespalten. „Ich hab schon damals gewusst: Man kann eigentlich nicht darüber reden.“ Seit zwölf Jahren führt sie eine Beziehung mit einem gesunden Mann – und auch hier bringt ihr das Umfeld viel Feindseligkeit entgegen. „Manche haben gefragt, ob er nicht was Besseres findet als eine HIV-Infizierte.“

Dass andere Betroffene mit ihrer Krankheit nicht so offen umgehen, kann sie zwar nachvollziehen, heißt es aber nicht gut. „Ich wollte einmal ein Filmprojekt machen mit Infizierten. Aber nicht einmal ihre Stimme geben sie mir, aus Angst, erkannt zu werden.“ Stefanek ist überzeugt davon, dass durch dieses Schweigen nur schwer Dinge bewegt werden können. Auch was den heutigen Umgang mit Schutz vor HIV angeht, ist Stefanek pessimistisch: „Sind wir ehrlich. Wer nimmt ein Thema ernst, solange es einen nicht betrifft? Auch Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Armut sind weit weg und wir lachen, solange es uns gut geht.“

An ein Heilmittel glaubt Stefanek nicht. Hätte sie einen Wunsch frei, würde sie vielmehr das Rad der Zeit zurückdrehen: „Nicht in die Zeit vor der Diagnose, mein Leben war nicht schön. Ich möchte nur, dass die vielen Menschen, die ich verloren habe, wieder zurückkommen.“

Wiener Zeitung, 28.Oktober 2010