Abschied von einem Klassiker#
Erwin Ortner, ein Puchianer, Meister seines Faches, 1927 bis 2017#
von Martin Krusche
Am 1. Mai 2017 endete das Leben von Erwin Ortner. Es umfaßte die imposante Zeitspanne von 90 Jahren. Wie staunenswert, daß er gerade am Tag der Arbeit die Arbeit seines Lebens niederlegte. Ortner war am 1.8.1949 in das Grazer Puchwerk (Thondorf) eingetreten und dort bis 1987 tätig gewesen. Das ist aus mehreren Gründen der Erwähnung wert. Es handelt von vielen interessanten Details eines persönlichen Lebens, es hat sich zugleich stellvertretend für eine ganze Ära entfaltet.
Ortner begann seine Laufbahn auf jenem Terrain, wo Entwicklungsarbeit geleistet wurde, im Versuch. Da ging es für ihn vor allem um Motor und Getriebe des Haflinger. Ein Angelpunkt im weiteren Geschehen. Die luftgekühlten Zweizylinder-Boxer, wie sie ursprünglich für den Fünfhunderter entwickelt wurden, waren auf Standfestigkeit ausgelegt, hatten also erhebliche Leistungsreserven, die vom Werk her anfangs nicht ausgespielt wurden.
Bis verfügbare Motorkraft auf dem Straßenbelag ankommt, geht allerhand davon im Antriebsstrang verloren. Wenn sich Ortner zum „Getriebe-Papst“ profiliert hatte, dann bezog sich seine Kompetenz also auf einen wichtigen Bereich, in dem quasi die Kraft der Quelle verwaltet wird.
Aber Ortner hatte sich ebenso als „Meister am Bandl“ bewährt. Er war also nicht bloß am Prüfstand für Haflinger-Motoren aktiv oder an der Entwicklung des Allrad-Panda beteiligt. Was immer Männern wie ihm gelingt, muß ja auch in der Serienfertigung taugen, um ein simples Prinzip zu bedienen: Hohe Stückzahlen, bei stabiler Qualität, zu einem möglichst günstigen Preis.
Doch dazwischen lag ein bedeutendes Kapitel der letztlich eher kurzen Geschichte jener amtlichen Puch-Schammerln, die uns zwar als liebenswürdige Kleinwagen in Erinnerung sind, die aber im Motorsport zu sehr effizientem Gerät werden konnten. Diese bemerkenswerten Rennerfolge macht die Fahrzeuge auch für Enthusiasten attraktiv, die nicht gerade Millionäre sind.
Dazu mußte das Potential der kompakten Boxermotoren effizient entfaltet werden. Das bedeutet, es ist eine thermische Hölle zu bändigen, während mechanische Fragen gelöst werden wollen. Nicht zu vergessen: Die Gewichtsreduktion des Autos, damit die verfügbaren PS weniger zu schieben haben. Ortner hatte bezüglich der Optimierung von Rennmotoren einen ausgezeichneten Ruf. Man könnte sagen, dank solcher Männer gab es etwas wie relativ preiswerte „Volksrennwagen“, die selbst Werksfahrer auf muskulöseren Fahrzeugen besser nicht unterschätzt haben.
Hier tut sich das Besondere dieses Ortner’schen Lebens in Arbeit auf, das über die Person weit hinausreicht. Männer wie er waren und sind Fabrikarbeiter, aber zugleich Handwerker auf die alte Art. Damals wurden noch nicht unzählige Details in die Computerwelten verschoben, also das Know how zu einem großen Teil an Software abgegeben, um möglichst viele Arbeitsbereich in effizienten Rechenmodellen erledigen zu lassen.
Die alte Art, das meint, ein Handwerker muß in diesen Angelegenheiten Gefühl und Materialkenntnis haben, auch Intuition und Einfallsreichtum, um gelegentlich zu improvisieren. (Ein Computer improvisiert nicht!) Er muß Erfahrung erwerben, sein Abstraktionsvermögen ebenso schulen wie seine Handfertigkeit. Die alten Meister verkörpern in sich eine Summe an Kompetenzen, wie sie so in der heutigen Industriewelt wohl nicht mehr gebraucht, daher auch nicht bezahlt werden.
Das bedeutet, solche Kompetenzlagen werden zunehmend verloren gehen, falls die Gesellschaft keine guten Gründe findet, sie in Nischen zu pflegen, zu erhalten. Derweil könnten dem Land aber jene Fachkräfte abhanden kommen, die in solchen Zusammenhängen aufgewachsen sind, die dem ihr Leben gewidmet haben. Denn eines ist klar und noch in manchen Garagen auffindbar: Diese Menschen gehen zwar in Pension, legen aber ihre Arbeit nicht nieder.
Sie tun auch im sogenannten Ruhestand, was sie interessiert, bewegt, beschäftigt, was sie stets neu nach interessanten Problemen suchen läßt; hier allerdings bezüglich einer Technologie, die von unseren Straßen weitgehend verschwindet und in einer lebhaften Klassiker-Szene weiterlebt. Wir sind eben von Natur aus zu tätigen Wesen gemacht. Unsere Neugier erlischt nur, wenn man sie mit dem beliebigen Totschlagen vor Zeit lähmt.
Das berührt schließlich auch unsere Sozial- und Technologiegeschichte. Das verweist ferner auf lebendige Formen einer Volkskultur in der technischen Welt, in der einem niemand mehr sagt, was zu tun sei. Da folgen die Menschen zum eigenen Vergnügen ihren Leidenschaften. Daraus dürfen Sie den Schluß ziehen, daß Männer wie Erwin Ortner gewissermaßen lebende Kulturdenkmäler sind, da sie über so lange Zeit ein hohes Maß an Fertigkeiten erworben haben und damit quasi bis zum letzten Atemzug Teil der Szene geblieben sind, die sich mit unserem industriegeschichtlichen Erbe befaßt.
Sein Tod markiert einen Verlust, dessen Tragweite heute noch nicht eingeschätzt werden kann. Vieles, was er verkörpert hat, ist nicht dokumentiert. Das verweist noch auf ein anderes, sehr großes Thema.
Altmeister Johann Puch selbst hat zu seinen Lebzeiten in Graz den Umbruch von der Ersten zur Zweiten Industriellen Revolution erlebt und abgewickelt. Betriebe, die rund um Motorenkraft (Dampf, Elektrizität, Benzinverbrennung) Maschinen und Fahrzeuge bauten, stellten sich zunehmend auf Serienfertigung durch wachsende Automation um.
Männer wie Ortner erlebten innerhalb ihrer Biographien dann den Umbruch von der zweiten zur Dritten Industriellen Revolution, haben erfahren, was die Digitalisierung im vorigen Jahrhundert an den Berufswelten bewirkt hat. Nun stehen wir alle, durchaus mit bangen Gefühlen, auf der Schwelle zur Vierten Industriellen Revolution, die über neue Automatiserungsschübe und mit selbstlernenden Systemen die Arbeitswelt völlig zu verändern beginnt. Welche Kompetenzen im Fertigen von Dingen sind also heute ein Fall fürs Museum und welche sollten wir dringend erhalten, weil wir noch nicht wissen, wie teuer uns ihr Fehlen demnächst kommen könnte?
Mit Erwin Ortner hat uns jemand verlassen, der überdies für eine Haltung steht, wie ich sie in den letzten Jahren an vielen Werkbänken, in etlichen Garagen kennengelernt habe. Ich möchte es „Die Ehre des Handwerks“ nennen, aus der ein Ethos erwächst, wie es natürlich nicht von jedem, der Werkzeuge in die Hand nimmt, bevorzugt wird. Dieses Ethos bedeutet etwa: „Man kann das, was man sagt und man sagt nur das was man kann. Man glänzt nicht vor der Welt, sondern macht gute Arbeit.“ Ich weiß, das könnte man für pathetisch halten, für eine Pose.
Wenn Sie aber Gelegenheit haben, mit diesen alten Meistern Zeit zu verbringen, werden Sie leicht feststellen, daß da Schwätzer und Großmäuler ein äußerst nahes Ablaufdatum haben. Das ist erfrischend, da wir gerade in einer Zeit der gut geölten Selbstoptimierer leben, bei denen das Posieren, die wirksame Selbstdarstellung, offenbar zu den wichtigsten Kompetenzen zählt.
Soll sein, jeder wie er will. Aber Ortner stand auf einem Terrain, wo konkrete Fertigkeiten zählen, die sich im praktischen Tun einlösen, wo man anderen gegenüber Achtsamkeit und Respekt zustande bringt, wo man Aufgaben sucht und sich für deren Lösung engagiert. Das mag ein wenig antiquiert wirken, doch in solchen Zusammenhängen werden einige Qualitäten begreiflich, die den Menschen auszeichnen, wo wir unsere Koexistenz mit Maschinen gerade völlig neu ordnen und bewerten müssen.
Weiterführend: