E-Caring: Der Umbruch#
(Ein Selbstversuch zur privaten Mobilitätsgeschichte)#
von Martin Krusche
Ich sag jetzt einfach E-Caring. Das ist nicht amtlich, ist sprachlich irreführend, aber es kommt phonetisch rund aus dem Mund und braucht auf Papier nicht gar so viel Platz. E-Car Sharing kriegt man in einem banalen Gespräch mit wachen Leuten einfach nicht flott unter. Elektroauto-Verleih klingt erbärmlich.
E-Car Rental klingt noch einen Tick unerfreulicher als Car Rental. Car Hire reimt sich auf Wire, was immerhin zum Elektriker passen würde, das Kabel, aber in unseren Mündern geht es nicht gar so elegant um. (Ach, mögen doch gut bezahlte Werbetexter dieses Problem lösen!)
Ich hab mich hier vor allem deshalb für E-Caring entschieden, weil ich für diesen Bereich handliche Titelzeilen brauche, die sich in einer Serie bewähren. Nun mag man sich unter „E-Caring: Der Umbruch“ vielleicht gerade noch etwas vorstellen und wird demnächst „E-Caring: Der Start“ mit diesem Text hier in Zusammenhang bringen. Versuchen Sie das einmal mit den anderen Wortkombinationen, die ich eingangs durchgespielt habe.
Zur Sache selbst, ich war schon einige Male elektrisch gefahren, doch nun stand das auf neue Art zur Diskussion. Ein Vorfall. Ich hab eine Weile gegrübelt, was nun werden solle. Es wäre zu viel gesagt, wollte ich behaupten, mit mir gerungen zu haben. Aber da blieben doch Gedanken zu wälzen. Wie soll es nun in Fragen meiner individuellen Mobilität weitergehen? Worauf setze ich?
Es wurde daraus gewissermaßen ein Selbstversuch, der im Jänner 2017 begann. Die Stadt Gleisdorf bietet mir für ein leihweises Elektroauto attraktive Bedingungen. Das hat die Entscheidung leichter gemacht. Außerem zwickt der Renault Zoe nicht gleich um die Hüften, wie es bei mir der zierliche Mitsubishi i-MiEV tut. (Wer war das? i-MiEV geht ja gar nicht! So was darf man eigentlich nur beim Militär.)
Das paßt alles gut zu unserem aktuellen Projekt. Kaum ein Ding in der Masse unserer Konsumgüter stand wenigstens ab 1900 so exemplarisch für die Beziehung „Mensch und Maschine“, wie das Automobil. Das begann sich erst mit der Digitalen Revolution zu verändern.
Es fügt sich überdies zur aktuellen Jahreszahl, denn vor runden 60 Jahren, im September 1957, wurde in Graz das Puchauto der Öffentlichkeit präsentiert. Es war der erste österreichische Kleinwagen, den sich so nach und nach jene Arbeiter, die ihn gebaut haben, auch selbst leisten konnten. 1957 ist also eine Markierung in der Geschichte der Volksmotorisierung. Wird es 2017 ebenfalls?
Mein erster eigenes Auto war ein Steyr-Puch 500. Ich bin Jahrgang 56, wurde also in den Beginn der Massenmotorisierung Österreichs geboren. Das bedeutet, ich gehöre zur ersten Generation unseres Landes, deren Führerschein-Neulinge bunte Flotten von preiswerten Gebrauchtwagen vorfanden: Auf endlosen Kiesplätzen und in allerhand Garagen, Schuppen, Vorgärten. So leicht war der Schritt zum eigenen Auto davor noch nie gewesen.
Nun also 2017 womöglich das Ende meiner Ära als individueller Eigentümer eines PKW, der daher nur mir selbst zur Verfügung stand? Es ergab sich ein praktischer Anlaß, um das einzuläuten. Ein sogenanntes Negativgutachten. Der aktuelle Prüfbericht über mein Auto war ellenlang. Zwei Leute in der Werkstatt, der Mechaniker und sein Boss, wurden sich einig und sagten: „Lassen Sie es, das zahlt sich nicht mehr aus“.
Ab nun also ein gemischtes Ensemble verschiedener Vehikel, wovon nur noch das Fahrrad mir gehört. Adieu Privatkarre! Würde mir das Teil fehlen, womöglich ein Loch in mein Selbstwertgefühl reißen? Als erstes war ich freilich einige Sorgen los. Dieses ewige Einzahlen in den bloßen Bestand. Und die zunehmenden Schwächen eines alten Autos.
Ich mußte etliche Winter in Kauf nehmen, daß sich die Fahrertür in der Kälte nicht aufsperren ließ, aber falls doch, beim Wegfahren nicht mehr verriegelte, weil Teile der Mechanik feststeckten, die auch das Fenster blockierten. Ich mußte die Tür für wenigstens 20 Minuten Fahrtzeit festbinden, bis das Gestänge auftaute. Jahr für Jahr. Ich verzichte auf weitere Ausführungen der Problempunkte billiger Autos.
Was ich alljährlich an Geld aufbringen mußte, um erneut eine Prüfplakette zu bekommen, ist deprimierend. Über Jahrzehnte hab ich nicht so viele neue Bremsleitungen gebraucht, wie die letzten fünf Jahre. Wann wäre seinerzeit je ein Scheibenwischerschalter zu erneuern gewesen? Haben Sie bei der Prüfung schon einmal genauer hingesehen, was alles als Mangel ausgewiesen wird? Und doch! Ein eigenes Auto. Der sichtbare Ausweis, daß man nicht zu den Hungerleidern und Habenichtsen gehört.
Unabhängigkeit! Was? Wirklich? Nein! Das war vielleicht noch in den 1970ern so. Es sind inzwischen ganz andere Abhängigkeiten ins Spiel gekommen. Umfassende Parkraumbewirtschaftung in den Städten ist nur eine davon. Die quälend hohe Verkehrsdichte eine andere. Aber ein eigenes Auto! Kann man darauf wirklich verzichten? Das werde ich herausfinden.
Derzeit ist ein geliehenes Elektroauto das dominante Vehikel im Zentrum meiner maschinengestützten Mobilität. Dazu arrangiere ich Fahrten mit dem Postbus und der Eisenbahn. Für Notfälle gibt es Taxis. Als Privatfahrzeug bleibt mir ein klassisches Rennrad; mein altes Austro-Daimer alpina.
Freilich hat sich eine Lücke aufgetan. Mein Selbstverständnis muß nachjustiert werden. Doch das ist bloß etwas Atmosphärisches. Ich bin kein Autonarr, kein Petrol Head; eine Kategorie der fröhlichen Unvernunft. Allerdings kenne ich diesen Anflug von Maschinenverliebtheit. Der englische Begriff Car Guy erscheint mir eleganter. Ernest Hemingway verwendete für die Liebhaber (des Stierkampfes) das spanische Wort Aficionado. Aber wer sagt so was?
Das französische Wort für Liebhaber lautet Amateur. Das verwenden wir freilich nicht im Sinn von Aficionado, sondern unterscheiden damit die Liebhaberei von der Professionalität, also dem berufsmäßigen Ausüben von Tätigkeiten. Autoliebhaber, das ginge, klingt jedoch so unendlich fad. Auto-Aficionado ginge auch, kommt mir aber zu zickig daher und ist phonetisch sehr holprig. Benzinbruder mißfällt mir, denn das versucht viel zu cool zu wirken und ist daher uncool.
Eigentlich ist mir bloß Car Guy so unaufgeregt, wie ich das unter Leuten mit Kennerschaft erlebe. Die machen keine großen Gesten und pflegen keinen Szene-Jargon, als wären sie noch Teenager, sondern finden mit jenem Fachjargon ihr Auslangen, der die nötigen Begriffe der Fahrzeugwelt verfügbar macht.
Cool ist also nicht die Art über Fahrzeuge zu reden, cool sind manche der Fahrzeuge. (Ein Lada Niva ist cool.) Cool ist Steve McQueen. Oder Jochen Rindt. (Vin Diesel ist nicht cool!) Der Unterschied macht den Unterschied. Naja, Atmosphärisches…
Sie ahnen schon, mein Umstieg vom exklusiven Verbrenner im Privatbesitz zum geliehenen Elektriker berührt eine ganze Palette von Themen. Soziale und wirtschaftliche Fragen, Technologie- und Kulturgeschichte, vor allem aber, und das wurde mir nach den ersten Wochen mit dem Renault Zoe umgehend klar: Die Frage nach dem Umgang mit Gemeingut.
Wer befüllt die Scheibenwaschanlage? Wer kümmert sich, wenn die Ladestation zickt? Es ist lange her, daß unsere Leute Erfahrungen mit gemeinschaftlichem Eigentum hatten. Weiß jemand, was eine Allmende ist? Über Sharing Economy reden eigentlich vorerst nur Zirkel von Fachleuten.
Es gibt in diesen Dingen viel zu klären, denn wir werden die individuelle Mobilität nicht aufgeben wollen, aber ihre Massenbasis, wo sie sich auf den persönlichen Privatbesitz von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren stützt, hat eventuell ein erkennbares Ablaufdatum. (Voriger Beitrag) (Nächster Beitrag)