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unbekannter Gast

Auf die Zehen getreten#

Ludwig van Beethoven war selbst ein schlechter Tänzer und komponierte dennoch tänzerische Musik.#


Von der Wiener Zeitung (30. Mai 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Verena Franke


Beethovens Studierzimmer in der Schwarzspanierstrasse
Beethovens Studierzimmer in der Schwarzspanierstrasse. Johann Baptist Höchle. um 1820
Foto: © IMAGNO/Wien Museum

Darf Tanz sich jede Komposition einverleiben? Nun: Ja, warum nicht? Das meinen zumindest alle, die dem Tanz in seiner Vielseitigkeit zugetan sind. Andere wiederum sind strikt dagegen, sogar pikiert, sollte ein Choreograf wieder einmal eine Partitur vertanzen wollen, die nicht explizit für Tanz komponiert wurde. Also kein Bizet oder Bach oder Beethoven mit optischer, manchmal auch narrativer Erweiterung? Aber welcher Choreograf hält sich schon an die Meinung von Musikexperten? Selbstredend: nahezu keiner.

Der große US-amerikanische Choreograf George Balanchine erklärte dies so: „Die Musik (von Anton von Webern in Bezug zu seinem Ballett ,Episodes‘, 1959) erschien mir wie die Mozarts und Strawinskis; Musik, die getanzt werden kann, weil sie den Geist frei macht und dazu bringt, den Tanz zu sehen. Beim Hören von Komponisten wie Beethoven oder Brahms hat jeder seine eigene Vorstellung, macht sich jeder selbst ein Bild von dem, was Musik darstellt. Ich bin sicher, das war nicht Beethovens Absicht.“ Womit wir schon beim Jahresregenten 2020 wären: Ludwig van Beethoven anlässlich seines 250. Geburtstag. Es hätte den Anschein, als hätte er Bilder gemalt, und die Menschen würden es lieben, sich in diese Bilder hinein zu versetzten, so Balanchine weiter. „Aber wie kann ich, ein Choreograf, einen tanzenden Körper in einem Bild unterbringen, das schon im Kopf eines anderen existiert?“, hinterfragt er seine Arbeit. Er hätte etwa eines der beiden Ballette von Beethoven in Bewegung umsetzten können, möchte man antworten.

Böse Zungen#

Da gibt es zum Beispiel das „Ritterballett“, das ehrlicherweise kein „Ballett“ im heutigen Sinn ist, sondern vielmehr eine musikalische Untermalung: Die Uraufführung fand als Teil eines Maskenballs am Faschingssonntag, dem 6. März 1791, im Redoutensaal in Bonn statt. Die Partitur besteht aus acht Nummern, darunter etwa ein „Deutscher Gesang“, ein „Jagdlied“, ein „Deutscher Tanz“, ein „Minnelied“, und ein „Trinklied“ – passend zum feuchtfröhlichen Fasching. Gastgeber Ferdinand Graf von Waldstein lud den Bonner Adel zu dem „karakteristischen Ballet in altteutscher Tracht“ ein. Er habe „darinn die Hauptneigungen unsrer Urväter, zu Krieg, Jagd, Liebe und Zechen Rücksicht genommen“, wie ein damaliges Theaterjahrbuch berichtete. Vielleicht kann man infolgedessen auf den ungewöhnlichen Titel schließen: „Ritterballett“. Der damals erst 20-jährige Beethoven wurde nirgends als Komponist genannt. Böse Zungen meinen, er hätte dies ob der mangelnden Qualität nicht eingefordert. Und so galt Waldstein nicht nur als Organisator und Choreograf, sondern auch als Komponist, bis Beethovens Jugendfreunde Franz Wegeler und Ferdinand Ries mithilfe biografischer Notizen dies richtigstellten.

Zugegebenermaßen ist dieses Ballett, musikalisch betrachtet, keinerlei Herausforderung für Choreografen, weder damals noch heute. Das ist vermutlich der Grund für seine Verdrängung aus der Tanzgeschichte.

Vignanòs Meilenstein#

Aber dann gibt es noch Beethovens „Die Geschöpfe des Prometheus oder: Die Macht der Musik und des Tanzes“, der Kaiserin Maria Theresia von Neapel-Sizilien gewidmet: Joseph Haydn soll die Musik gelobt haben, den französischen Schriftsteller Stendhal begeisterte, dass ihn das Ballett jedes Mal aufs Neue in Staunen versetzte. Es ist Beethovens einziges Ballett. In den 18 Nummern handelt er den prometheischen Mythos ab. 1801 fand die Uraufführung in Wien am kaiserlich-königlichen Hoftheater nächst der Burg statt. Für die Choreografie und das Libretto, das lange Zeit verschollen war, zeichnete der italienische Choreograf, Komponist und Tänzer Salvatore Vignanò verantwortlich. Es war ein Meilenstein nicht nur für die Wiener Tanzgeschichte: Vignanò setze auf eine durchgehende choreografische Handschrift und die Verschmelzung von Pantomime und Tanz. Ein heroisch-allegorisches Ballett, das in unterschiedlichen Versionen Eingang in die Spielpläne zahlreicher Opernhäuser fand – darunter choreografische Interpretationen von Ballettgrößen wie Serge Lifar (1929), Aurelio M. Milloss (1933) oder Federick Ashton anlässlich des Beethovenjahres 1970.

Es blieb für Beethoven bei diesem einen Ballett. Seine zahlreichen kleineren Tanzkompositionen und die stilisierten Tänze in vielen seiner übrigen Werke zeigen aber, dass er sich zeitlebens der tänzerischen Geste widmete, obwohl er – nebenbei erwähnt - selbst ein äußerst schlechter Tänzer gewesen sein soll. Sein Oeuvre ist dementsprechend eine wahre Fundgrube für Tanzschaffende aller Stilrichtungen und ein Who-is-who der Starchoreografen. Man könnte meinen, dass keiner Beethoven ignorieren konnte.

Beispielsweise Isodora Duncan, die Pionierin und Wegbereiterin des Ausdruckstanzes: Zu Beethovens Siebenter Sinfonie tanzte sie 1905 in damals empörenswerter Weise ohne Korsett in fließenden Kostümen mit griechischem Schnitt und setzte ihre Weiblichkeit ein. Auch der russische Choreograf und Tänzer des Ballets Russes, Léonide Massine, widmete sich 1938 der Siebenten, in einer seiner stilistisch ausgereiftesten Kreationen. Die vielen dynamischen Sätze und die energetische Musik dieser Partitur verkörperten für Richard Wagner die „Apotheose des Tanzes“ und für Massine die Inspirationsquelle für sein Werk.

Einer der progressivsten und extravagantesten Tanzschaffenden des 20. Jahrhunderts, Maurice Béjart, entwickelte mithilfe von Beethovens Partitur mit seinem Werk „Neunte Sinfonie“ (1964) sein Konzept des Gesamtkunstwerks aus Text, Musik, Tanz und Regie: ein Konzept, das zu seinem Markenzeichen wurde. Und Roland Petit versuchte in „Les Intermittences du coeur“ (1974) Marcel Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“ mit Stücken von Beethoven aber auch Wagner oder Reynaldo Hahn in ein Ballett zu packen. Mit mäßigem Erfolg.

Beethoven urban#

Hingegen widmete sich Hans van Manen, Hauschoreograf des Het national Ballett und Gast aller Opernhäuser weltweit, gleich zwei Werken Beethovens und benannte sie nach deren Titel: „Große Fuge“ (1971) und „Adagio Hammerklavier“ (1973). Für „Adagio Hammerklavier“ verlangte van Manen stets die Tonband-Aufzeichnung von Christoph Eschenbach, denn nur diese zeichnet sich durch sehr langsame Tempi aus, in denen sich die Basis der Choreografie widerspiegelt – eine Choreografie, die ihre Inspiration aus dem klassischen Ballett einerseits und andererseits aus dem amerikanischen Modern Dance zieht.

Und dann gibt es noch den Chef des renommierten Hamburg Balletts: John Neumeier wird voraussichtlich zum 250. Geburtstag Beethovens heuer eine Uraufführung bringen: „Beethoven 9“ soll am 13. Dezember im Großen Haus in Hamburg uraufgeführt werden. Bereits 2018 widmete sich der zwischen neoklassischem und zeitgenössischem Stil Changierende mit „Beethoven-Projekt“ dem Komponisten und verband dessen „Eroica-Variationen“ und die Dritte Sinfonie zu einer „visuellen Dichtung“. Aber auch Thierry Malandain sei an dieser Stelle genannt, der mit seinen Choreografien „Les Créatures“ (2003) und „Silhouette“ (2012) den Ruf eines Beethoven-Spezialisten erworben hat. Von der Stadt Bonn – der Geburtsstadt des Komponisten – erhielt er zum Jubiläumsjahr den Auftrag für ein Ballett zur Sechsten Symphonie: „La Pastorale“ heißt sein jüngstes Werk.

Aber auch im urbanen Tanzstil ist Beethovens Oeuvre zu entdecken. Die gehörlose Hip-Hop-World-Champion-Tänzerin Kassandra Wedel zeigt in einem roten Kleid zum Ersten Satz der Fünften Symphonie enorme Körperbeherrschung (https://www.beethoven-playon.com) und die renommierte Breakdance-Gruppe Flying Steps interpretierte anlässlich des Jubiläums Beethovens Fünfte Sinfonie neu und gründete gemeinsam mit der ARD das #beethovenexperiment (https://flying-steps-academy.myshopify.com/pages/das-beethoven-experiment) für junge Tanzbegeisterte. Was Musikexperten zumindest auf die Zehen tritt.

Wiener Zeitung, 2. Juni 2020


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