Ein konservativer Moderner#
Erfolgreicher Opernkomponist in Wien, dann ein Meister der Filmmusik in Hollywood, schließlich ein traditioneller Symphoniker#
Von der Wiener Zeitung (24. November 2007) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Markus Vorzellner
Am 12. Dezember wird der berühmte Filmkomponist Ennio Morricone in der Wiener Stadthalle ein namentlich nicht genanntes Orchester dirigieren. Auf dem Programm werden seine eigenen großen Erfolge stehen. Dabei wird wieder einmal jener Grenzbereich zwischen der "tönend bewegten Form" (wie Eduard Hanslick es genannt hat), und der angewandten Musik ausgelotet werden. Musik für den Film, ohne optische Entsprechung dargeboten, kann in bestimmten Fällen die ursprünglich als Untermalung gedachte Komposition auf die Stufe absoluter Musik heben.
Der Umstand, dass Filmmusik überhaupt ohne den zugehörigen Film dargeboten werden kann, geht wesentlich auf die Arbeit des Komponisten Erich Wolfgang Korngold zurück, der sich, als kinematographischer Quereinsteiger, dieses Grenzbereiches zwischen zweckfreier und zweckgebundener Musik durchaus bewusst war und sie als Herausforderung empfunden hat – wenngleich er in seinen letzten Lebensjahren daran zerbrochen ist.
Glanzvolle Jugend#
Als Wunderkind, das schon mit sieben Jahren erste Kompositionen darbietet, scheint der 1897 geborene Korngold noch aus jener längst vergangenen Epoche zu stammen, die besonders von der Mozart-Dynastie geprägt war. Einst wie jetzt tritt ein übermächtiger Vater auf, dessen Lebensaufgabe in der Förderung des Sohnes zu bestehen scheint. Dort ist es der fürsterzbischöfliche Vizekapellmeister in Salzburger Diensten, da der allmächtige Kritikerpapst Julius Korngold, der nach dem Tode Eduard Hanslicks 1904 dessen Erbe antreten und dessen Status übernehmen konnte.
Die beiden Fälle ähneln einander in so hohem Maß, dass es müßig erscheint, den Vergleich weiter zu bemühen. Korngolds frühe Kompositionen, unter anderen die Klavierkantate "Gold", die der Zehnjährige dem erstaunten Gustav Mahler vorspielte, oder die Ballettpantomime "Der Schneemann", die in Alexander von Zemlinskys Orchestrierung 1910 sogar an der Wiener Hofoper zur Uraufführung gelangte, riefen bei den Zeitgenossen äußerst ambivalente Reaktionen hervor: von Begeisterung über Zweifel an der Autorschaft bis hin zu radikaler Ablehnung. Zu stark schien in den Augen der Öffentlichkeit die väterliche Autorität das Wunderkind-Prinzip zu forcieren, rasch fand jener kurze Dialog im damaligen Wien Verbreitung: "Sie spielen die Sonate vom jungen Korngold; ist sie dankbar?" – "Die Sonate nicht, aber der Vater!"
Mit 19 Jahren kann Korngold erste Opernerfolge verbuchen: Am 28. März 1916 werden an der Münchner Hofoper seine beiden dramatischen Erstlingswerke zur Uraufführung gebracht. Handelt es sich beim "Ring des Polykrates" um eine humorvolle Deutung der Schillerschen Ballade und der darin thematisierten Relativität des postulierten "absoluten Glücks", so bedient "Violanta" das Liebe-Rache-Sujet vor dem Hintergund des karnevalesken Venedig im späten 16. Jahrhundert. Vor dem närrischen Treiben hebt sich Violantas Rache an Alfonso, den sie für den Selbstmord ihrer unglücklich verliebten Schwester verantwortlich macht, besonders krass ab.
Man könnte annehmen, dass schon dieses Sujet die musikalische Vorstellungswelt eines Jugendlichen übersteigt, doch tritt, allen Spekulationen zum Trotz, die Korngoldsche Orchestersprache hier bereits mit ihren charakteristischen Glockenspielklängen und den scheinbar aus weiterer Ferne erklingenden Horntönen in erstaunlicher Weise zutage. Im nächsten großen Erfolg, der vier Jahre später uraufgeführten Oper "Die tote Stadt", wird diese Grundstimmung gleichsam auf eine innere Ebene transferiert, auf der sich dann nahezu ausschließlich jene berührende Begegnung zwischen Marietta und Paul abspielt, die dem Werk bis zum heutigen Tag seinen Platz im Repertoirebetrieb sichert.
Mit dem "Wunder der Heliane" wird dieser Erfolgsreigen beendet. Wenngleich Korngold 1939 noch "Die Kathrin" nachreichen kann, wird er sich als Opernkomponist in Zukunft nicht mehr im selben Ausmaß profilieren können. Schuld daran trägt wohl zum Teil die erzwungene Emigration, doch eben nur zum Teil: Der immer noch gefeierte Opernkomponist tritt in Kontakt mit der Maschinerie Hollywoodscher Filmproduktion, die ihn sehr bald zu inkorporieren versteht. Jene uns Nachgeborenen durchaus sinnvoll erscheinende Parallele zwischen Oper und Film ist nicht zuletzt auf Korngolds Wirken zurückzuführen. Bevor er in Hollywood tätig wurde, war die Filmmusik meist improvisiert oder collageartig zusammengestellt.
Seine erste Begegnung mit diesem neuen Metier war allerdings noch nicht der politisch bedingten Emigration geschuldet. Der Komponist lernte schon Ende der 20er Jahre den damals bereits etablierten Max Reinhardt kennen, der sich von Korngolds Ruf als Musikdramatiker beeindruckt zeigte. Der Regisseur lud ihn ein, für seine Inszenierung der "Fledermaus" am Deutschen Theater in Berlin die Straußsche Musik zu bearbeiten. Diese Produktion erlebte 1929 ihre Uraufführung und markierte für Korngold einen neuen Beginn: Max Reinhardt erhielt danach den Auftrag, für Hollywood eine Filmversion seiner Theaterproduktion von Shakespeares "Sommernachtstraum" herzustellen. Korngold sollte für dieses aufwendige Projekt bereits existierende Musik arrangieren, nämlich die "Sommernachtstraum"-Partitur Felix Mendelssohn-Bartholdys.
Für Max Reinhardt war dies die erste Filmproduktion, so dass es dem kamera-unerfahrenen Theaterpraktiker unmöglich war, die Regiearbeit im Alleingang zu bewältigen. Ihm wurde William Dieterle zur Seite gestellt, der sich in späteren Jahren mit Streifen wie "Juarez" mit Bette Davis und Paul Muni oder "The Hunchback of Notre Dame" mit Charles Laughton einen Namen machen sollte.
Korngold seinerseits musste zum ersten Mal die Musik einer exakt vorgegebenen Szenenfolge anpassen. Beachtenswert erscheint dabei auch der Umgang mit der Kulisse, die in einem hohen Maß als Theater-Bühne fungiert und nicht mehr die surrealistische Ästhetik der wenige Jahre zuvor beendeten Stummfilmära bemüht, die man etwa aus Robert Wienes berühmten "Kabinett des Dr. Caligari" von 1920 kennt. Techniken des Überblendens, Weichzeichner und ähnliche filmische Elemente ließen den Bühnencharakter, der dem Theatermann Max Reinhardt wichtig war, besonders stark hervortreten.
Die Regeln Hollywoods#
Für Reinhardt war dieser "Sommernachtstraum" ein Ausflug in ein ihm fremdes Metier – es wird seine erste und letzte Filmregie sein. Für Korngold hingegen beginnt mit dieser Arbeit ein "Business", das für den aus Deutschland und Österreich geflüchteten Juden einen künstlerischen wie existenziellen Neubeginn darstellt. Hat er die "Sommernachtstraum"-Musik für Warner Bros lediglich arrangiert, so komponiert er kurz darauf, im Auftrag des Paramount-Direktors Ernst Lubitsch, die Musik zu einem Film völlig anderer Art: "Give us this night" mit Jan Kiepura in der Hauptrolle. Diesem Intermezzo folgen – wieder für Warner Bros – jene Streifen, die ihm bis heute den Ruf als bedeutender Filmkomponist sichern: "Captain Blood" (1935), "Anthony Adverse" (1936), "Robin Hood" (1938), "The Private Life of Elisabeth and Essex" (1939) und den bereits erwähnten "Juarez" (1939) unter William Dieterles Regie.
In zwölf Jahren, von 1934 bis 1946, lieferte Korngold die Musik zu 21 Filmen, wobei er bei manchen lediglich Teile beisteuerte oder als Arrangeur tätig war. Sein Wiener Kollege, der Emigrant Max Steiner (dessen Kurzbiographie auf einer Gedenktafel an seinem Geburtshaus in der Praterstraße 72 zu lesen ist), produzierte in derselben Zeit rund 250 Musiken, unter anderem zu Filmen wie "Gone with the wind" (1939), "The letter" (1940) oder "Casablanca" (1942) – was eher dem Alltagspensum eines Hollwoodkomponisten entsprach.
Korngold hatte also die Freiheit, sich genau jenes Produktionsquantum vorzunehmen, das für einen europäischen Komponisten wie ihn das richtige darstellte. Es wurde ihm außerdem eine eigene Filmkabine zur Verfügung gestellt, in der er seine Musik in aller Ruhe nachbearbeiten konnte.
Der nun in Hollywood etablierte Komponist wird nach dem Krieg zum dritten Mal seiner Rolle als Quereinsteiger gerecht. Er wendet sich einer rückwärtsgewandten Ton- und Formenwelt zu, die jedoch in der Zeit nach dem Dritten Reich keine Chance auf Erfolg hatte. In den fünfziger Jahren wurde der musikalische Aufbruch proklamiert und die überkommenen Formen des 19. Jahrhunderts wurden nur noch belächelt, wenn nicht gar verachtet.
Traditionelle Spätwerke#
Die Werke, die Korngold in der Spätzeit seines Lebens komponiert, scheinen in den musikalischen Traditionen aufgehoben zu sein. Wenn sich aber der Komponist für seine Symphonie in Fis-Dur (1952) Beethovens "Neunte" zum Vorbild wählt, indem er das Scherzo als zweiten und das langsame Adagio als dritten Satz erklingen lässt, vermag das nicht darüber hinwegzutäuschen, dass er diese Form nur noch mit disparaten und fragmentarischen musikalischen Gedanken füllen kann. Speziell das zentrale Thema zeigt in seiner prägnanten Aufdringlichkeit, die sich durch große Tonsprünge und rhythmische Indifferenz äußert, eine melodische Zerissenheit, die sich als Zeichen einer kaum bewältigbaren persönlichen Krise entpuppt.
Doch stellt sich diese Krise äußerst vielschichtig dar: Die Avantgarde, der Korngold nicht Folge leisten konnte oder wollte, verkörpert die musikästhetische Komponente. Ein ebenso starkes Krisenmoment aber wird aus der persönlichen Perspektive erkennbar: Ebenso wie die Avantgarde die vom Dritten Reich auferlegten Fesseln zu sprengen versucht hat, ist auch Korngolds Musikverständnis durch den Einschnitt des Jahres 1945 geprägt. Seine Witwe Luzi Korngold schreibt in ihren postum erschienenen Memoiren: "Es war, als hätte er ein Gelübde abgelegt, dass er, solange das Grauen über der Welt lastete, keine Note außerhalb der Filme schreiben wolle." So betrachtet, bedeutetet die Rückkehr zu alten Formen wohl Korngolds besonderen Aufbruch in die neue Zeit. Ihm schien aus dieser Zeit gleichsam jener Orkan entgegenzubrausen, den der Philosoph Walter Benjamin in der vielschichtigen Graphik "Angelus novus" des Paul Klee erkannt hat: "Es gibt ein Bild von Paul Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann."
Gedanken dieser Art scheinen geeignet zu sein, eine angemessene postume Rezeption der Korngoldschen Musik zu inspirieren.
Die Korngolds#
Erich Wolfgang Korngold und sein Vater stehen im Zentrum einer Ausstellung, die vom 28. November 2007 bis zum 18. Mai 2008 im Jüdischen Museum Wien zu sehen sein wird. "Die Korngolds" werden als exemplarisch assimilierte jüdische Bürgersfamilie des frühen 20. Jahrhunderts porträtiert.
Jüdisches Museum, Dorotheergasse 11, 1010 Wien. Mehr unter: Jüdisches Museum Wien
Markus Vorzellner lebt als Pianist mit dem Schwerpunkt Liedbegleitung und als Musikpublizist und Pädagoge in Wien.