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unbekannter Gast

Inspiration in der Sommerfrische#

Einige seiner berühmtesten Werke komponierte er in Pörtschach am Wörthersee#


Von der Wiener Zeitung (Samstag/Sonntag, 29./30. Dezember 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.


Von

Daniel Wagner


  • Johannes Brahms gehörte zu den Komponisten, die ihre produktivsten Zeiten während des Urlaubs auf dem Lande hatten.


Brahmsdenkmal
Innenhof des Schlosses Leonstain in Pörtschach mit Brahmsdenkmal im Vordergrund.
© Agnes Wagner

Pörtschach am Wörthersee, Saisonende. Ein rauer Wind weht um den See, Nebel liegen in der Luft. Das schicke Ferienziel präsentiert sich außerhalb der Reisezeit wie viele andere österreichische Urlaubsorte auch. Gehen die Gäste, hält das ruhige Leben Einkehr. "Gehsteige hochklappen" nennen es Zyniker. Als Phase der Rekreation umschreiben es Touristiker. Aber darum geht es hier gar nicht.

Was zählt, ist die Geschichte. So meditativ und idyllisch, wie sich der Ort im Spätjahr 2012 präsentiert, hat ihn im Frühsommer 1877 auch Johannes Brahms vorgefunden. Der kühle Norddeutsche, der "Dr. Rauschebart" unter Wiens konservativen Musikkräften der Gründerzeit (zu dieser Zeit freilich noch bartlos), der Mann, dessen Leben rückblickend eine einzige Moll-Tonart zu sein scheint, komponierte auf Kärntner Sommerfrische die nachweislich heitersten seiner Werke (Opus 73 bis 79 fallen allesamt in diese Zeit).

In gesunder Luft#

Lag dies an dem milden, mediterranen Klima der Gegend vor den Karawanken? Beflügelten ihn die Unmengen Wein und Bier, die er gemeinsam mit den lokalen Größen der Region verzechte? Inspirierten ihn vielleicht die (wie kolportiert wurde) nächtlichen Nacktbäder vor der Tür seines Domizils? Wer weiß. Faktum ist, dass auch Johannes Brahms den Sommer wie einen Bissen Brot brauchte. Sommerfrische - das war für viele Wienerinnen und Wiener nicht nur Amüsement. Das ungeschriebene Gesetz besagte, dass man, seiner Position entsprechend, die Monate Mai bis September (nach Möglichkeit sogar bis Oktober) in gesunder, ländlicher Luft zu verleben hatte.

Wen es mit dem Kaiser gen Bad Ischl zog, der hatte sich ebenso dem strapaziösen Tagesablauf des Sommerhofes unterzuordnen. Spätestens ab 1880 musste sich auch Brahms in den Reigen der Salzkammergut-Lobbyisten einreihen. Bestes Vorbild war der Salontiger Johann "Schani" Strauß. Dessen Ischler Einladungen machten Legende - und Geschäft.

Darüber hinaus diente die Zeit des Schönwetters den Musikschaffenden, ob sie nun Johannes Brahms, Anton Bruckner, Gustav Mahler oder später Alban Berg hießen, als Zeitraum fürr intellektuelle Erweiterung. Der Künstler hatte das Recht, nein, sogar die Pflicht, die sommerliche Öffentlichkeit zu scheuen, galt es doch, der musikbegeisterten Wiener Welt nach getaner Arbeit Novitäten zu präsentieren. Und wo lässt sich Kreativität besser bewerkstelligen als in der abgelegenen Enklave? Seebad, Komponierhäuschen, Waldhaus... die Rückzugsorte mit der notwendigen Ruhe bedienten darüber hinaus den Nimbus des genialen Eremiten, und waren somit ein gutes Beispiel für gelebte Öffentlichkeitsarbeit.

Im Falle von Brahms wurde also der Wörthersee zur Inspirationsquelle. Wenn er seinem Verleger Fritz Simrock von einem "Nichts am Wasser" berichtet, klingt das hart. Doch er hatte bis zu einem gewissen Grade Recht.

Der kleine, verträumte Ort bot dem Ruhe suchenden Wahlwiener Unterschlupf. Zwei Pioniere der Kärntner Sommerkolonie hatten ihn auf diese Ecke Österreichs aufmerksam gemacht. Die Indus-triellen, Forstwirte, Mäzene Karl Kupelwieser und seine Frau Bertha, geborene Wittgenstein, waren schon zuvor in ihre neu erbaute Wörtherseevilla gezogen. Das edle Pörtschach mit den mächtigen Jahrhundertwendevillen sollte erst erstehen. Rundherum war viel Platz.

Die nächste Bahnstation befand sich in Maria Wörth. Einige Gasthäuser, die kleine katholische Pfarrkirche, in der Mitte thronte das Renaissanceschloss Leonstain. Just dort bezog Brahms seine Bleibe.

Bald schrieb er begeistert an Freund Faber: "Pörtschach liegt allerliebst und ich fand eine niedliche und wie es scheint angenehme Wohnung im Schloß! Das kannst Du im allgemeinen so erzählen, das imponiert . . . "

Die Lage war tatsächlich imposant, doch der Aufenthalt nur bedingt angenehm. Nicht, dass die kleine Hausmeisterwohnung teuer gewesen wäre, dreißig Gulden betrug die Miete für die Saison. Kreativ konnte er sein, das belegt nicht zuletzt die Komposition der unglaublich lebensfrohen D-Dur Symphonie Opus 73. Der eigentliche Wermutstropfen waren die Gastgeber selbst. Baron von Pausinger und seine Gattin Fanny meinten es nur gut, doch für den Ruhe Suchenden zu gut. Die Pausingers waren aufmerksam, überhäuften den Gast mit Geschenken und Einladungen. Die kunstbesessene Fanny von Pausinger aquarellierte mehr als einen Ort, den der Meister mit seiner Präsenz beehrte. All das war für Brahms einfach zu viel.

Ablenkungen#

Erquickliche Ablenkung boten die Wanderungen in die Berge, das Schwimmen im See, anregende Stammtischrunden in Werzers Gasthaus "Zum weißen Rössl" - und natürlich die Besuche von Familie Kupelwiesers Salon. Hier konnte sich Brahms nicht zuletzt gemeinsam mit der Dame des Hauses im Klavierspiel zu vier Händen austoben. Bertha Kupelwieser, die Universalkünstlerin, modellierte 1908 in Erinnerung an die gemeinsame Pörtschacher Zeit eine Büste des Komponisten, die bis heute die Besucher auf Schloss Leonstain empfängt.

Trotz aller gesellschaftlichen Unbilden hatte der erholungssüchtige Städter den Ort schätzen und den See lieben gelernt. Spätestens nach der triumphalen Wiener Uraufführung am 30. Dezember 1877 (Hans Richter dirigierte die Wiener Philharmoniker) war klar, dass das Kärntner Klima seine Energie konzentriert hatte. Unermüdlich applaudierte das hiesige Publikum den Komponisten nach jedem Satz hervor, die Zuhörer genossen nach all dem Brahmsschen "Pathos faustischer Seelenkämpfe", dass er sich endlich der "frühlingsblühenden Erde wieder zuwandte".

Zeitsprung. Der Frühsommer 1878 brachte Johannes Brahms Rückkehr nach Pörtschach. Die Stammtischfreunde begrüßten ihn mit großem Hallo, im Gemeindepfarrer Philipp Kointsch hatte er schon im Jahr zuvor einen kongenialen Kumpanen gefunden.

Johannes Brahms übersiedelte auf die andere Straßenseite, schräg vis-à-vis von Leonstain befand sich das wenig imposante, dafür dem See näher gelegene "Krainerhäuschen". Die Freiheit von Pausingers war dem Komponisten immerhin das Achtfache der Vorjahresmiete für ein gesamtes Stockwerk wert.

Der Erfolg dieses Sommers sollte ihn in der Wahl des Urlaubsortes bestätigen: in überschwänglicher Diktion hatte er dem Wiener Kritikerpapst Eduard Hanslick über den Wörthersee brieflich mitgeteilt, dass "...da die Melodien fliegen, daß man sich hüten muß, keine zu treten".

Wer das D-Dur Violinkonzert Opus 77 anhört, muss vor den vielen, tief fliegenden Melodielinien wirklich beinahe in Deckung gehen. Stilistisch wird es gerne als Symphonie mit Solobegleitung bezeichnet. Tatsächlich, der große orchestrale Aufbau, in dem die Violine oftmals nur als gleichwertiger Partner agiert (Spötter sprechen vom "Konzert gegen die Geige"), lässt den Schluss zu, es handle sich hier um Brahms’ fünfte Symphonie. Der Widmungsträger des Konzertes, der Brahms-Intimus und seinerzeit einer der bedeutendsten Geiger Europas, Joseph Joachim, machte den Komponisten schon im Vorfeld auf diesen - seiner Ansicht nach einem Solokonzert wenig zuträglichen Umstand - aufmerksam. Johannes Brahms ging zumindest von der geplanten Viersätzigkeit des Werkes ab, die Rollenverteilung behielt er bei.

Sein erstes und einziges Violinkonzert war als logische Nachfolge von Beethovens Vorgänger (die gleiche Tonart D-Dur ist nicht zufällig gewählt) in dem für den Norddeutschen typischen Gewand gedacht, so begegnen den Hörern hier nicht zufällig Zitate des Titanen. Freund Joachim hatte das Beethovensche Vorbild vor dem Vergessen gerettet, seit Felix Mendelssohn Bartholdys und Max Bruchs Beiträgen hatte das 19. Jahrhundert zu der Werkgattung wenig Bedeutsames geliefert.

Und nun die gute Luft! Brahms fühlte sich beflügelt, ihm war der sprichwörtliche Knoten aufgegangen. Das Problem an einer derartigen Komposition war, dass sie eigentlich niemand von ihm erwartete. Nicht einmal er selbst. Insofern erscheint es nicht verwunderlich, dass er keinerlei Aufhebens um das neue Werk machte. Bezeichnend ist, dass uns heute über die reine Entstehung des Konzerts genaueste Aufzeichnungen vorliegen, über die Arbeitsschritte aber wenig erhalten blieb.

Als Pianist hatte Brahms einen hervorragenden Ruf erworben, dementsprechend leicht fiel ihm die Komposition seiner Klavierkonzerte, selbst die Verteidigung der von Kritikern monierten Eigenarten darin gelang ihm mühelos. Als Symphoniker bewegte sich Johannes Brahms in klassischen, für das Publikum nachvollziehbaren Mustern.

Ein Achtungserfolg#

Die Violine und ihre Eigenarten kannte er vor allem aus dem intensiven Kammermusizieren mit Freund Joachim. Dieser stand ihm beim Verwirklichen des eigenwilligen Violinkonzerts auch mit Rat zur Seite. Ein Arbeitstreffen in Pörtschach wurde von der Wissenschaft lange Zeit bestritten, konnte aber aus der erhaltenen Korrespondenz zumindest mit eindeutigen Indizien nachgewiesen werden.

Die Leipziger Uraufführung durch Joseph Joachim am Neujahrstag 1879 wurde ein Achtungserfolg. Höflich, aber distanziert nahm das Wiener Publikum den Konzertneuling am 14. Jänner desselben Jahres auf. Eduard Hanslick, Brahms mächtiger Parteigänger, fand wenig schmeichelhafte Worte: "Ein Musikstück von meisterhaft formender und verarbeitender Kunst, aber von etwas spröder Erfindung..." Erst im Laufe seiner Englandtournee gelang es dem Widmungsträger Joachim, den heutigen Platz des Opus 77 zu erobern: hoch oben im Konzerthimmel.

Brahms stand ein letzter, produktiver Sommer in Pörtschach bevor. Jahre später schrieb er von Ischl aus seinem Freund und Biographen Max Kalbeck: "Schöne Sommertage kommen mir in den Sinn und unwillkürlich Manches, mit dem ich dort spazieren ging, so die D-Dur Symphonie, Violinkonzert und Sonate G-Dur, Rhapsodien und derlei."


Daniel Wagner studierte Rechtswissenschaften, Musikwissenschaft und Kunstgeschichte, und ist als Musikkritiker der "Wiener Zeitung" tätig.


Wiener Zeitung, Samstag/Sonntag, 29./30. Dezember 2012