Im Gespräch mit den „Affen der Lüfte“ #
Über das Leben der Graupapageien im afrikanischen Regenwald ist wenig bekannt. Aber Forschungen mit trainierten Vögeln enthüllen ihre verblüffenden kommunikativen und konzeptuellen Fähigkeiten. #
Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von DIE FURCHE (Donnerstag, 29. Oktober 2015)
Von
Martin Tauss
Alex stammte aus einfachen Verhältnissen, aber dank seiner Intelligenz wurde er weltberühmt. Mit seiner Lernfähigkeit, seiner mathematischen Begabung und seinem abstrakten Denken brachte er sein Publikum immer wieder zum Staunen. Geistige Leistung war bei ihm stets großgeschrieben: Für zwei seiner Artgenossen, Wart und Griffin, agierte er sogar als Coach und „Cheerleader“, indem er sie bei Prüfungen lautstark mit Lob oder Tadel bedachte. Eigentlich aber war er verspielt; seine Zeit vertrieb er sich am liebsten mit Korken, Schlüsselketten und Pappkartons. Der Tod kam dann plötzlich, ohne jede Vorwarnung. Im Alter von 31 Jahren erlag er wahrscheinlich einem Herzinfarkt oder Schlaganfall, obwohl sein Cholesterin- Spiegel im Normbereich lag und alle Befunde einer körperlichen Untersuchung kurz zuvor unauffällig waren. Die Trauer der Forscher, die er regelmäßig zu begeistern wusste, war groß. Die Rede ist vom wohl berühmtesten Vertreter der afrikanischen Graupapageien. Seine erstaunlichen kognitiven Leistungen ließen die Erkenntnis wachsen, dass diese Papageienart über eine bislang ungeahnte Intelligenz verfügen muss. Im zarten Alter von 13 Monaten wurde Alex aus einem Haustier-Geschäft in Chicago erworben, um fortan im Dienste der Wissenschaft zu stehen. Seit damals hat die US-amerikanische Sprachforscherin Irene Pepperberg mit dem Vogel eine Beziehung aufgebaut und über Jahrzehnte zahlreiche Versuchsreihen durchgeführt, um seine geistigen Fähigkeiten zu erkunden. Dabei ist übrigens eine „einzigartige Freundschaft“ entstanden – so jedenfalls lautet der Untertitel ihrer Erinnerungen in Buchform (dt. „Alex und ich“, 2009).
„Wir haben viele Hinweise, dass sich Papageien wie kleine Kinder durch Probleme richtig durcharbeiten können“, sagte Pepperberg im Gespräch mit der FURCHE beim Biologicum Almtal. „Die Tiere konnten die gestellten Aufgaben nur durch ihr Denken bestehen, denn wir haben alle anderen Ursachen wie zum Beispiel Raten oder assoziatives Lernen ausgeschlossen.“ Dass die grauen Vögel teilweise so schlau wie Kleinkinder sind, hat vor drei Jahren auch eine an der Universität Wien durchgeführte Studie gezeigt: Dort schüttelten die Forscher zwei Plastikbecher, von denen einer leer, der andere mit einer Walnuss gefüllt war. Die Papageien wussten das klappernde Geräusch zu deuten und drehten den Nuss-Becher mit dem Schnabel um. Wenn nur der leere Becher geschüttelt wurde, steuerte der Papagei zielsicher den anderen Becher an. Auch das Fehlen des Geräusches brachte ihn auf die richtige Spur. Und wurde das Klappergeräusch künstlich eingespielt, der Becher aber nicht geschüttelt, griffen die Papageien gar nicht zu. Dieses Verständnis für den kausalen Zusammenhang von Nuss, Schütteln und Geräusch haben bisher auf Anhieb nur Menschenaffen und Kinder ab drei Jahren geschafft.
Als Haustiere schnappen Papageien meist nur Assoziationen auf. Sie lernen etwa, dass das Klingeln des Mikrowellenherds zu einer Mahlzeit führt, sodann ahmen sie das Geräusch nach. In der wissenschaftlichen Forschung hingegen werden die Vögel darauf trainiert, Gegenstände und deren Eigenschaften zu benennen. Sie lernen, dass der Gegenstand mit einer Bezeichnung in Verbindung steht, wie Pepperberg erzählt: „Immer wieder brachten wir neue Dinge ins Labor, und Alex fragte uns: ‚Was ist das?‘ Er tat dies, um den dazu gehörigen Begriff zu erhalten und uns danach fragen zu können.“ Mit der Zeit konnte der Graupapagei manche Gegenstände anhand ihres Materials identifizieren und mit seiner Vogelstimme mehr als 100 Kennzeichnungen für verschiedene Objekte, Handlungen und Farben zum Ausdruck bringen.
Der tanzende Kakadu #
Und er war imstande, in Kategorien zu denken, erinnert sich Pepperberg: „Wir präsentierten ihm hölzerne Dreiecke in Grün und Blau, und er schaffte es, die Gemeinsamkeiten zu benennen – Form, Materie – ebenso wie die Unterschiede, also Farbe.“ Wurden ihm zwei gleich große Objekte mit unterschiedlicher Farbe vorgelegt, antwortete er auf die Frage nach der „größeren Farbe“ mit „keine!“. Alex verstand es also, mit dem Konzept der Abwesenheit zu arbeiten, betont die Harvard-Forscherin: „Allein das ist bereits ganz schön komplex.“
Der Frage, warum gerade Papageien menschliche Sprachen so gut nachahmen können, ist eine Studie nachgegangen, die heuer im Fachjournal PLOS ONE publiziert wurde. Hier brachte der Blick ins Gehirn neue Einsichten zutage: Denn im Vergleich zu Singvögeln sind die Gehirnzentren des vokalen Lernens bei Papageien von einer zusätzlichen Zellhülle umgeben – und diese ist umso stärker ausgeprägt, je besser die Papageienart sprechen kann. Nicht die absolute Größe des Gehirns ist somit entscheidend, sondern die Ausgestaltung der Gehirnrinde. Ebenfalls interessant: Die Sprachzentren der Papageien sitzen in Hirnbereichen, die auch für die Steuerung von Bewegungen zuständig sind. Dies könnte erklären, warum einige Papageien sogar fähig sind, zu rhythmischer Musik zu tanzen – so wie Kakadu „Snowball“, der nach wie vor auf der Internet- Videoplattform YouTube zu bewundern ist. Dass sich die sprachbegabten Vögel als besonders musikalisch erweisen, wird in der Forschung als Hinweis diskutiert, dass Musikalität ein Nebenprodukt der Sprachentwicklung sein könnte.
„Vielleicht ist es der Gedanke an ein kleines ‚Vogelhirn‘, weshalb die Intelligenz dieser Tiere noch wenig gewürdigt wird“, meint Pepperberg, die sich heute auch für den Schutz wild lebender Papageien engagiert. „Aber gerade angesichts der Bedrohung durch den Klimawandel ist es wichtig wertzuschätzen, dass wir die Welt mit unzähligen anderen intelligenten Wesen teilen. Und dass wir nicht das Recht haben, deren Lebensräume zu zerstören.“