Anmerkungen zum Problem der Bioinvasoren#
Von
Dr. Harald W. Vetter (Mai 2018)
Fachexperten des Umweltbundesamtes schätzen, dass Bioinvasoren, also eingeschleppte Pflanzen- und Tierarten aus anderen Kontinenten, mehr als 10 Prozent der heimischen biologischen Vielfalt zu schädigen in der Lage sind. Mittlerweile gibt es lange Listen von Pflanzen (Neophyten) und Tieren (Neozoen), die die Biodiversität hierzulande nachweislich und nachhaltig gefährden könnten oder es bereits tun. Tierische Einwanderung geschieht sowohl aus dem Populationsdruck heraus als auch durch touristische Fernreisen und illegalen Handel. Ebenso ist dies mit der Flora bestellt, wobei hier gesagt werden muss, dass längstens seit dem 18. und 19. Jahrhundert ein reger Austausch durch so manche herrschaftlichen Schlossgärtner stattfand, vor allem jedoch auch viele Pflanzenarten durch zahlreiche Entdeckungsreisende nach Europa gebracht wurden.
Ein eher positives Beispiel für die heimische Fauna ist der Jagdfasan, der im 19. Jahrhundert auch in Nordeuropa sein Habitat fand. Der Fasan (Phasanius colchicus) stammte ursprünglich aus Ostasien und wurde bereits von den Römern als schmackhaftes Wild nach Westeuropa gebracht. Später wurde er in den mittelalterlichen Höfen des Adels bzw. des Klerus gezüchtet und in der frühen Neuzeit ausgewildert. Der Fasan hat sich in unseren Breiten wacker gehalten, eigentlich kein anderes Flugwild verdrängt, doch als „Niederwild“ wird er heutzutage immer rarer, weil hier die moderne Landwirtschaft und die Chemie leider ein gravierendes Wörtchen mitzureden haben. Da helfen auch die sogenannten „Kistelfasanen“ in Volieren nichts, deren Aussetzung zwecks späterer Bejagung in der Steiermark zu Recht untersagt worden ist.
Doch kommen wir zu zwei negativen Beispielen aus Flora und Fauna, die höchst aktuell sind. Als direkt an der westlichen Grazer Stadtgrenze Wohnender, doch bereits hinter den Hügelketten von Buchkogel, Steinberg und Plabutsch aufhältig, wo die Landschaft allmählich dörflich wird oder Streusiedlungen sich in Wald und Feld verlieren, kann man insbesondere im Bischofgraben bezüglich der Neophyten beeindruckende Erfahrungen machen. In jenem einst so wunderschönen kleinen Talgrund und Naherholungsgebiet, das unsinnigerweise nun zum Standort für eine Großdeponie missbraucht worden ist, unter der übrigens just der Doblbach gespeist wird, hat sich beispielsweise in letzter Zeit das „Drüsige Springkraut“ (Impatiens glandulifera) rapide ausgebreitet. Die Pflanze stammt ursprünglich vom indischen Subkontinent und wurde im 19. Jahrhundert auch in unseren Breiten wohlmeinender Weise als Ziergewächs („Bauernorchidee“) kultiviert. Aufgrund mangelnder forstlicher wie jagdlicher Aufsicht – in einem großflächigen Deponiegebiet ist solches ja auch nicht mehr notwendig – überwuchert das „Drüsige Springkraut“ jetzt sehr rasch Wegböschungen und Bachufer und verdrängt alles, was dort ursprünglich noch gewachsen ist. Darüber hinaus sind Bodenrutschungen die Folge, die standortfremde Pflanzenart ist überdies nicht ganz ungiftig. Mein diesbezügliches Gespräch mit einem Forstexperten endete damit, dass dieser dieses indische Springkraut doch auch als hervorragende „Bienenweide“ ansah und eine – gesetzlich vorgesehene – Rodung als sinnlos erachtete.
Nicht weit vom Bischofgraben entfernt liegt der Thalersee mit dem Thaler Bach. Der See ist für die Grazer bekanntlich ein beliebtes Ausflugsziel. Vor einiger Zeit dürften „Aquarianer“ aus reinem Unwissen oder Mutwillen heraus im See Goldfische (Carassius auratus auratus) ausgesetzt haben. Die Folge war und ist eine unheimliche Vermehrung bis in den Thaler Bach hinein und von dort wohl wieder woanders hin. Auch dieser Zierfisch stammt aus Ostasien und kam im 17. Jahrhundert per Schiff nach Europa. Seitdem erfreut er die Aquarium-Besitzer und beunruhigt nunmehr Biologen und die Fischerei. Diese Spezies ist nämlich ziemlich widerstandsfähig, verdrängt heimische Fischarten, überträgt Parasiten und frisst sich durch die Amphibienlarven, unter anderem die des in diesem Gebiet erstaunlicherweise immer noch vorhandenen und höchst selten gewordenen „Alpenkammmolches“ (Triturus carnifex). Somit ist naturgemäß auch der Goldfisch zu Recht auf einer Gefährder – Liste gelandet, aber wen kümmert das schon? Irgendwelche Maßnahmen, wie etwa Abfischung, sind ohnehin schwierig genug, weil sich die Fische gut im Schlamm verbergen können. Zumindest sollten diese mehr als problematischen Bioinvasoren an die zuständige Umweltabteilung des Landes gemeldet werden. Ob das seitens der dortigen Gemeinde geschehen ist, bleibt zurzeit ungewiss. Die Presse wird sich der Sache hoffentlich annehmen. Vermutlich wird man damit noch selbsternannte Tierschützer mit dem Ruf „Rettet die Goldfische“ auf den Plan rufen. Anderwärts, wie z.B. in Deutschland, haben Tierbefreier sich längst an die Zäune diverser Pelztierfarmen gemacht. Solche Farmen sind, wohlgemerkt, verurteilenswert und müssten endlich untersagt werden, doch mit der Freilassung der kleinen Nager hat man in manchen Gebieten bereits mittlere ökologische Katastrophen in Sachen biozönotisches Ungleichgewicht angerichtet, von denen zumeist nur in Fachzeitschriften berichtet wird.
Was macht aber diese Bioinvasoren wirklich so problematisch? Man könnte meinen, dass neue Flora und Fauna unsere Natur bereichern könnten, doch das ist eher eine naive, ja fast romantische Idee. Die Artenvielfalt kennt immer nur das „Survival oft the fittest“, also die Durchsetzung der am besten ausgerüsteten und angepassten Organismen. Aus einem Ökosystem kommend, in dem extreme Herausforderungen extreme Anpassungen nach sich ziehen müssen, wird es Bioinvasoren zumeist leichter fallen, einem sensiblen und ausgewogenerem Naturraum die Stirn zu bieten, ja diesen förmlich zu „overrulen“, wenn Klima, Topographie und die je eigenen Möglichkeiten und Zurüstungen für die dort vorgefundene Konkurrenz „passend“ erscheinen. Das sind die schlichten Fakten, über die man beunruhigt sein kann oder auch nicht. Vielleicht schon im nächsten halben Jahrhundert wird sich in Europa Klima und Natur von Sizilien bis zum Nordkap auffällig verändert haben. Inwieweit diverse Bioinvasoren dazu zusätzlich beitragen werden, wird sich dann zeigen, wenn ein illusionsloser und fachkundiger Naturschutz diese großen Probleme hier und jetzt nicht in Angriff nimmt.
Weiterführendes#
- Maurer, L.: Neobiota und Invasive Arten (Heimatlexikon)
- Neophyten - Kurzbeschreibungen (Heimatlexikon)
- Gebietsfremde Arten weltweit auf dem Vormarsch (Uni Wien)
- Pilch, G.: Grüne Invasoren setzen Natur unter Druck (Essay)
- Neobiota: Inseln und Küstenregionen am meisten gefährdet (Uni Wien)
- Giebel (Carassius auratus gibelio) (Fauna)
- Karausche (Carassius carassius) (Fauna)