Krabbler auf dem Teller#
Insekten sind als großer Proteinträger eine gefragte Nahrungsquelle. Mehl und Granulat könnten auf Akzeptanz stoßen.#
Von der Wiener Zeitung (26. März 2023) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Alexandra Grass
Im Gegensatz zu Rind, Schwein und Huhn kann man sie platzsparend und ressourcenschonend züchten - und immerhin weisen sie einen ähnlich hohen Proteingehalt auf. Das macht sie als Nahrungsquelle für den Menschen spannend. Die Rede ist von Insekten. Der gelbe Mehlwurm, die europäische Wanderheuschrecke und die Hausgrille sind mittlerweile von der EU als Lebensmittel zugelassen. Ob sie sich als Mehl oder Granulat in Backwaren oder Fertigprodukten durchsetzen werden, darüber scheiden sich die Geister. Ihre Zucht ist auf jeden Fall nicht ganz so unbedenklich, wie man meinen würde, und ob der Westen seine Ernährungskultur hin zu Krabblern ändern wird, steht auch noch in den Sternen.
"60 bis 70 Prozent der wissenschaftlich beschriebenen Tierarten sind Insekten", schildert Andreas Wanninger vom Department für Evolutionsbiologie der Uni Wien, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Sie sind auf allen Kontinenten zu finden, in den unterschiedlichsten Habitaten, und spielen eine zentrale Rolle in den biologischen Netzwerken. Einerseits dienen sie selbst als Nahrung für andere Organismen. Andererseits ernähren sie sich selbst von unterschiedlichsten Pflanzen und Tieren. Für den Menschen spielen sie als Bestäuber eine zentrale Rolle in der Nahrungskette. "Wenn es keine Insekten mehr gäbe, würde die Menschheit wohl verhungern."
Ökologischer Fußabdruck#
Nicht nur der Klimawandel hat veranlasst, dass sich der Mensch auf die Suche nach alternativen ressourcenschonenden Nahrungsquellen für die eigene Spezies begeben hat. Insekten sind reich an bestimmten Vitaminen, Mineralstoffen und sogar Omega-3-Fettsäuren. "Es scheint so zu sein, dass sie eine recht gesunde und ergiebige Nahrungsquelle für den Menschen sein könnten." Es stelle sich dennoch die Frage, in welchen Mengen der Mensch die Insekten überhaupt braucht. Nicht zuletzt steuert der Trend hin zu Veganismus und Vegetarismus, wobei immer mehr Menschen eine vollständig tierlose Ernährung anstreben.
Neben tierloser steht derzeit auch biologisch-nachhaltige Ernährung hoch im Kurs. Wird Bio-Mehlwurm-Mehl auf den Markt kommen? Sind das Pendant zu glücklichen Hühnern glückliche Insekten? Freilich lassen sich Letztere platzsparend und ressourcenschonend züchten. "Man kann auch ,Abfallprodukte‘ verfüttern, die beim ökologischen Anbau ohnehin anfallen und für gewöhnlich entsorgt werden müssen", so Wanninger - ein doppelter Gewinn also.
Ein Manko ist der ökologische Fußabdruck. Denn die Dauer des Lebenszyklus hängt von der Temperatur ab. Bei 25 Grad Celsius überleben die Tiere gut und entwickeln sich auch relativ rasch. "CO2-neutrale industrielle Produktion wird aber auch hier eine Herausforderung werden." Ob man bei Züchtungen in großen Mengen ähnlich wie in der Massentierhaltung ohne Substanzen wie Antibiotika auskommen kann, ist noch nicht klar.
Neue Züchtungen möglich#
Die noch jungen EU-Regelungen könnten auf jeden Fall zum Trendsetter mutieren. Bisher sind vier Insekten als Lebensmittel zugelassen: Seit Juni 2021 der Mehlkäfer (Tenebrio molitor), seit November 2021 die Wanderheuschrecke (Locusta migratoria), seit Jänner 2023 die Hausgrille (Acheta domesticus) und der Buffalowurm (Alphitobius diaperinus).
"Setzt sich der Einsatz von Insekten als Nahrungsmittel durch, wird es wohl auch zu speziellen Züchtungen kommen", erklärt Wanninger. Neue Technologien wie die Genschere Crispr könnten in kürzester Zeit Formen hervorbringen, die besonders reich an Minieralien sind, besonders effizient im Metabolismus, möglichst wenig Nahrung brauchen oder besonders viel Protein beinhalten.
Die Knusper-Heuschrecke am Teller wird vermutlich ein Exotenprodukt bleiben. Das eigentliche Potenzial liegt in der Rohmasse in Form von Granulat oder Mehl.
Bei vielen Konsumenten stehen essbare Insekten noch nicht auf der Einkaufsliste - zumindest nicht als Tier per se. Künftig könnten Backwaren, Cracker, Getreideriegel, Teigwaren oder Fertiggerichte sie durchaus enthalten.
Ekelfaktor Heuschrecke#
Doch warum gruselt uns der Gedanke, an Heuschrecken zu knabbern? "Das hat mit unserer Ernährungskultur zu tun", betont Jürgen König vom Department für Ernährungswissenschaften der Universität Wien. Aber auch damit, dass die typischen Insekten, die in anderen Ländern verzehrt werden, bei uns gar nicht vorkommen. "Ich habe aber auch nicht den Eindruck, dass solche Lebensmittel in der chinesischen, japanischen oder afrikanischen Küche einen besonders großen Stellenwert einnehmen. Sie werden regelmäßig verzehrt, stellen aber keinen sehr häufigen Bestandteil der alltäglichen Ernährung dar."
"Wenn wir es schaffen, Lebensmittel mit Insekten auf dem Markt zu etablieren, könnte sich möglicherweise in Jahrzehnten eine entsprechende Ernährungskultur entwickeln." Da spielen viele Faktoren eine Rolle: in erster Linie der Geschmack, dann die Verfügbarkeit und das soziale Image solcher Produkte. Königs Einschätzung zufolge werden sich Insekten als optisch erkennbares Lebensmittel - etwa als Knabbergebäck - nur in Nischen durchsetzen. Ob das bei verarbeiteten Produkten der Fall sein wird, sei ein anderes Thema.
Karmin und Schellack#
Für jedes Insekt, das auf den Markt gelangen soll, müssen Hersteller in der EU eine Zulassung im Rahmen der "Novel-Food-Verordnung" beantragen. Novel-Food sind neuartige Lebensmittel, die in der EU vor Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang konsumiert werden, heißt es auf der Homepage des Gesundheitsministeriums. Mit der Zulassung wird festgelegt, mit welcher Bezeichnung und in welcher Form das Insekt angeboten werden darf. In der Zutatenliste müssen sie klar und verständlich aufscheinen.
Schon heute sind Insekten übrigens in vielen Produkten im Supermarktregal enthalten - etwa Lack- und Scharlachschildläuse. Aus Letzteren wird roter Farbstoff mit der Bezeichnung "E 120" oder "Karmin" gewonnen. Schellack - "E 904"- verleiht als Glasur Schokolade oder auch Obst Glanz. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis wir ins Insektenbein beißen.