Das „Superfood“ der Zukunft? #
Insekten zu essen, das klingt für die meisten Europäer nach einer exotischen Mutprobe. Doch schon bald könnten die proteinreichen Tierchen zur Normalität auf unserem Speiseplan werden – etwa als nachhaltige Alternative zu Fleisch. #
Mit freundlicher Genehmigung aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (30. August 2018)
Von
Sophie Alena
Wer an Insekten denkt, dem fallen meist krabbelnde, kriechende oder fliegende Tierchen ein, denen man im Garten und in der Natur begegnet. An Insekten als gesundes Mittagessen denkt hierzulande wohl noch kaum jemand. „Entomophagie“, so nennt man das Verzehren von Insekten in der Fachsprache. Dieser Begriff umfasst normalerweise auch Tiere, die Insekten verspeisen, wie Eidechsen, Vögel und Spinnen. Wer spezifisch den menschlichen Insektenverzehr meint, sollte daher von der Entomophagie beim Menschen sprechen. Aber warum sollte es überhaupt in Frage kommen, Insekten zu essen?
Wenig Ressourcenverbrauch #
Insekten werden von vielen Studien als nachhaltige Fleischalternative der Zukunft beschrieben. Sie enthalten – je nach Insektenart – genauso viel Protein wie andere tierische Nahrungsmittel, haben jedoch eine positivere CO2-Bilanz in der Produktion. So entstehen bei der Erzeugung von einem Kilo Rindfleisch etwa 100-mal mehr Treibhausgase als bei der Erzeugung von einem Kilo Mehlwürmer. Auch die Effizienz der Futterverwertung lässt sich im direkten Vergleich sehen: Für die Erzeugung von einem Kilogramm Fleisch müssen bis zu 13 Kilo Nahrungsmittel verfüttert werden – Insekten kommen hingegen mit 1,5 bis zwei Kilogramm aus. Zudem brauchen Insekten kaum Wasser, was sie besonders in trockenen Klimazonen zu einer alternativen Proteinquelle macht.
In über 100 Ländern der Welt finden sich Insekten traditionell auf den Speiseplänen, die meisten Insekten werden in Afrika und Asien verspeist. Sie können entweder im Ganzen gegessen werden oder als Mehl weiterverarbeitet werden. In der EU sind Insekten seit dem 1. Jänner dieses Jahres auch in verarbeiteter Form als neuartige Lebensmittel „Novel Food“ zugelassen. Darunter versteht man Lebensmittel, die „vor dem 15. Mai 1997 nicht in signifikanter Menge in der Europäischen Union als Lebensmittel verzehrt wurden“, wie es in der Leitlinie für gezüchtete Insekten vom Gesundheitsministerium heißt. Der Speiseplan der Zukunft könnte also zu Mittag einen Bufallowurm- Burger vorsehen, Heuschrecken auf Nougat als Dessert und geröstete Mehlwürmer als Snack zwischendurch. Realität ist dies bereits für Christoph Thomann, dem Gründer der Internet- Plattform www.zirpinsects.com, auf der auch Insekten zum Verzehr gekauft werden können. Für ihn ist eines klar: „In fünf bis zehn Jahren werden wir in Europa wieder Insekten essen.“
Historisch gesehen war es nicht immer so, dass man Insekten in unseren Breitengraden verschmäht hat. Bis in die Nachkriegszeit war ein etabliertes Rezept etwa die Maikäfersuppe.
Als einen der Gründe, warum die Insekten in der westlichen Welt vom Speiseplan verschwunden sind, nennt ein Bericht der „Food and Agricultural Organization“ der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2013 die Etablierung von Nutztieren wie Schweinen, Schafen, Rindern und Hühnern. Diese hatten im Gegensatz zu Insekten den Vorteil, dass sie neben dem Fleisch auch Produkte wie Milch, Leder, Wolle oder Eier lieferten. Insekten konnten da nicht mithalten. Und auch das Klima spielte wohl mit: „Eine These ist, dass in anderen Klimaregionen Insekten saisonal in großen Schwärmen auftreten und man sie so leichter einfangen und verspeisen kann. Da es das bei uns nicht gibt, könnte das ein Grund dafür sein, dass sie sich nicht als Nahrungsmittel etablieren konnten“, so die Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler, die sich auf Foodtrends spezialisiert hat. In westlichen Zivilisationen sind laut einer Studie des Sozialökologen Stephen Kellert aus dem Jahr 1993 Insekten zudem meist überwiegend mit negativen Eigenschaften wie Angst und Ekel behaftet sowie als Krankheitsüberträger in Verruf geraten.
Tötung durch Einfrieren #
Um diesen schlechten Ruf zu ändern, betreiben Christoph Thomann und sein Team viel Aufklärungsarbeit. Er hält Vorträge und lässt Menschen selbst Insekten verkosten. „Die Reaktionen sind zu 90 Prozent positiv. Die Frage, die danach oft kommt, ist: Wieso habe ich mich davor so sehr geekelt?“, erzählt Thomann.
Die Insekten, die über seine Website verkauft werden, stammen alle aus kontrollierter Zucht. Der Vertrieb von Wildfang ist in Österreich nicht erlaubt – aus gesundheitlichen Gründen. „Ja, Insekten sind Ungeziefer und ja, Insekten sind möglicherweise auch Krankheitsüberträger. Sie nehmen alles vom Boden auf, was sie finden. Und dementsprechend würde ich auch keine Heuschrecke roh im Garten verzehren wollen“, so Thomann. Rützler ergänzt dazu, dass die Kontrolle der Futtermittel eine wesentliche Rolle spielt: „Das Futter ist eine potenzielle Infektionsquelle. Und wir wissen derzeit noch kaum etwas über Insektenkrankheiten. Deswegen gibt es strenge Auflagen zu den Größen der Aufzucht und zu der Qualität des Futters“, so die Ernährungswissenschaftlerin. Diese Auflagen besagen unter anderem, dass Zuchtbetriebe gewährleisten müssen, dass die Insekten keinen Schadorganismen ausgesetzt sind und gezüchtete Insekten nicht ins Freie gelangen können. Sie dürfen auch nur mit geeigneten Futtermitteln für die Nutztierfütterung versorgt werden, nicht mit Speiseabfällen sowie tierischem Eiweiß. Ein weiterer gesundheitlicher Aspekt sind Allergien – aufgrund der ähnlichen Aminosäuren könnten Menschen, die auf Schalen- und Krustentiere sowie Hausstaubmilben allergisch sind, auch auf Insekten ähnlich reagieren.
Insekten sind Schwarmtiere und werden deshalb in großer Vielzahl gehalten. „Natürlich ist Insektenzucht Massentierhaltung. Aber ich würde das nicht mit einer Schweinemassentierhaltung vergleichen. Insekten leben auch in der freien Wildbahn meistens mit sehr vielen anderen Tieren auf kleinsten Raum zusammen“, sagt Thomann. Bei der Schlachtung gibt es ebenso Unterschiede zu anderen Tieren, die auch Menschen, die sich vegan ernähren, oft davon überzeugen können, dass es ethisch vertretbar ist, Insekten zu essen: Nach bisherigen Forschungserkenntnissen haben Insekten kein Schmerz- und Stressempfinden. Die Tötung erfolgt durch Einfrieren bei zumindest minus 18 Grad, die Tiere schlafen durch den Temperaturabfall ein.
„Zartnussiges Aroma“ #
In Europa konzentriert sich die Zucht für den menschlichen Verzehr zurzeit auf vier Insektenarten: Heuschrecken, Heimchen, Mehl- und Buffalowürmer. Essbar sind jedoch weit mehr Insekten, eine Studie von Lenka Kourimská und Anna Adámková aus dem Jahr 2016 geht von über 2000 bekannten essbaren Spezies aus. Rützler beschreibt den Geschmack der Insekten, die sie bisher probiert hat, als „meist neutral, man schmeckt ein zartnussiges Aroma. Das heißt man kann sie je nach Belieben süß, sauer oder salzig würzen.“
Prognosen gehen davon aus, dass die Weltbevölkerung bis 2050 auf neun Milliarden Menschen anwachsen wird. Das stellt auch die Nahrungsmittelversorgung vor neue Herausforderungen. In den letzten zwanzig Jahren hat sich nämlich der weltweite Fleischkonsum von 20 auf 50 Kilogramm pro Kopf und Jahr erhöht.
„In anderen Esskulturen sind Insekten traditionell verankert und eine wertvolle Zukunftsressource, weil sie mit wenig Einsatz von Ressourcen zu hochwertigen Lebensmitteln hochgezogen werden können. Wir müssen überlegen, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen, und da gehören Insekten für mich auch dazu. Es ist nicht die einzige Lösung, aber durchaus einer von vielen sinnvollen Lösungsansätzen“, sagt Rützler.