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Das defensive Kruckenkreuz#

von Peter Diem

Neben der in Österreich gebräuchlichen Schreibweise "Kruckenkreuz" existieren auch noch die Formen „Krukenkreuz" und „Krückenkreuz". Wie viele Kreuzformen, kommt auch das Kruckenkreuz als Ornament bei zahlreichen frühzeitlichen Völkerschaften vor. Auf einer aus dem 7. vorchristlichen Jahrhundert stammenden Kanne von der Insel Rhodos ist es deutlich sichtbarer Teil der Zierleiste. Auch im lateinamerikanischen Raum ist das Kruckenkreuz nachzuweisen, so etwa auf einem brasilianischen Teppich des 19. Jahrhunderts, wo es übrigens zusammen mit dem Hakenkreuz vorkommt.

Konrad Josef Heilig, der als Deutscher (!) das Traditionsreferat der Vaterländischen Front bekleidete und im Zweiten Weltkrieg fiel, versuchte in seiner grundlegenden Monographie „Österreichs neues Symbol" nachzuweisen, dass sich das Hakenkreuz, dem ja das ständestaatliche Kruckenkreuz in den dreißiger Jahren bewusst gegenübergestellt wurde, nicht von der Kreuzform, sondern von der Form des Wirbels oder der Haspel ableite.

--> Konrad Josef Heilig, Österreichs neues Symbol. Geschichte, Entwicklung und Bedeutung des Krukkenkreuzes. 2. Aufl., Wien 1936, 11

Aus dieser Ableitung - wie auch aus der üblichen Interpretation des Hakenkreuzes als eines Sonnenrades - geht hervor, dass das Hakenkreuz einen dynamischen, das Kruckenkreuz hingegen einen statischen Symbolgehalt hat. Unwillkürlich denkt man beim Kampf dieser beiden Symbole um das Österreich der Zwischenkriegszeit an die Auseinandersetzung zwischen der offensiven Marseillaise und dem defensiven „Gott erhalte" in den napoleonischen Kriegen.

Auf dem berühmten Prunkornat aus dem steirischen Nonnenkloster Göß aus der Zeit um 1230 - der Periode der Entstehung des rot-weiß-roten Bindenschildes - kommen Hakenkreuz und Kruckenkreuz gemeinsam vor. Wenn es einen kunstgeschichtlichen Zusammenhang beider Zeichen gegeben hat - was Experten freilich eher ausschließen -, so dominierte in vorchristlicher Zeit das Hakenkreuz, in nachchristlicher das Kruckenkreuz. Eindeutige Kreuzesdarstellungen finden sich erst im 4. Jahrhundert, da die römischen Christen vor dem Mailänder Edikt Kaiser Konstantins im Jahre 313 das typische „Schandzeichen" kaum einsetzten und das Zeichen der Fische oder das Chi Rho bevorzugten (vgl. den Beitrag über das Kreuz).

Nach Heilig lässt sich das Kruckenkreuz zum ersten Mal auf Münzen nachweisen, die unter dem in der Nähe Wiens um 454 geborenen Ostgotenkönig Theoderich im Mittelmeerraum geprägt wurden. Die Behauptung, dass der „alte germanische Recke" Theoderich, der die Römer bei Tulln geschlagen haben soll und sich dann als erster christlicher Germanenkönig mit der Gründung eines Reiches befasste, das Kruckenkreuz verwendete, war natürlich Wasser auf die Mühlen der Protagonisten eines „christlich-deutschen" Österreich. Während der Nationalsozialismus dem Hakenkreuz eine tragende Rolle im germanischen Bereich zuschrieb, fand Heilig, das Kruckenkreuz sei das „erste wirklich gemeingermanische Symbol geworden": Christlicher Glaube, gemeinsame christliche Kultur seien die historischen Voraussetzungen des Werdens des großen deutschen Volkes gewesen. Diese Einheit verkörpere sich im Kruckenkreuz, dem "christlichen Zeichen germanischer Art, das auf den Fahnen des christlich-deutschen Österreichs erstrahlt"(Heilig, a. a. O., 16). Man sieht hier wieder das krampfhafte Bemühen, die Österreicher an Hand historischer Symbole als die "besseren", "christlichen" Deutschen darzustellen. Von den Ostgoten und Vandalen übernahmen die siegreichen Byzantiner das Kruckenkreuz. In verschiedenen Formen, darunter als Hantelkreuz, überlebte es auf oströmischen Münzen bis um 930. Deutlich sichtbar ist es auf langobardischen Münzen, so unter Rothari (615-652), und im merowingischen Kulturkreis. Die fränkischen Kaiser ersetzten es auf den Münzen durch das Eiserne Kreuz.

Nach der Jahrtausendwende soll sich nach Heilig die Form des Kruckenkreuzes dadurch erneuert haben, dass in den Darstellungen der Kreuzigung nach Johannes 19,19 eine Inschrift-Tafel am oberen und nach Psalm 99,5 („Werft euch am Schemel seiner Füße nieder!") das „Suppedaneum" am unteren Kreuzende angebracht wurden.

Heilig verweist auch auf das in der Wiener Schatzkammer aufbewahrte, zu den Reichskleinodien zählende Reichskreuz, das mit seinen zur Aufnahme von kleineren Reliquien angebrachten Balkenschlüssen tatsächlich die Form eines Kruckenkreuzes hat.

Von besonderer Bedeutung scheint ihm jedoch der Umstand, dass Herzog Rudolf IV. (1358-1365) das Kruckenkreuz manchmal zusammen mit seiner Unterschrift verwendete. Im blumigen Stil der Ständestaat-Ideologie liest sich das wie folgt:

"Er, der das Wort prägte, dass Österreich Herz und Schild des Reiches sei, der in Hausverträgen die spätere große Donaumonarchie anbahnte, auf den das Wappen Niederösterreichs, der Titel Erzherzog zurückgeht, der die Wiener Universität als Bollwerk des Geistes, den Dom zu St. Stephan als Staatsheiligtum errichtete, dieser Fürst, auf dem der Staat Österreich viele Jahrhunderte ruhte, hat mit jenem Zeichen seine eigenhändige Unterschrift beglaubigt, zu dem das neue Österreich seine Zuflucht genommen hat."

Auch hier begegnen wir wieder einer für den defensiven Kern der Dollfuß-Schuschnigg-Staatsdoktrin charakteristischen Sprachfigur: das Zeichen, „zu dem das neue Österreich seine Zuflucht genommen hat". Innerlich war man sich wohl darüber klar, dass gegen die deutsche Übermacht nur mit übernatürlicher Hilfe anzukommen war. „Gott schütze Österreich" - das waren ja auch Schuschniggs letzte Worte in gleichem Sinne. Bezog das Kruckenkreuz zunächst seine ideelle Kraft aus einer eher kontemplativen Auffassung des Kreuzes Christi („Wundmalkreuz"), so wurde es mit den Kreuzzügen zum feudalen und missionarischen Symbol - zwei wichtige Elemente in der gesamten ständestaatlichen Ideologie, die ja, im Hinblick auf ihre zum Teil (klein-)adligen Führerpersönlichkeiten durch die Annahme sekundärfeudalen Gehabes und den Gedanken einer historischen Mission der von ihr entdeckten „Ostmark" geprägt ist. Das Kruckenkreuz wurde als Symbol des Königtums Jerusalem und Symbol der Ritterorden „zum Kreuzfahrerzeichen schlechthin"( a. a. O., 31 ).

In Anlehnung an Johannes 19,34 symbolisiert das von vier Eckkreuzlein umgebene Kruckenkreuz als „Jerusalemkreuz" die fünf Wundmale Christi. Entsprechend dem alten roten Kreuzfahrerzeichen zunächst rot, nahmen die Kreuze ab dem 13. Jahrhundert die Farbe Gold in silbernem Feld an - wie wir aus der Heraldik wissen, eine Ausnahme von der klassischen Farbregel, die offiziell nur dem päpstlichen und dem jerusalemitanischen Wappen zugebilligt wurde. Das letztere war ja ein päpstliches Lehen, wie auch das goldene Kreuz auf silbernem Grund Wilhelms des Eroberers - dargestellt im berühmten Teppich von Bayeux - auf eine direkte Verleihung durch Papst Alexander II. zurückgeht.

--> Alfred Anthony von Siegenfeld, Das Landeswappen der Steiermark. Graz 1900, 28 ff. 

Dazu tritt noch die Wappensage, die besagt, dass man für Gottfried von Bouillon, den „Erfinder" der Kreuzzüge, bewusst ein regelwidriges Wappen (in Silber ein goldenes Kruckenkreuz bewinkelt von vier goldenen Kreuzchen) entworfen habe, um spätere Generationen speziell auf das Besondere der ruhmreichen Feldzüge in das Heilige Land hinzuweisen.

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Bild 'buren'

Das rote Jerusalemkreuz (hierosolymitanisches Kreuz) ist heute noch das Symbol des wahrscheinlich von Papst Alexander VI. um 1496 gegründeten Ordens des Heiligen Grabes zu Jerusalem, dessen Großmeister der Patriarch von Jerusalem ist. Kaiser Friedrich II. „erheiratete" das Jerusalemkreuz, das dadurch in das Wappen des Königreichs beider Sizilien gelangte. Später gelangte auch Venedig durch die Übernahme der Herrschaft von Zypern in seinen Besitz. Sizilien kam über Karl von Anjou an Pedro III. von Aragonien, von wo das Jerusalemkreuz über Ferdinand von Aragonien an Karl V. und damit an die Habsburger fiel. Karl VI., der Vater Maria Theresias, legte nach dem verlorenen Spanischen Erbfolgekrieg das spanische Wappen und damit auch das Jerusalemkreuz ab; dieses gelangte jedoch auf mancherlei Umwegen wieder in den Besitz der Habsburger, da es Franz Stephan von Lothringen als Erinnerungswappen in seine Ehe mit Maria Theresia einbrachte. Das Jerusalemkreuz findet sich aber auch im Wappen Prinz Eugens (Savoyenkapelle im Stephansdom) und in zahlreichen Familienwappen.

Spanische Münze
Quelle: J. R. Cayon, C. Catsan: Monedas Españolas. Madrid 1991
Das Kruckenkreuz (meist im Vierpass) hat auf spanischen Münzen (auch auf jenen der den neuen Münzstätten Südamerikas) eine lange Tradition. Um 1504 ließ Ferdinand der Katholische (1479-1516) Goldmünzen (sogenannte „Pistolen") prägen, die ein perfektes Kruckenkreuz zeigten - die Ähnlichkeit mit der Rückseite der Zwei- und Fünfgroschenstücke der Ersten Republik ist frappierend. Diese Münze existierte stellenweise, so in Burgund, bis 1820.

In der Phantasie des Mittelalters wurde das rote Kruckenkreuz in Silber als allgemeines Symbol des Kreuzrittertums, ja des Rittertums schlechthin angesehen, sodass es sogar mit König Artus, seiner Tafelrunde und der Gralssage in Zusammenhang gebracht wurde. Diese ritterliche Bedeutung veranlasste Heilig zu folgender zusammenfassender Würdigung:

"Das Kruckenkreuz hat wirklich keinen Vergleich zu scheuen mit dem anderen Zeichen, das zum Symbol eines deutschen Staates wurde, dem Hakenkreuz. Zwar beginnen beide Zeichen gleich; in grauer Vorzeit tauchen sie auf. Anders aber und grundverschieden entwickeln sie sich, da sie historisch greifbar werden ..." (a. a. O., 54)

Kruckenkreuz © P. Diem
Kruckenkreuz an einem Haus in Kalkstein/Osttirol
- Foto: P. Diem
Der Unterschied lag für Heilig darin, dass das Hakenkreuz als allgemeines Sonnensymbol und Glückszeichen praktisch nichts mit dem Christentum zu tun habe. Seine Funktion im Germanentum müsse „seit hundert Jahren" durch „geistreiches, aber unsicheres Vermuten und Deuteln" erschlossen werden. Das Kruckenkreuz hingegen sei bei Schriftstellern, auf zahllosen Münzen und Wappen bezeugt. Es sei durch den „Sohn des späteren Österreichs" Dietrich von Bern (der mit Theoderich identischen literarischen Gestalt) zum „Zeichen christlicher,  germanischer, universaler Art" erhoben worden, es stelle die „arteigene, spezifisch germanische Ausdrucksweise des höchsten christlichen Zeichens" dar. Von Gottfried von Bouillon bis Kaiser Otto reiche die verbürgte Tradition des Jerusalemkreuzes, wodurch das Kruckenkreuz „wahrhaftig eine ruhmreiche Geschichte" habe, „voll inniger Beziehungen zum Christentum, zum Deutschtum, zu Österreich, Beziehungen, wie sie das Hakenkreuz aber auch nicht in einem Belange aufweisen kann".

Am 1. September 1933 berichtete die „Wiener Zeitung", dass das Kruckenkreuz zum Symbol der Vaterländischen Front erwählt worden sei. Seine Publikation erfolgte am 11. September 1933 anlässlich der „Trabrennplatz-Rede" von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, in der dieser gutgläubig zwei symbolische Anleihen machte, die uns heute eher gespenstisch vorkommen: Nach dem Vorbild Hitlers verwendete er die Phrase „Österreich erwache" und unter wörtlicher Bezugnahme auf die Kreuzzüge die Formel „Gott will es". (Unter dem Slogan „Deus vult" wateten die „christlichen" Kreuzritter bis zu den Knöcheln im Blut der Sarazenen. - Bild oben Mitte)

Noch einmal im Klartext: das Kruckenkreuz symbolisiert für die Ideologen des "christlich-deutschen Österreich" das christliche Germanentum, das Hakenkreuz das heidnische. In diesem Zeichen wollte der VF-Staat gegen den NS-Staat bestehen. Selbst Karl Kraus konnte dem Versuch, dem Hakenkreuz das Kruckenkreuz als „einfaches Kreuz" entgegenzustellen, seine Anerkennung nicht versagen.

--> Karl Kraus, Die Dritte Walpurgisnacht. München 1952, 224

Foto ONB
Foto ONB
Eine etwas banalere Interpretation teilte der verstorbene Maler Prof. Carry Hauser dem Verfasser brieflich mit: "Wir verlängerten in nächtlichen Aktionen die Halbbalken des allenthalben sichtbaren Hakenkreuzes und erzeugten so das Kruckenkreuz."

Das Kruckenkreuz wurde aber nicht nur als Kampfsymbol gegen den Nationalsozialismus eingesetzt. Wie die Verhüllung der drei Büsten des Republikdenkmals an der Wiener Ringstraße durch Kruckenkreuzfahnen im Februar 1934 zeigt, diente es auch zur mystischen „Austreibung" eines für dämonisch wirksam empfundenen Sozialismus (Abb. links).
War das Kruckenkreuz für Seipel vermutlich mehr Ausdruck seiner Forderung nach „Sanierung der Seelen", so heftete es Dollfuß als Gegenstück zum Hakenkreuz auf seine „Führerstandarte".

Dort verblieb es, wurde vorangetragen und schmückte manche Stirnwand, bis sich Schuschnigg entschloss, entgegen seinem Aufruf „Rot-Weiß-Rot bis in den Tod" (24. 2. 1938) „der Gewalt zu weichen", sich „ohne wesentlichen Widerstand, ohne Widerstand" zurückzuziehen und das vor der Okkupation stehende Österreich „mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch" dem Schutz Gottes zu empfehlen. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass das Kruckenkreuz keineswegs erst mit der ständischen Verfassung vom 1. Mai 1934 offiziell verwendet wurde. Auch darüber gibt Heilig in seinem Schlusskapitel Auskunft.

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 Auf Bundeskanzler Ignaz Seipels Anregung wurde für das Große Ehrenzeichen der Ersten Republik die Kruckenkreuzform gewählt. Das erste Ehrenzeichen wurde am 4. November 1922 gestiftet: einem muschelförmigen, goldenen Strahlenstern wurde ein wuchtiges schwarzemailliertes, Kruckenkreuz mit schmalem Goldrand aufgelegt. Heilig vermutete, dass es die Kreuzrittersymbolik war, die Seipel dabei im Auge hatte (links).

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Seipel hatte auch angeregt, die Zwei- und Fünfgroschenmünze (ab 1924 bzw. 1931) mit dem Kruckenkreuz zu versehen. Im Motivenbericht zur Schaffung der Münze wurde jedenfalls auf die Funktion des Kruckenkreuzes als Ordenszeichen hingewiesen (ggl. hiezu den Beitrag über die Münzen).

Das Kruckenkreuz war in den Münzbildern massiv und gedrungen - fast könnte man es als die Verbindung von vier Hämmern deuten, was möglicherweise eine (un-)bewusste Konzession an die Arbeiterschaft gewesen sein könnte. In der nach dem Tod Seipels verwendeten Form erscheint das Kruckenkreuz weiß mit roten Konturen und damit zweifellos eleganter (siehe unten). Dadurch wurde es vom semiotischen Standpunkt aus aber wieder geschwächt: Das zarte, rot-weiß-rote, statische Kruckenkreuz war symbolpublizistisch im Nachteil gegenüber dem massiven, schwarzen, dynamischen Hakenkreuz.

Die Symbole der Berufsstände#

Neben dem nimbierten Doppeladler als dem Symbol des Bundesstaates Österreich und dem Kruckenkreuz (der Kruckenkreuzflagge) als dem Symbol der Vaterländischen Front gab sich der Ständestaat noch eine Reihe weiterer Symbole, nämlich acht Ständeabzeichen.  Die Verfassung vom 1. Mai 1934 hatte der eigentlichen Gesetzgebung des Bundes insgesamt vier beratende Gremien vorgeordnet: den Staatsrat, den Bundeskulturrat, den Bundeswirtschaftsrat und den Länderrat. In Art. 48 Abs. 4 wurde bestimmt, dass die Rekrutierung der siebzig bis achtzig Mitglieder des Bundeswirtschaftsrates aus sieben „berufsständischen Hauptgruppen" zu erfolgen habe. Diese Hauptgruppen und ihre Vertreter waren nach dem Verfassungsübergangsgesetz 1934:

Land- und Forstwirtschaft (29 Vertreter) -  Industrie und Bergbau (15) - Gewerbe (12) - Handel und Verkehr (9) -
Geld-, Kredit-und Versicherungswesen (5) - Freie Berufe (5) - Öffentlicher Dienst (7)

Das ergibt 82 Vertreter, also zwei mehr als achtzig, was aber offenbar niemanden störte (!).

Der bekannte österreichische Architekt Clemens Holzmeister (1886-1983) neben Rudolf Henz und Guido Zernatto einer der führenden Vertreter des Geisteslebens im Ständestaat - schuf für jeden der sieben Berufsstände und für die „kulturellen Gemeinschaften" eine Art modernes „Zunftzeichen". Diese Symbole aus der Hand des berühmten Baukünstlers, die viel über die Ideologie des „christlichdeutschen Ständestaates", seine Wirtschafts- und Kulturauffassung aussagen, sollen im folgenden kurz analysiert werden:

Graphik: Barbara Guggenberger
Graphik: Barbara Guggenberger
Appell der VF in Graz, 4.3.1937, Foto: ONB
Appell der VF in Graz, 4.3.1937, Foto: ONB



Die Landwirtschaft wird durch einen stilisierten grünen Spaten auf schwarzem Grund dargestellt. Dieser Berufsstand war damals nicht nur als sozioökonomische Gruppe bedeutend, sondern auch aus politisch-ideologischen Gründen so stark vertreten. Das Grün steht für Natur und Heimat, das Schwarz symbolisiert Ackererde und den klerikalen Gedanken.

Industrie und Bergbau wird durch ein in ein schwarzes Zahnrad gesetztes schwarzes Dreibein („Triquetra") auf goldenem Grunde symbolisiert. Hier signalisiert das Schwarz Eisen, Kohle und Ruß, das Gold die Bergschätze und die Finanzkraft der Industrie. Wenn man weiß, dass die Deutsche Arbeitsfront (DAF), die am 10. 5. 1933 durch Übernahme der Gewerkschaften gegründete Organisation „der schaffenden Deutschen der Stirn und der Faust", ein schwarzes Hakenkreuz in einem schwarzem Zahnrad auf weißem Grund führte, könnte man auf den Gedanken kommen, hier eine Verbindung herzustellen, obwohl Holzmeister alles andere als ein Sympathisant der NSDAP war. Auch die Flagge der rechtsextremen Südafrikanischen Burenbewegung drängt sich zum Vergleich auf. Vermutlich hat Holzmeister das alte heraldische Zeichen des Dreibeins (es kommt im Wappen der Insel Man und in jenem des Königreiches Sizilien vor) als ein Symbol für die menschliche Inititative im Gegensatz zur Maschine verstanden.

Das Gewerbe wird durch ein rotes Richtscheit mit Dreieck auf silbernem Grund dargestellt. Das Handwerk hat also nur mehr im Sprichwort goldenen Boden. Rot mag auf die Esse des Schmiedes oder auf den Färberberuf hinweisen.

Handel und Verkehr erhalten von Staatskünstler Holzmeister das traditionelle Merkur-Zeichen in Blau auf Silber. Merkur ist schließlich nicht nur der Gott des Handels, sondern auch das Symbol des Quecksilbers. Blau steht für Handel und Wandel - importiert nicht der Kaufmann blaues Tuch aus einem Land weit über dem Meer?

Das Geld-, Kredit- und Versicherungswesen dürfte der Architekt nicht besonders tief in sein christlich-soziales Herz geschlossen haben. Wie sonst ist zu erklären, dass er das chemische Zeichen für das seltsame Mineral Auripigment (Rauschgold), eine giftige Arsenverbindung (As2S3), in Gold auf Grün wählte? Auripigment wurde schon in der Antike als Goldfarbe und als Enthaarungsmittel verwendet. Die Alchimisten forderte es wie kein anderes Mineral zur Goldgewinnung heraus.

Bei den Freien Berufen galt es, Architekten, Ärzte, Rechtsanwälte usw. in einem Symbol zu vereinen - keine leichte Aufgabe. Holzmeister versuchte sie durch das Zeichen für die Stadt (Mauer mit Zinnen und Stadttor), die Schale mit der Äskulapnatter und die Waage zu lösen. Als Farben wählte er das vornehme Gold auf schwarzem Grund. Dieses Symbol wurde in der Praxis weiter vereinfacht.

Einfach und eindeutig ist die Darstellung des Öffentlichen Dienstes: das silberne Richtschwert auf grünem Grund. Da kam dem Stahl des Schwertes die Farbe der Polizeiuniform zu Hilfe.

Nun stellte sich der Meister noch die Aufgabe, das gesamte kulturelle Schaffen Österreichs unter einen symbolischen Hut zu bringen, wobei auch die Religion nicht vergessen werden durfte. Das Ergebnis war in Rot ein goldenes Dreieck mit Kreuz, das die Kirche darstellt, darunter als Symbol für Wissenschaft und Kunst eine „Weltscheibe". Diese läßt sich durch den über die horizontale Linie gesetzten Punkt auch als die Stilisierung der berühmten Skizze der Proportionen des Menschen im Kreis durch Leonardo da Vinci deuten. Die Farben Gold und Purpur sprechen für sich - Holzmeister war schließlich Präsident des Katholikentages 1933.

--> Jan Tabor (Hg.), Kunst und Diktatur. Ausstellungskatalog. Baden 1994, 139

Den acht „berufsständischen Zeichen" kam in der Praxis eine hauptsächlich zeremonielle Wirkung zu. Sie wurden bei Umzügen mitgeführt und auf Wandteppichen dargestellt. Ein nachhaltiges Echo im Volk dürften sie nicht hervorgerufen haben.

24.2.1938 - Schuschnigg spricht vor dem Bundestag
24.2.1938 - Schuschnigg spricht vor dem Bundestag - Foto: ONB
1938 war der Kampf der "christlichen" gegen die "heidnische" Kreuzsymbolik verloren gegangen, denn der "christlich-deutsche", autoritäre Ständestaat hatte nicht nur versucht, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben, sondern es auch unterlassen, durch die Versöhnung mit der Arbeiterschaft genügend innere Kraft zu gewinnen.

Aus heutiger Sicht lässt sich nur schwer erklären, warum Dr. Kurt Schuschnigg nach seiner fanatischen Rede am 8. März 1938 (Video!) ein paar Tage später den Einmarsch der Truppen des Deutschen Reichs widerstandslos hinnahm.

Psychologisch steht hinter dieser Haltung nicht nur die vermutete Aussichtslosigkeit von Verteidigungsmaßnahmen, vielmehr ist darin die Spätfolge einer parteiübergreifenden Geisteshaltung zu sehen, die vom Anschlussartikel der Verfassung 1918 bis zur Proklamation eines christlich-deutschen Ständestaates und zur Anschlussempfehlung Dr. Karl Renners reichte.

--> Siehe hiezu auch den Beitrag von Michael Göbl zur Heraldik des Ständestaats
Video einer Schuschnigg-Kundgebung

Wie schon im Titel treffend zum Ausdruck kommt, war das Kruckenkreuz ein defensives, also statisches Symbol. Damit gegen das dynamische Hakenkreuz in der öffentlichen Meinung anzukämpfen, hatte a priori eine schlechte Prognose. Nur: Was hätte man machen sollen ? Auch aus heutiger Sicht muss man leider einräumen, dass das Hakenkreuz ein sehr wirkungsmächtiges, leider gut gelungenes Symbol war. Nur der Ordnung halber: Der Autor des vorliegenden Kommentars distanziert sich strikt vom Nationalsozialismus, was aber einen Erklärungsversuch betreffend dessen Massenwirkung nicht behindern darf.

Dass Schuschnigg nachgeben musste, hängt auch damit zusammen, dass Italien seine Unterstützung versagte ("Mussolini das werde ich ihnen nie vergessen", so Hitler) und seine Generale Jansa und Zehner zutiefst zerstritten waren, weshalb der "Jansa-Plan" für die Verteidigung Österreichs nicht realisiert werden konnte, obwohl er operativ sehr gut war.

Der Kanzler war also keineswegs allein verantwortlich, sondern hatte eher die bitteren Konsequenzen aus den Fakten zu ziehen, was sein Umschwenken erklären könnte. Dazu kam noch, dass das Bundesheer nicht mehr unbedingt verlässlich war, wie der von Heeresangehörigen durchgeführte hinterhältige Dollfuß-Mord zeigt. Der Nationalsozialistische Soldatenring unter der Führung von Maximilian de Angelis besetzte praktisch fast alle Positionen in den "Höheren Offizierskursen", zu deren Kommandanten man de Angelis unverständlicherweise aber ganz offensichtlich auf Druck Hitlers ernannte hatte. Die Bio von Oberst i. G. Heinrich Kodré zeigt dies deutlich: Obwohl er zehn Jahre zu alt für die Generalstabsausbildung war und keine der drei obligatorischen strengen Vorprüfungen abgelegt hatte, schaffte er die Aufnahme durch seinen 1935 erfolgten Beitritt zur Ortsgruppe Steinabrückl der NSDAP problemlos und wurde somit zum Jahrgangskameraden und persönlichen Freund des um zehn Jahre jüngeren Robert Bernardis.

Weitere Beispiele für das "Überleben" des ständestaatlichen Doppeladlers#

Otto Bauer Gasse
Trafik in der Otto-Bauergasse - Foto: P. Diem
Trafik
Trafik
HTL_Bregenz
HTL Bregenz - Foto: P. Diem
HTL_Bregenz
Eingang Justizpalast - Foto: P. Diem

Finanzlandesdirektion in Feldkirch
Finanzlandesdirektion in Feldkirch - Foto:
Die Finanzlandesdirektion Vorarlberg wurde vom Wiener Architekten Ernst Dittrich 1911/12 erbaut. Sie ist eher dem Darmstädter Jugendstil verpflichtet als der Wiener Schule. Eine besondere Beziehung zu J. M. Olbrich wäre durchaus denkbar. Der Bau hat drei farbige Fassaden (Schillerstraße, Gilmstraße und Graf Hugo Wuhrgang) und eine graue Fassade (Rückseite). In diesem Haus wurde bis 1919 nicht nur Vorarlberg sondern auch Liechtenstein, welches damals noch Zoll- und Steuertechnisch zur k.k. österreichischen Monarchie gehörte, verwaltet. Das Liechtensteiner Wappen an der Frontseite des Hauses dokumentiert dies heute noch.

Quelle: Gerhard Winkler. Gruß aus Alt-Feldkirch. Bild von ca. 1913

Beachte:
Der Autor distanziert sich ausdrücklich von jeglicher Absicht, die Symbole autoritärer, faschistischer, nationalsozialistischer und anderer antidemokratischer oder unmenschlicher Systeme zu verherrlichen oder zu propagieren. Ihre Aufnahme in das Austria-Forum dient einzig und allein wissenschaftlichen und aufklärererischen Zielen und dem vollständigen Verständnis der österreichischen Zeitgeschichte.