Seite - 51 - in Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
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Einklang
Es ist schwer und verantwortungsvoll, von Fedor Michailowitsch Dostojewski
und seiner Bedeutung für unsere innere Welt würdig zu sprechen, denn dieses
Einzigen Weite und Gewalt will ein neues Maß.
Ein umschlossenes Werk, einen Dichter vermeinte erstes Nahen zu finden
und entdeckt Grenzenloses, einen Kosmos mit eigen kreisenden Gestirnen
und anderer Musik der Sphären. Mutlos wird der Sinn, diese Welt jemals
restlos zu durchdringen: zu fremd ist erster Erkenntnis ihre Magie, zu weit ins
Unendliche verwölkt ihr Gedanke, zu fremd ihre Botschaft, als daß die Seele
unvermittelt aufschauen könnte in diesen neuen wie in heimatlichen Himmel.
Dostojewski ist nichts, wenn nicht von innen erlebt. Im tiefsten müssen wir
die eigene Kraft des Mitfühlens und Mitleidens erst prüfen und stählen zu
einer neuen gesteigerten Empfänglichkeit: bis zu den untersten geheimsten
Wurzeln unseres Wesens müssen wir graben, um die Zusammenhänge mit
seiner erst phantastischen und dann wundervoll wahren Menschlichkeit zu
entdecken. Nur dort, ganz im Untersten, im Ewigen und Unabänderlichen
unseres Seins, Wurzel in Wurzel, können wir uns Dostojewski zu verbinden
hoffen; denn wie fremd scheint äußerem Blick diese russische Landschaft,
die, wie die Steppen seiner Heimat, weglose und wie wenig Welt von unserer
Welt! Nichts Freundliches umfriedet dort lieblich den Blick, selten rät eine
sanfte Stunde zur Rast. Mystische Dämmerung des Gefühls, trächtig von
Blitzen, wechselt mit einer frostigen, oft eisigen Klarheit des Geistes, statt
warmer Sonne flammt vom Himmel ein geheimnisvoll blutendes Nordlicht.
Urweltlandschaft, mystische Welt hat man mit Dostojewskis Sphäre betreten,
uralt und jungfräulich zugleich, und süßes Grauen schlägt einem entgegen wie
vor jeder Nahheit ewiger Elemente. Bald schon sehnt sich Bewunderung
gläubig zu verweilen, und doch warnt eine Ahnung das ergriffene Herz, hier
dürfe es nicht heimisch werden für immer, müsse es doch wieder zurück in
unsere wärmere, freundlichere, aber auch engere Welt. Zu groß ist, spürt man
beschämt, diese erzene Landschaft für den täglichen Blick, zu stark, zu
beklemmend diese bald eisige, bald feurige Luft für den zitternden Atem. Und
die Seele würde fliehen vor der Majestät solchen Grauens, wäre nicht über
dieser unerbittlich tragischen, entsetzlich irdischen Landschaft ein
unendlicher Himmel der Güte sternenklar ausgespannt, Himmel auch unserer
Welt, doch höher ins Unendliche gewölbt in solchem scharfen geistigen Frost,
als in unseren linden Zonen. Beruhigter Aufblick aus dieser Landschaft zu
ihrem Himmel spürt erst die unendliche Tröstung dieser unendlichen
irdischen Trauer, und ahnt im Grauen die Größe, im Dunkel den Gott.
Nur solcher Aufblick zu seinem letzten Sinne vermag unsere Ehrfurcht vor
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Drei Meister
Balzac - Dickens - Dostojewski
- Titel
- Drei Meister
- Untertitel
- Balzac - Dickens - Dostojewski
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1920
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 134
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
- Balzac 7
- Dickens 29
- Dostojewski 50
- Einklang 51
- Das Antlitz 54
- Die Tragödie seines Lebens 56
- Sinn seines Schicksals 66
- Die Menschen Dostojewskis 77
- Realismus und Phantastik 90
- Architektur und Leidenschaft 103
- Der Überschreiter der Grenzen 113
- Die Gottesqual 121
- Vita Triumphatrix 131