Seite - 121 - in Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
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Die Gottesqual
âGott hat mich mein ganzes Leben lang gequĂ€lt.â
Dostojewski
âGibt es einen Gott oder nicht?â fĂ€hrt Iwan Karamasoff in jenem
furchtbaren ZwiegesprÀch seinen DoppelgÀnger, den Teufel, an. Der
Versucher lÀchelt. Er hat keine Eile zu antworten, die schwerste Frage einem
gemarterten Menschen abzunehmen. âMit grimmiger HartnĂ€ckigkeitâ dringt
Iwan nun in seiner Gottesraserei auf den Satan ein: er soll, er muĂ ihm
Antwort stehen in dieser wichtigsten Frage der Existenz. Aber der Teufel
schĂŒrt nur den Rost der Ungeduld. âIch weiĂ es nichtâ, antwortet er dem
Verzweifelten. Nur um den Menschen zu quĂ€len, lĂ€Ăt er ihm die Frage nach
Gott unbeantwortet, lĂ€Ăt er ihm die Gottesqual.
Alle Menschen Dostojewskis und nicht als Letzter er selbst haben diesen
Satan in sich, der die Gottesfrage stellt und nicht beantwortet. Allen ist jenes
âhöhere Herzâ gegeben, das fĂ€hig ist, sich mit diesen qualvollen Fragen zu
quĂ€len. âGlauben Sie an Gottâ, herrscht Stawrogin, ein anderer, Mensch
gewordener Teufel, plötzlich den demĂŒtigen Schatow an. Wie einen
Brandstahl stöĂt er ihm die Frage mörderisch ins Herz. Schatow taumelt
zurĂŒck. Er zittert, er wird bleich, denn gerade die Aufrichtigsten bei
Dostojewski zittern vor diesem letzten Bekenntnis (und er, wie hat er selbst
davor gebebt in heiligen Ăngsten). Und erst wie ihn Stawrogin mehr und
mehr bedrĂ€ngt, stammelt er aus blassen Lippen die Ausflucht: âIch glaube an
RuĂland.â Und nur um RuĂlands willen bekennt er sich zu Gott.
Dieser verborgene Gott ist das Problem aller Werke Dostojewskis, der Gott
in uns, der Gott auĂer uns und seine Erweckung. Als echtem Russen, dem
gröĂten und wesenhaftesten, den dies Millionenvolk gebildet, ist ihm nach
seiner eigenen Definition diese Frage um Gott und die Unsterblichkeit die
âwichtigste des Lebensâ. Keiner seiner Menschen kann der Frage entweichen:
sie ist ihm angewachsen als Schatten seiner Tat, bald ihnen vorauslaufend,
bald ihnen als Reue im RĂŒcken. Sie können ihr nicht entfliehen, und der
einzige, der versucht, sie zu verneinen, dieser ungeheuere MĂ€rtyrer des
Gedankens, Kirillow, in den âDĂ€monenâ, muĂ sich selbst töten, um Gott zu
töten â und beweist damit, leidenschaftlicher als die anderen, seine Existenz
und Unentrinnbarkeit. Man blicke doch auf seine GesprÀche, wie die
Menschen vermeiden wollen, von Ihm zu sprechen, wie sie Ihm ausweichen
und ausbiegen: sie möchten immer gern unten bleiben im niedern GesprÀch,
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Drei Meister
Balzac - Dickens - Dostojewski
- Titel
- Drei Meister
- Untertitel
- Balzac - Dickens - Dostojewski
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1920
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 134
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Romain Rolland als Dank fĂŒr seine unerschĂŒtterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
- Balzac 7
- Dickens 29
- Dostojewski 50
- Einklang 51
- Das Antlitz 54
- Die Tragödie seines Lebens 56
- Sinn seines Schicksals 66
- Die Menschen Dostojewskis 77
- Realismus und Phantastik 90
- Architektur und Leidenschaft 103
- Der Ăberschreiter der Grenzen 113
- Die Gottesqual 121
- Vita Triumphatrix 131