Page - 67 - in Amerika
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Weg nach Ramses
In dem kleinen Wirtshaus, in das Karl nach kurzem Marsch kam, und das
eigentlich nur eine kleine letzte Station des New Yorker Fuhrwerkverkehrs
bildete und deshalb kaum für Nachtlager benützt zu werden pflegte, verlangte
Karl die billigste Bettstelle, die zu haben war, denn er glaubte, mit dem
Sparen sofort anfangen zu müssen. Er wurde, seiner Forderung entsprechend,
vom Wirt mit einem Wink, als sei er ein Angestellter, die Treppe
hinaufgewiesen, wo ihn ein zerrauftes, altes Frauenzimmer, ärgerlich über den
gestörten Schlaf, empfing und, fast ohne ihn anzuhören, mit
ununterbrochenen Ermahnungen, leise aufzutreten, in ein Zimmer führte,
dessen Tür sie, nicht ohne ihn vorher mit einem Pst! angehaucht zu haben,
schloß.
Karl wußte zuerst nicht recht, ob die Fenstervorhänge bloß herabgelassen
waren oder ob vielleicht das Zimmer überhaupt keine Fenster habe, so finster
war es; schließlich bemerkte er eine kleine, verhängte Luke, deren Tuch er
wegzog, wodurch einiges Licht hereinkam. Das Zimmer hatte zwei Betten,
die aber beide schon besetzt waren. Karl sah dort zwei junge Leute, die in
schwerem Schlafe lagen und vor allem deshalb wenig vertrauenswürdig
erschienen, weil sie, ohne verständlichen Grund, angezogen schliefen; der
eine hatte sogar seine Stiefel an.
In dem Augenblick, als Karl die Luke freigelegt hatte, hob einer der
Schläfer die Arme und Beine ein wenig in die Höhe, was einen derartigen
Anblick bot, daß Karl trotz seinen Sorgen in sich hineinlachte.
Er sah bald ein, daß er, abgesehen davon, daß auch keine andere
Schlafgelegenheit, weder Kanapee noch Sofa, vorhanden war, zu keinem
Schlafe werde kommen können, denn er durfte seinen erst wiedergewonnenen
Koffer und das Geld, das er bei sich trug, keiner Gefahr aussetzen. Weggehen
aber wollte er auch nicht, denn er getraute sich nicht, an der Zimmerfrau und
dem Wirt vorüber das Haus gleich wieder zu verlassen. Schließlich war es ja
hier doch vielleicht nicht unsicherer als auf der Landstraße. Auffallend war
freilich, daß im ganzen Zimmer, soweit sich das bei dem halben Licht
feststellen ließ, kein einziges Gepäckstück zu entdecken war. Aber vielleicht
und höchstwahrscheinlich waren die zwei jungen Leute die Hausdiener, die
der Gäste wegen bald aufstehen mußten und deshalb angezogen schliefen.
Dann war es allerdings nicht besonders ehrenvoll, mit ihnen zu schlafen, aber
desto ungefährlicher. Nur durfte er sich aber, solange das nicht außer jedem
Zweifel stand, auf keinen Fall zum Schlafe niederlegen.
Unter dem Bett stand eine Kerze mit Zündhölzchen, die sich Karl mit
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book Amerika"
Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik