Page - 105 - in Amerika
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Der Fall Robinson
Da klopfte ihm jemand auf die Schulter. Karl, der natürlich dachte, es wäre
ein Gast, steckte den Apfel eiligst in die Tasche und eilte, kaum daß er den
Mann ansah, zum Aufzug hin.
»Guten Abend, Herr Roßmann«, sagte nun aber der Mann, »ich bin es,
Robinson.«
»Sie haben sich aber verändert!« sagte Karl und schüttelte den Kopf.
»Ja, es geht mir gut«, sagte Robinson und sah an seiner Kleidung hinunter,
die vielleicht aus ziemlich feinen Stücken bestand, aber so
zusammengewürfelt war, daß sie geradezu schäbig aussah. Das Auffallendste
war eine offenbar zum erstenmal getragene weiße Weste mit vier kleinen,
schwarz eingefaßten Täschchen, auf die Robinson auch durch Vorstrecken der
Brust aufmerksam zu machen suchte.
»Sie haben teuere Kleider«, sagte Karl und dachte flüchtig an sein schönes
einfaches Kleid, in dem er sogar neben Renell hätte bestehen können und das
die zwei schlechten Freunde verkauft hatten.
»Ja«, sagte Robinson, »ich kaufe mir fast jeden Tag irgend etwas. Wie
gefällt Ihnen die Weste?«
»Ganz gut«, sagte Karl.
»Es sind aber keine wirklichen Taschen, das ist nur so gemacht«, sagte
Robinson und faßte Karl bei der Hand, damit sich dieser selbst davon
überzeuge. Aber Karl wich zurück, denn aus Robinsons Mund kam ein
unerträglicher Branntweingeruch.
»Sie trinken wieder viel«, sagte Karl und stand schon wieder am Geländer.
»Nein«, sagte Robinson, »nicht viel«, und fügte im Widerspruch zu seiner
früheren Zufriedenheit hinzu: »Was hat der Mensch sonst auf der Welt.« Eine
Fahrt unterbrach das Gespräch, und kaum war Karl wieder unten, erfolgte ein
telephonischer Anruf, laut dessen Karl den Hotelarzt holen sollte, da eine
Dame im siebenten Stockwerk einen Ohnmachtsanfall erlitten hatte. Während
dieses Weges hoffte Karl im geheimen, daß Robinson sich inzwischen
entfernt haben werde, denn er wollte nicht mit ihm gesehen werden und, in
Gedanken an Theresens Warnung, auch von Delamarche nichts hören. Aber
Robinson wartete noch in der steifen Haltung eines Vollgetrunkenen, und
gerade ging ein höherer Hotelbeamter in schwarzem Gehrock und Zylinderhut
vorüber, glücklicherweise ohne Robinson, wie es schien, besonders zu
beachten. »Wollen Sie, Roßmann, nicht einmal zu uns kommen, wir haben es
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik