Page - 199 - in Amerika
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Fragmente
I
»Auf! Auf!« rief Robinson, kaum daß Karl früh die Augen öffnete. Der
Türvorhang war noch nicht weggezogen, aber man merkte an dem durch die
Lücken einfallenden, gleichmäßigen Sonnenlicht, wie spät am Vormittag es
schon war. Robinson lief eilfertig mit besorgten Blicken hin und her, bald trug
er ein Handtuch, bald einen Wasserkübel, bald Wäsche- und Kleidungsstücke,
und immer, wenn er an Karl vorüberkam, suchte er ihn durch Kopfnicken
zum Aufstehen aufzumuntern und zeigte durch Hochheben dessen, was er
gerade in der Hand hielt, wie er sich heute noch zum letztenmal für Karl
plage, der natürlich am ersten Morgen von den Einzelheiten des Dienstes
nichts verstehen konnte.
Aber bald sah Karl, wen Robinson eigentlich bediente. In einem durch zwei
Kasten vom übrigen Zimmer abgetrennten Raum – den Karl bisher noch nicht
gesehen hatte, fand eine große Waschung statt. Man sah den Kopf Bruneldas,
den freien Hals – das Haar war gerade ins Gesicht geschlagen – und den
Ansatz ihres Nackens über den Kasten ragen, und die hie und da gehobene
Hand des Delamarche hielt einen weit herumspritzenden Badeschwamm, mit
dem Brunelda gewaschen und gerieben wurde. Man hörte die kurzen Befehle
des Delamarche, die er dem Robinson erteilte, der nicht durch den jetzt
verstellten eigentlichen Zugang des Raumes die Dinge reichte, sondern auf
eine kleine Lücke zwischen einem Kasten und einer spanischen Wand
angewiesen war, wobei er überdies bei jeder Handreichung den Arm weit
ausstrecken und das Gesicht abgewandt halten mußte.
»Das Handtuch! Das Handtuch!« rief Delamarche. Und kaum erschrak
Robinson, der gerade unter dem Tisch etwas anderes suchte, über diesen
Auftrag und zog den Kopf unter dem Tisch hervor, hieß es schon: »Wo bleibt
das Wasser, zum Teufel!« und über dem Kasten erschien hochgereckt das
wütende Gesicht des Delamarche. Alles, was man sonst nach Karls Meinung
zum Waschen und Anziehen nur einmal brauchte, wurde hier in jeder
möglichen Reihenfolge viele Male verlangt und gebracht. Auf einem kleinen
elektrischen Ofen stand immer ein Kübel mit Wasser zum Wärmen, und
immer wieder trug Robinson die schwere Last zwischen den weit
auseinandergestellten Beinen zum Waschraum hin. Bei der Fülle seiner Arbeit
war es zu verstehen, wenn er sich nicht immer genau an die Befehle hielt und
einmal, als wieder ein Handtuch verlangt wurde, einfach ein Hemd von der
großen Schlafstätte in der Zimmermitte nahm und in einem großen Knäuel
über die Kasten hinüberwarf.
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik