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  34  | Einleitend
Entscheidender als die Debatten um die Abbildung sozialer Wirklichkeiten
und historischer Wahrheiten nach Lejeune sind im Hinblick auf Autobiografien
als Quellen allerdings ohnehin die Fragen nach der Sinnkonstruktion oder An-
eignung historischer Prozesse beziehungsweise nach den Zeitverhältnissen und
der Schreibsituation autobiografischer Texte.73 Diesen Fragen wurde – abseits
dieser einleitenden Skizze – durch Wahl der Methodik und im Aufbau der Bio-
grafie Rechnung getragen.
Der  Nachlass
Es wurde bereits deutlich, dass die nie »vollendeten«, ungeordneten und unver-
öffentlichten autobiografischen Dokumente Berthold Viertels nach seinem Tod
schwer aufzubereiten und zu vermitteln waren. Sein Freund, der Schauspieler
Ernst Ginsberg hatte noch zu Lebzeiten mit Viertel die Herausgabe einiger
autobiografischer Fragmente geplant. Als der Münchener Kösel-Verlag diese
Auswahl posthum unter dem Titel Dichtungen und Dokumente (1956) publizierte,
fragte sich Ginsberg besorgt, wie weit diese Texte »für Leser, die Viertel nicht
persönlich gekannt haben, von Interesse sein [konnten] ?«74 Vorerst waren es
tatsächlich vornehmlich FreundInnen und Bekannte, die Viertel als »einen der
Legendären« und Teil der »künstlerischen Opposition Alt-Österreichs« erinner-
ten und sein Werk – oder was davon erhältlich war – auf- und annahmen.75 Im
Nachkriegsdeutschland begann Berthold Viertel zuerst im Kontext einer Wie-
derentdeckung von ExilliteratInnen und der Wiener Moderne weiteres Inter-
esse zu wecken. Zwischen 1952 und 1962 erschien eine Neuauflage von Kraus’
Werken bei Kösel, doch zu einer Gesamtedition des Viertel’schen Werks kam es
dann weder dort noch beim Verlag S. Fischer, der kurzfristig ebenfalls Interesse
anmeldete.
Am 28. Juni 1965 wäre Berthold Viertel 80 Jahre alt geworden. In diesem
Herbst begannen – abseits von kurzen Gedenksendungen in Rundfunk und
Fernsehen, einer Kranzniederlegung beim Burgtheater und einer ersten Erfas-
sung von Viertels Leben und Werk76 – intensivere Verhandlungen um Viertels
Nachlass und sinnvolle Editionsmöglichkeiten. Vor allem die Deutsche Akade-
73 Günther, Dagmar, »And Now for Something Completely Different« : Prolegomena Zur Autobio-
graphie als Quelle der Geschichtswissenschaft, in : Historische Zeitschrift, Bd 272, H. 1 (Feb. 2001),
25–61.
74 Ginsberg, Ernst, Nachwort, in : Ginsberg (Hg.), Dichtungen und Dokumente, 1956, 417–421, 418.
75 Hahnl, Hans Heinz, Berthold Viertel, in : Lynkeus, Heft 5/6, Frühjahr 1950, 41–42.
76 Berthold Viertel. 28. Juni 1885–24. September 1953. Zur 80. Wiederkehr seines Geburtstages,
Flugblatt zusammengestellt von Friedrich Pfäfflin, München 1965.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Title
- Berthold Viertel
- Subtitle
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Author
- Katharina Prager
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 368
- Category
- Biographien
Table of contents
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359