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ein »antifaschistischer Geist« an, der Berthold Viertels Hoffnungen vielleicht
erfüllt hätte, wenn er nicht so bald wieder zur reinen Rhetorik verkommen wäre.
Er hob ideologische Schranken auf, verband Menschen in Aufbruchsstimmung
und war zunächst ebenfalls ein wirksamer Grundkonsens der Zweiten Republik.
Unter dem Vorzeichen dieses »antifaschistischen Geistes« wurde die Ent-
nazifizierung vorangetrieben und bereits in den ersten Wochen der provisori-
schen Regierung das »Verbotsgesetz« als gesetzliche Grundlage geschaffen. Dies
fĂĽhrte dazu, dass schon im Februar 1946 die Alliierten die gerichtliche Aufar-
beitung der NS-Verbrechen der österreichischen Regierung übertrugen und sich
auf eine Kontrollfunktion zurückzogen. Nur wenig später begannen die Öster-
reicherInnen aber bereits, die fĂĽr sie zunehmend problematisch werdende Ent-
nazifizierung und Restitution aufzuweichen und bald war es nur noch ein klei-
ner Schritt zur gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialis
tInnen.
Diese Reintegration wurde bis 1948 aufgrund der veränderten außen- und in-
nenpolitischen Prioritäten durch den Kalten Krieg und des hohen Anteils der
betroffenen ÖsterreicherInnen zur »demokratiepolitischen Notwendigkeit« so-
wie aufgrund fehlender Arbeitskräfte beim Wiederaufbau zur pragmatischen
Notwendigkeit erklärt.26
Solche Verschiebungen zeigten sich auch an der von den Regierungsparteien
getragenen Ausstellung Niemals Vergessen, die Anfang 1946 alsspontane antifa-
schistische Manifestation, geprägt vom unmittelbaren Erleben des Kriegsendes
geplant wurde.Tatsächlich wurde ihre Gestaltung bis zum Herbst 1946 in ein
»feines Netz von Rücksichtnahmen und Sprachregelungen« eingesponnen und
in ihrer Endgestalt wurde die Brüchigkeit des österreichischen Antifaschismus
bereits deutlich sichtbar.27
Im Rahmen eines solchen »Re-Designs« der österreichischen Erinnerung lag
die größte »Lebenslüge« der neuen Republik wiederum in der parteiübergrei-
fenden (Selbst-)Darstellung als »erstes Opfer Hitlers«. In der Moskauer Dekla-
ration von 1943 hatten die Alliierten diesen Ausweg aufgezeigt, indem sie
26 Meissl, Sebastian u.a. (Hg.), Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne : Entnazifizierung in Österreich
1945–1955, Wien 1985.; Stiefel, Dieter, Entnazifizierung in Österreich, Wien/München/Zürich
1981 ; Perz, Bertrand, Ă–sterreich, in : Knigge, Volker und Frei, Norbert (Hg.), Verbrechen erinnern.
Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2005.
27 So wurde Dollfuß’ autoritärer »Ständestaat« nicht als »Faschismus« behandelt, sondern wurde zum
»ersten österreichischen Widerstand« gegen die NationalsozialistInnen uminterpretiert. Bei der
Darstellung des Holocaust wurden die Verbrechen der Ă–sterreicherInnen ausgeblendet und der
Hauptfokus lag auf dem »österreichischen Widerstand« gegen Hitler, der ja wiederum mit Dollfuß
begann. Die in dieser »modernen Propagandaausstellung« für Österreich gefundenen Bilder und
Narrative sollten noch vier Jahrzehnte nachwirken (Kos, Wolfgang, Eigenheim Ă–sterreich. Zu Poli-
tik, Kultur und Alltag nach 1945, Wien 1994, 7–58).
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Title
- Berthold Viertel
- Subtitle
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Author
- Katharina Prager
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 368
- Category
- Biographien
Table of contents
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359