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schen Antagonismus des Kalten Krieges zum eigenen Vorteil auszunĂĽtzen :
Geschickt spielten die Ă–sterreicherInnen die scheinbare kommunistische
Bedro hung gegenüber den Westmächten aus und machten den Kommunismus
zum gemeinsamen Feindbild.49 Das hatte zur Folge, dass sich Ă–sterreich inner-
halb des Marshallplans – der wichtigsten Wirtschaftshilfe der Nachkriegszeit –
groĂźe VergĂĽnstigungen sichern konnte.50
Nicht zuletzt bot sich der Antikommunismus ideal zur Ablenkung von Ag-
gressionen, zur Verdrängung von Schuldgefühlen und zur Kaschierung innenpo-
litischer Probleme an. Diese Ablenkung erwies sich als so ideal, dass im Um-
kehrschluss nationalsozialistisches und antisemitisches Gedankengut bald
wieder als nicht so verwerflich galten. Berthold Viertel brachte die intolerante
Atmosphäre, die im hochkulturellen Bereich besonders virulent war, schon in
seinen ersten Wiener Tagen 1948 auf den Punkt : »Wenn ein Künstler im östli-
chen Berlin arbeiten will : ›Hätten Sie denn bei den Nazis gearbeitet, wird jetzt
der Emigrant gefragt von den deutschen KĂĽnstlern, die bei und unter den Nazis
gearbeitet haben.‹«51
Intellektuelle wie Berthold Viertel hatten den Marxismus im Europa des
frühen 20. Jahrhunderts noch als weltverändernde Utopie und als »großen ro-
mantischen Narrativ« erlebt. Er erschien damals als »wesentliches Element
fortschrittlicher Politik« und oft »unwiderstehlich« in seiner zentralen ethischen
Botschaft, »kompromisslos für die Ausgebeuteten dieser Welt zu kämpfen«.52
Wie viele seiner ZeitgenossInnen hatte Viertel den Sozialismus als realisierbare
Option betrachtet, wenn er auch nie formal Kommunist oder Mitglied einer
anderen linken Partei wurde. Diese mächtige »alten Idee« – die »von Ideologien
geschädigt, aber nicht getötet« werden konnte53 – wirkte noch in ihm, als er
1948 feststellte, dass in Österreich die »Gleichschaltung zwischen dem Natio-
nalsozialismus und den heutigen Russen vollzogen« war und so der Marxismus
»verfehmt«, »der Sozialismus in Bausch und Bogen erledigt« werden sollte.
Auch wenn Viertel inzwischen durchaus die Probleme der kommunistischen
Welt sah, wollte er doch nicht einfach dem »westlichen Zweckdenken, das von
Amerika importiert, vom British Labour genährt und fixiert wurde«, nachge-
ben.54 Auch die KPĂ– war von Anfang an in einer ungĂĽnstigen Defensivposi-
49 Antirussische Ressentiments hatten im österreichischen Raum ebenfalls eine lange Tradition und
waren zuletzt durch die »antibolschewistische« NS-Propaganda verstärkt worden.
50 Rathkolb, Paradoxe Republik, 2005, 31–32.
51 BV, Arbeits-/Notizheft »Wien, Ankunft Dez. 1948«, o.D., 69.3142/43, K24, A : Viertel, DLA.
52 Judt, 20. Jahrhundert, 2010, 23 und 144–147.
53 BV, Fragmente/Gedichte, Sommer 1950, 69.3142/48, K24, A : Viertel, DLA.
54 BV, Arbeits-/Notizheft »Wien, Ankunft Dez. 1948«, o.D., 69.3142/43, K24, A : Viertel, DLA ; vgl.
auch Fischer, Ernst, Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945–1955, Wien 1973, 114 : »In un-
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Title
- Berthold Viertel
- Subtitle
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Author
- Katharina Prager
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 368
- Category
- Biographien
Table of contents
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359