Page - 107 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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waren, den Status quo aufrecht zu erhalten, nannte Berthold Viertel die »offizi-
ellen Dichter einer Kulturdämmerung«, das »graziöse, elegante und mondäne
geistige Wien« oder auch den »Olymp« :
Zugleich residierte in den Villen des Cottageviertels das, was wir […] nicht ohne
Hohn den Olymp nannten : die Schnitzler, Hofmannsthal, Beer-Hofmann, die He-
roen der eigentlichen spät-wienerischen Literatur, die berufenen Berufsdichter der
Gegenwart und Klassiker der Zukunft, die in die Literaturwissenschaft eingehen
wĂĽrden, und deren ziselierte und zarte Dramen eines abgewogenen Stiles burgthea-
terfähig waren, […] deren liebenswürdig-skeptische Kunstempfänglichkeit durch den
Geldbesitz verfeinert worden war.35
Dass Berthold Viertel den mehr oder weniger offiziellen Namen dieser Gruppe,
»Jung-Wien«, nicht nannte, war kein Zufall – für ihn waren die in diesem Um-
kreis entworfenen Programme österreichischer Kultur nicht »jung«, im Gegen-
teil. Mit der Bezeichnung »Olymp« wollte er eine von der österreichischen
Kulturpolitik geförderte künstlerische Elite der »Vätergeneration« erfassen, die
den für das »Beharrungssystem des Habsburger Imperiums« so wesentlichen
»Hochkulturfanatismus« auf verschiedenen Ebenen pflegte :36 Sie behauptete
sich vor allem in einer Machtkonzentration um die meinungsmachende Neue
Freie Presse und das Burgtheater als die Kulturinstitution schlechthin. Diese
beiden Institutionen wurden –ebenso wie »Feuilleton« und »Operette« zu nega-
tiv behafteten Codeworten für Viertels »Söhne«. Die offiziellen KünstlerInnen
hatten es, so meinte Berthold Viertel, »leichter […] als seinerzeit Grillparzer
und Hebbel«.37 Sie wurden gefördert, um im Zuge diverser kultureller Erneue-
rungsversuche eine besondere Identität Österreichs zu stärken, die sich erstmals
schärfer von der deutschen Kultur unterscheiden sollte. Bausteine dieser Identi-
tät waren Kunstkultus, Katholizismus, barocke Theatralik, ästhetische Leichtle-
bigkeit und ein melancholisches Endzeitgefühl um die »Schönheit des Ab-
schiednehmens« – Vergänglichkeit, Tod und »Lebensgenuss nur, als wäre er
schon vorüber.«38 Viertel spottete über diese Bemühungen : »Hatte es eine spe-
zifisch österreichische Kultur gegeben, so war sie gewiß nicht durch Verfeine-
rung und Skepsis, durch ein elegisches Verdämmern zu retten«.39 Tatsächlich
gelang es den eskapistischen und snobistischen »Ästheten« aber ganz gut, in
35 BV, Café Central [Heft II], o.D. [wahrscheinlich Dezember 1948], o.S., K19, A : Viertel, DLA.
36 Rathkolb, Oliver, Mythos Burgtheater, in : Die Zeit, 10. Oktober 2013.
37 BV, Café Central [Heft II], o.D. [wahrscheinlich Dezember 1948], o.S., K19, A : Viertel, DLA.
38 BV, Ă–sterreichische Illusionen/Der Knabe Robert FĂĽrth, o.D., o.S., NK12, A : Viertel, DLA.
39 BV, Karl Kraus und die Demokratie, o.D., o.S., K13, A : Viertel, DLA.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Title
- Berthold Viertel
- Subtitle
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Author
- Katharina Prager
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 368
- Category
- Biographien
Table of contents
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359