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Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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  Katholische  Dienstmädchen |  155 [D]ie Juden [wurden] vom industriellen Aufschwung unverhältnismäßig rasch mit emporgetragen […] und [drangen] nach kürzestem Übergang in die intellektuellen Berufe ein […]. Die Wendigkeit, die Anpassungsfähigkeit jüdischen Talents und In- tellekts, die sich in der Unterdrückung und Ausgeschlossenheit trainiert hatten, muss- ten den heillosen Neid und die bange Sorge bodenständiger Gemüter erregen, denen wirklich nichts anderes übrigblieb, als aus ihrer Rückständigkeit und Langsamkeit einen nationalen oder gar rassenmäßigen Vorzug zu machen. Schon der Altösterrei- cher war, in seiner noblen Solidität, passiv und langsam gewesen. Nun, da die Ent- wicklung in Wellen von Prosperität und Wirtschaftskrise seine alteingewohnten, teils ehrwürdigen und frommen, teils auch nur schläfrigen Vorstellungen überholte, konnte er den am Volks- und Kulturgut verübten Raubbau kaum mehr entgegensetzen als, wenn er fein war, seine Ironie und seine Elegie, wenn er gemein war, eine verbissene Ranküne.23 Die Geschichte Leo(pold) Klausners belegt zwar den »Bildungswillen« jüdischer Familien, der seine »Kraft aus der Religion und jahrhundertelange[r] Rechtslo- sigkeit« bezogen haben mag,24 aber es wurde keine Aufstiegsgeschichte : »[…] es reicht nicht, es reicht niemals ganz. Gebrochene Flügel.«25 Es ist interessan- terweise das »katholische Dienstmädchen«, das in diesem Fall den Niedergang auslöst. Von der »Skandalgeschichte« Leo(pold)s, die etwas rätselhaft bleibt, gibt es mehrere, voneinander abweichende Versionen : Wesentliche Bestandteile der Geschichte sind, dass der erfolgreiche Student erkrankte und daher von seiner wohlhabenden Schwester Anna, Viertels Mutter, zu einem Erholungsurlaub nach Gloggnitz am Semmering eingeladen wurde. Dort verliebte er sich in Bertholds Kindermädchen, in die »zarte Schönheit« Marie, die an Tuberkulose, der sogenannten »Wiener Krankheit«, litt. Sie wurde schwanger, das Kind starb (wahrscheinlich) bei der Geburt und sie selbst kurz darauf »den Tod einer Schwindsüchtigen im Kindbett«. Die Geschichte endet jeweils mit der Reaktion des Kindesvaters in verschiedenen Variationen eines »österreichischen Schick- sals«, eines »Abstiegs« und »Resignierens« : Leo(pold) habe seine Studien abge- brochen und sei Eisenbahnbeamter geworden  – etwas ganz »Ungeistiges und Unjüdisches«. Er habe »zu trinken [begonnen], wie ein Goj« und Geld entwen- det. Er habe im Beamtentum resigniert und »eine böse Sieben« geheiratet. Er habe keine Kinder bekommen und sei »von Bestimmung ein Sohn« geblieben, 23 BV, Der Mitschüler Hitler, in : Bolbecher/Kaiser (Hg.), Viertel, Cherub, 1990, 128–129. 24 Aly, Götz, Warum die Deutschen ? Warum die Juden ? Gleichheit, Neid und Rassenhass, Frankfurt am Main 2011, 38. 25 Konzepte in : Bolbecher/Kaiser (Hg.), Viertel, Cherub, 1990, 292–297.
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Berthold Viertel Eine Biografie der Wiener Moderne
Title
Berthold Viertel
Subtitle
Eine Biografie der Wiener Moderne
Author
Katharina Prager
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2018
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20832-7
Size
15.5 x 23.2 cm
Pages
368
Category
Biographien

Table of contents

  1. Ein chronologischer Überblick 7
  2. Einleitend 19
  3. 1. BERTHOLD VIERTELS RÜCKKEHR IN DIE ÖSTERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
    1. Außerhalb Österreichs – Die Entstehung des autobiografischen Projekts 47
    2. Innerhalb Österreichs – Konfrontationen mit »österreichischen Illusionen« 75
  4. 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
    1. Moderne in Wien 99
    2. Monarchisches Gefühl 118
    3. Galizien 129
    4. Jüdisches Wien 139
    5. Katholische Dienstmädchen 150
    6. Deutsche Kultur 161
    7. Luegers Wien 173
    8. Mitschüler Hitler 184
    9. Jugendliche Kulturanarchisten 196
    10. Familie Adler 209
    11. Studium 228
    12. Sexuelle Emancipation 245
    13. Karl Kraus 268
    14. Theater 291
    15. Erster Weltkrieg 310
    16. Nachsatz 333
    17. Archivalien 336
    18. Dank 342
    19. Literaturverzeichnis 344
    20. Bildnachweis 358
    21. Personenregister 359
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