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Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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  176  | Erinnerungsorte  der  Wiener  Moderne bot die Reichshauptstadt seit den 1860er-Jahren Rechtssicherheit und neue Chancen : Sie schützte die jüdische Bevölkerung durch Gesetze, die der ge- wohnten Diskriminierung entgegenwirkten. Doch gerade in diesem modernen, säkularisierten Wien begann sich nun ein moderner, säkularisierter Antisemitismus auszubreiten. Er war eine paradoxe Begleiterscheinung der fortschreitenden Demokratisierung, mitgetragen von den sich in den 1880ern formierenden Massenparteien.15 Dieser moderne An- tisemitismus baute als politische Ideologie auf traditionellen Motiven auf : Reli- giöse, kulturelle, wirtschaftliche, rassistische, nationale, pseudowissenschaftliche und klassenkämpferische Argumentationslinien vermischten sich im populären Diskurs und waren nicht klar voneinander zu trennen.16 Wann und wie nahmen die Viertels diesen Klimawandel wahr ? War ihnen bewusst, dass Adolf Jellinek, der Oberrabbiner, der 1884 Anna und Salomon Viertel getraut hatte, schon 1865 alarmiert auf den rassisch fundierten Antise- mitismus im Werk des französischen Theologen und Schriftstellers Ernest Renan scharf reagiert hatte ? Spürten sie einen Radikalisierungsschub, einen neuen, gegen die »Bankjuden« gerichteten Ton nach dem Börsenkrach 1873 ? Diskutierten sie den Berliner Antisemitismusstreit (1879–1881), der den Begriff »Antisemitismus« überhaupt erst populär machte ? Lasen sie 1882 in den Zei- tungen vom Ritualmordvorwurf im ungarischen Dorf Tisza-Eszlár ? War der Wiener Antisemitismusstreit zwischen dem Floridsdorfer Rabbiner Joseph Sa- muel Bloch und dem katholischen Theologen August Rohling ein Thema ?17 Salomon Viertel soll ein Leser des Neuen Wiener Tagblatts gewesen sein und wusste als solcher wahrscheinlich, dass der deutschnational-rassistische Georg von Schönerer  – der 1873 die Alldeutsche Partei gegründet hatte  – 1888 die Redaktionsräume des Blattes im Kampf gegen die »jüdische Pressekorruption« verwüstet hatte. Hielt er diesen sich selbst disqualifizierenden »Radauantisemi- ten«, der den Ausschluss von Jüdinnen und Juden aus allen Bereichen des öffent- lichen Lebens verlangte, aufgrund seiner weitgehenden politischen Isolation für vernachlässigbar ? Acht Tage nach Annas und Salomons Hochzeit, am 18.  Feb- 15 Lichtblau (Hg.), Als hätten wir …, 1999, 90–94. Viertel fasste den christlichsozialen Antisemi- tismus in gewisser Weise auch als »ökonomischen Antisemitismus« oder als »Antisemitismus des Sozialneides«, wie ihn zuletzt der deutsche Historiker Götz Aly (in einer nicht unproblematischen These) herausarbeitete. (Aly, Warum die Deutschen ?, 2011 bzw. Brumlik, Micha, Räuber und Mör- der wie du und ich, in : Die Zeit, 11.  August 2011). 16 Pulzer, Spezifische Momente, in : Botz u.a. (Hg.), Eine zerstörte Kultur, 2002, 129–144, 131. 17 Pulzer, Peter, Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 bis 1914, Göttingen 2004 ; Ley, Michael, Der Wiener Antisemitismus-Streit. Die Auseinanderset- zung zwischen dem Rabbiner Joseph Bloch und dem Theologen August Rohling, in : Botz u.a. (Hg.), Eine zerstörte Kultur, 2002, 147–163.
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Berthold Viertel Eine Biografie der Wiener Moderne
Title
Berthold Viertel
Subtitle
Eine Biografie der Wiener Moderne
Author
Katharina Prager
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2018
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20832-7
Size
15.5 x 23.2 cm
Pages
368
Category
Biographien

Table of contents

  1. Ein chronologischer Ăśberblick 7
  2. Einleitend 19
  3. 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
    1. Außerhalb Österreichs – Die Entstehung des autobiografischen Projekts 47
    2. Innerhalb Österreichs – Konfrontationen mit »österreichischen Illusionen« 75
  4. 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
    1. Moderne in Wien 99
    2. Monarchisches GefĂĽhl 118
    3. Galizien 129
    4. JĂĽdisches Wien 139
    5. Katholische Dienstmädchen 150
    6. Deutsche Kultur 161
    7. Luegers Wien 173
    8. MitschĂĽler Hitler 184
    9. Jugendliche Kulturanarchisten 196
    10. Familie Adler 209
    11. Studium 228
    12. Sexuelle Emancipation 245
    13. Karl Kraus 268
    14. Theater 291
    15. Erster Weltkrieg 310
    16. Nachsatz 333
    17. Archivalien 336
    18. Dank 342
    19. Literaturverzeichnis 344
    20. Bildnachweis 358
    21. Personenregister 359
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