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Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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  186  | Erinnerungsorte  der  Wiener  Moderne mandierte […]. Im Turnsaal ertönten jene schneidigen Kommandorufe, die das schwarz weißrote Herz der jungen Rebellen höher schlagen machten. […] Auch wenn der Turnlehrer ein wahres Schreckensregiment an übermännisch betonter Disziplin ausübte, so half er doch dem fanatischen Anhänger der großdeutschen Idee jenen Inferioritätskomplex zu überkompensieren, der gerade damals von jüdischen Psycho- logen erfunden wurde, und der rechtens eben auch nur den jüdischen Knaben gebührt hätte, als den Angehörigen einer schutzlosen Minderheit, die kein größeres Stammes- land im Rücken fühlten, an das sie sich anlehnen konnten.12 Doch es waren nicht nur die »Hinterhubers« und »Untergrubers« und die »klei- nen Hitlers in Braunau […] als sie noch in einem Matrosenanzug steckten«, die damals Phantasien über edle Rassen, Völker und Nationen entwickelten. Auch wenn Volksschule und humanistisches Gymnasium in Österreich-Ungarn um die Anerziehung eines anti-nationalen Staatspatriotismus und Wertekanons bemüht waren, lief ein starker Gegendiskurs um die Schlagworte »Rasse«, »Volk«, »Nation« in Schulbüchern und beliebten Jugendbüchern. Den »Karl May, das deutschnationale Indianerbüchel« lasen und liebten um 1900 neben dem jungen Adolf Hitler auch Anna Freud, Carl Zuckmayer und George Grosz, um nur einige spätere ExilantInnen zu nennen.13 Berthold Viertel deklarierte sich dezidiert als »kein Karl-May-Leser«, auch wenn seine Artikel Karl May (1910) und Für Karl May (1912) berechtigte Zweifel daran aufkommen lassen. Darin verteidigte er May, indem er die Ilias, den Winnetou und den Lederstrumpf auf eine Stufe stellte : Sie alle »entsprechen ganz organisch der Bubennatur [!], wie der Herrgott [!] sie geschaffen hat.«14 Viertel distanzierte sich wohl erst später von einer »Karl-May-Gesinnung« und deutschem Edelmenschentum und wollte dann seine »Indianerehre« nicht von Mays Winnetou, sondern allein von James Fenimore Coopers Lederstrumpf ge- lernt haben. Die Lektüre eines anderen »falschgeherzten Riesenwälzers« gab er allerdings unumwunden zu. Es handelte sich um Felix Dahns Ein Kampf um Rom, den er mit etwa 14 Jahren im Sommer seiner Mutter vorlas. Die »Dekadenz des römi- schen Kaiserreichs« und das »Heldentum der Ostgoten« beeindruckten den jungen Berthold  – »das waren verflossene Perioden der Gemütsentwicklung.«15 12 BV, Der Mitschüler Hitler, in : Bolbecher/Kaiser (Hg.), Viertel, Cherub, 1990, 126 ; BV, Verleum- dung der Nazis, o.D., o.S., NK10, A : Viertel, DLA. 13 Ibid.; vgl. Hanisch, Illusionist, 2011, 63 ; Essig, Rolf Bernhard und Schury, Gudrun, Karl May, in : François/Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, 2001, 107–121. 14 BV, Für Karl May, in : Der Strom, 2. Jahrgang, Nr. 3, Juni 1912, 86–89 ; vgl. auch : BV Karl May, in : Der März. Halbmonatsschrift für die deutsche Literatur, April bis Juni 1910, 21. 15 BV, Die Stadt der Kindheit, in : Bolbecher/Kaiser (Hg.), Viertel, Cherub, 1990, 76.
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Berthold Viertel Eine Biografie der Wiener Moderne
Title
Berthold Viertel
Subtitle
Eine Biografie der Wiener Moderne
Author
Katharina Prager
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2018
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20832-7
Size
15.5 x 23.2 cm
Pages
368
Category
Biographien

Table of contents

  1. Ein chronologischer Ăśberblick 7
  2. Einleitend 19
  3. 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
    1. Außerhalb Österreichs – Die Entstehung des autobiografischen Projekts 47
    2. Innerhalb Österreichs – Konfrontationen mit »österreichischen Illusionen« 75
  4. 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
    1. Moderne in Wien 99
    2. Monarchisches GefĂĽhl 118
    3. Galizien 129
    4. JĂĽdisches Wien 139
    5. Katholische Dienstmädchen 150
    6. Deutsche Kultur 161
    7. Luegers Wien 173
    8. MitschĂĽler Hitler 184
    9. Jugendliche Kulturanarchisten 196
    10. Familie Adler 209
    11. Studium 228
    12. Sexuelle Emancipation 245
    13. Karl Kraus 268
    14. Theater 291
    15. Erster Weltkrieg 310
    16. Nachsatz 333
    17. Archivalien 336
    18. Dank 342
    19. Literaturverzeichnis 344
    20. Bildnachweis 358
    21. Personenregister 359
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