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daneben schweigen muß«86 – und großen Gefühlen, die Viertel in dem autobio-
grafischen Roman Der Hilferuf zu fassen suchte. Dieses Romanfragment stand
stark unter dem Einfluss eines modischen Okkultismus und in gewisser Weise
ging es hier um die »irrationale« Rettung geschlechtlicher Identität in einer Zeit,
in der junge Frauen durch Beruf und Mode »mehr Freiheit, Ungezwungenheit,
Unbefangenheit [gewannen] als vordem in hundert Jahren«87. Die auf Salka
Viertel basierende Olga Zimmermann war eine »antike Frau«, die »nicht in diese
Zeit« passte, und die meinte : »Das Weib hat keine Seele. Die Seele des Weibes
ist der Mann. Aber es gibt keine Männer mehr.«88
Obwohl Salka Viertel also eine viel traditionellere Projektionsfläche bot, war
sie dennoch eine »moderne Frau« : Die rebellische Tochter einer großbürgerli-
chen, galizisch-jüdischen Familie – in der sowohl Zwölftonmusik89 als auch
professionell Fußball gespielt wurde – wurde gegen den Willen ihrer Eltern
Schauspielerin und lebte als solche ihre eigene »sexuelle Emancipation« : Als
Viertel sie kennenlernte, beendete sie gerade eine längere Affäre mit dem verhei-
rateten Bildhauer Alexander Jaray, der keineswegs die erste erotische Erfahrung
ihres Lebens darstellte.90 Ebenso wie Studentinnen hatten sich auch KĂĽnstlerin-
nen bereits einige Freiräume erobert. In ihrer modernen Ambivalenz fügte sich
Salka Viertel sowohl in das differenztheoretische als auch in das egalitätstheo-
retische Weiblichkeitsmodell Viertels ein, der (wie sie selbst) zwischen diesen
beiden Theoremen schwankte :
Nach W.[eininger] hat zum Beispiel Salka mehr Genie als Talent. […]. Wäre sie ein
Mann geworden, wäre sie ein großer Schöpfer gewesen. Ihre Tragik ist, als Frau gebo-
ren worden zu sein – und zwar als Frau von so echter, tiefer, elementarer Weiblichkeit.
Sie ist zu reich begabt, nach beiden Seiten hin. […] Dadurch wurde sie einer der
großartigsten und merkwürdigsten Menschen, die ich je gesehen habe. […] Die Be-
gegnung musste schicksalshaft werden – ein gebieterischer Hinweis auf die große
Ergänzung wirkte sofort !91
86 BV an Salomon Viertel, 13.02.1918, o.S., NK20, A : Viertel, DLA.
87 Zweig, Welt, 1992, 228 ; Cott, Die moderne Frau, in : Duby/Perrot, Geschichte der Frauen, 1997,
93–109.
88 BV, Der Hilferuf, o.D., o.S., K10 und BV, Arbeits- und Notizheft, o.D., 69.3143/92, K26, A : Viertel,
DLA.
89 Salka Viertels BrĂĽder waren der Komponist und Pianist Eduard Steuermann und der polnische
FuĂźballnationalspieler Zygmundt Steuermann.
90 Prager, Salka Viertel, 2007, 9–49.
91 BV, Arbeits- und Notizheft, o.D. [1929], 69.3143/44, K26, A : Viertel, DLA.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Title
- Berthold Viertel
- Subtitle
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Author
- Katharina Prager
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 368
- Category
- Biographien
Table of contents
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359