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ness […], as even the Prussians […] had to admit, in spite of all their ironical cont-
empt.49
Berthold Viertel spielte hier auf die »schwierige Kooperation« zwischen deut-
schen und österreichisch-ungarischen Truppen an. Anstelle der propagierten
»Nibelungentreue« traten zunehmend abwertende Einschätzungen und Konflik-
te.50 Die habsburgischen Truppen waren allerdings auf deutsche UnterstĂĽtzung
angewiesen und Viertel erinnerte sich, in Munkács die »Übernahme« des Kom-
mandos durch General Ludendorff miterlebt zu haben. Solche Probleme der
Österreicher »mit dem hochfahrenden Preußentum« dürften ihn, der offenbar
wenig mit solchen Auseinandersetzungen zu tun hatte, eher belustigt haben.51
Nachdem Viertel im März 1915 noch auf Märschen zwischen Depot und
Front im Schneegebirge unterwegs gewesen war und »günstigste Gelegenheit«
gehabt hatte, die »Adler-Löwensteinschen Trocken-Heiß-Socken zu erproben«,
wurde er Ende des Monats aufgrund »seiner besonderen Fähigkeit für den
schriftlichen Verkehr« als zweiter Adjutant dem Korpstrainkommando zugeteilt.
Er wusste, dass es ihm schon zuvor im Train »besser als vielen, vielen andern«
gegangen war, da er selten unmittelbar in Lebensgefahr gewesen war.52 Nun
hatte er sogar einen Schreibtischposten : »Ich diene in einer Kanzlei, und mein
Chef – der Gebieter über die vielen Pferde und Wagen eines österreichischen
Korps – ist ein friedfertiger Major, ein Mann, der den Krieg hasst, weil er die
Pferde liebt.«53
Es gab eine gewisse Tendenz, Verwaltungs- und Versorgungsposten mit jĂĽdi-
schen Soldaten zu besetzen, da diese oft einen universitären Bildungshinter-
grund hatten und sich sprachlich gut ausdrĂĽcken konnten. Entsprechend ent-
standen antisemitische Vorurteile, die durch Spannungen zwischen Front und
Etappe (»Tachinierer«), zwischen Offizieren und Mannschaft sowie aufgrund
ethnischer und sozialer Differenzen verstärkt wurden.54 Grundsätzlich soll die
multiethnische habsburgische Armee gegen Xenophobie und Antisemitismus
»immuner« gewesen sein als die Zivilbevölkerung, was Berthold Viertel nicht
49 BV, Englische Ăśbersetzung und erweiterte Fassung des Kriegstagebuchs, o.D., o.S., K18, A : Viertel,
DLA.
50 Rauchensteiner, Erster Weltkrieg, 2013, 312–316 ; Münkler, Der große Krieg, 2013, 190–191.
51 BV, Hitler und Österreich, in : Kaiser/Roessler (Hg.), Viertel, Überwindung, 1989, 131–137, 132.
52 BV an Albert Ehrenstein, 5. März 1915, 69.2041/1, K31, A : Viertel, DLA ; Viertel, Das unbelehr-
bare Herz, 1970, 134.
53 BV, o.T. [Kriegstagebuch], o.D., o.S., K18, A : Viertel, DLA.
54 Schmidl, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, 96–97 ; Lichtblau (Hg.), Als hätten wir…, 1999, 121–
123.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Title
- Berthold Viertel
- Subtitle
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Author
- Katharina Prager
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 368
- Category
- Biographien
Table of contents
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359