Page - 140 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind
Einige der einzigartigen Dinge, die Rio so farbig und pittoresk machen, sind
freilich schon bedroht. Vor allem die favelas, die Negerdörfer mitten in der
Stadt, wird man sie in ein paar Jahren noch sehen? Die Brasilianer sprechen
nicht gern von ihnen, und im sozialen, im hygienischen Sinne sind sie
sicherlich eine Rückständigkeit inmitten einer Stadt, die von Sauberkeit blinkt
und durch einen vorbildlichen hygienischen Dienst das vormals endemische
gelbe Fieber in zwei Jahrzehnten gänzlich ausgerottet hat. Aber sie sind ein
besonderer Farbton inmitten dieses kaleidoskopischen Bildes, und wenigstens
eines dieser Sternchen im Mosaik sollte dem Stadtbild erhalten bleiben, weil
es ein StĂĽck menschlicher Natur darstellt inmitten der Zivilisation.
Diese favelas haben eine besondere Geschichte. Den Negern, die zum Teil
von ganz kleinem Einkommen leben, war es zu teuer, in Mietswohnungen
innerhalb der Stadt zu wohnen; von außerhalb wiederum täglich an den
Dienstplatz zu kommen, bedeutet eine zweimalige Reise und kostet Fahrgeld.
So suchten sie sich auf den HĂĽgeln und Felsen inmitten der Stadt, zu denen
keine Wege hinauffĂĽhren, irgendeine Stelle und bauten sich, ohne nach
Grundbesitz zu fragen, ein Haus oder vielmehr eine HĂĽtte. FĂĽr eine
solchemocambo benötigt man keinen Architekten. Man nimmt ein paar
Dutzend Bambusstäbe und schlägt sie in die Erde. Man füllt den
Zwischenraum zwischen den Stäben mit Lehm, den man sich aufgräbt und
hartschlägt. Man stampft den Fußboden glatt. Man deckt das Dach mit einer
Art Binsen zu. Und die favela ist fertig. Sie braucht keine Fenstergläser, es
tun es ein paar Zinkplatten, irgendwo im Hafen aufgelesen. Ein Vorhang, aus
einem alten Sack gefertigt, verdeckt den Eingang, der allenfalls noch durch
Latten aus alten Kisten verschönt wird, und es ist dieselbe Hütte, wie sie vor
hunderten Jahren ihr Urahn im afrikanischen Kral gebaut. An Luxus ist ihre
Ausstattung nicht verschwenderisch reich – ein selbstgezimmerter Tisch, ein
Bett, ein paar Sessel und ein paar farbige Bilder aus alten Zeitschriften an den
Wänden – und auch sonst entbehren sie mancher modernen Annehmlichkeit.
So muĂź das Wasser den steilen, in den Lehm oder Felsen heraufgestuften Weg
unten vom Brunnen heraufgeschleppt werden; ununterbrochen wie in einem
Paternosteraufzug sieht man Frauen und Kinder das kostbare NaĂź auf dem
Kopf herauftragen und zwar nicht in Krügen – das wär eine zu kostspielige
Anschaffung – sondern in alten Benzinbehältern. Auch das elektrische Licht
reicht nicht bis in diese HĂĽtten, abends blinken und zwinkern sie nur mit
kleinen Petroleumlichtern zwischen dem GebĂĽsch. Und immer wieder der
steile Weg hinauf ĂĽber Stufen und Steine und Stiegen, halsbrecherisch oft und
selten sauber, denn zwischen den HĂĽtten treibt sich das sonderlichste Getier
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen StraĂźen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf SĂŁo Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug ĂĽber den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197