Page - 193 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Recife
Ungern – Bahia ist zu schön, zu verlockend! – besteigt man das Flugzeug, das
einen weiter nordwärts trägt nach – wie soll man es nennen: Pernambuco oder
Recife oder Olinda? Die Stadt hat eigentlich drei Namen; wenn Kaufleute
Waren verschicken, konsignieren sie sie nach Pernambuo. Aber ich liebe die
alten Namen der zwei Schwesterstädte, Recife und Olinda, die eigentlich
schon in eine verschmolzen sind; seit Jahren klingt mir die Melodie der
musikalischen drei Silben Olinda nach und erinnert an alte Bücher und
Legenden aus jener verschollenen Zeit, da die Stadt ihren vierten Namen noch
hatte: Maurietsstaad. Denn so sollte sie heißen nach Moritz von Nassau, der
sie erobert und hier ein kleines Amsterdam begründen wollte mit blanken
sauberen Straßen und einem schön geziegelten Palast; sein gelehrter
Lobpreiser Barleus hat uns die Pläne und Abbildungen in dem mächtigen
Foliobande übermittelt, der das einzige Denkmal des holländischen
Dominiums geblieben ist. Vergebens suchte ich hier den Palast, den hoch
berühmten, die mächtigen Zitadellen, die Häuser mit ihren holländischen
Hügeln und die Windmühlen, die er zur Erinnerung an die Heimat mit
herüberbrachte – entschwunden und verschwunden alles bis zum letzten
Stein! Nichts ist vom Vergangenen geblieben als die alten portugiesischen
Kirchen von Olinda und ein paar der stillen Kolonialstraßen, freilich dies alles
durch eine friedliche und liebliche Landschaft verschönt. Olinda hat nichts
von der Großartigkeit Bahias, nicht jene mächtige Vista der hoch erhobenen
Stadt; es ist ein romantischer Winkel, ganz in Stille und Natur gehüllt, ein
träumerischer Ort, seit Jahrhunderten mit sich selbst allein und kaum
hinüberblickend zur lebendigeren, jüngeren Schwesterstadt. Denn Recife ist
ganz Fortschritt und Regsamkeit: ein Hotel, das jedem Ort Amerikas Ehre
machen würde, ein schöner Flugplatz, moderne Straßen, und in den modernen
Einrichtungen steht es unter den ersten der brasilianischen Städte. Radikal
fegt hier der Gouverneur die mocambos weg, die Negerhütten, die wir als so
romantisch empfinden, und baut – ein sehr bemerkenswerter Versuch – jeder
Erwerbsgruppe eigene Häusergruppen. Die Wäscherinnen, die
Schneiderinnen, die kleinen Beamten erhalten gegen langsame und leichte
Abzahlung helle freundliche Häuschen mit elektrischem Licht und allen
neuzeitlich-technischen Errungenschaften statt ihrer ungesunden Quartiere; in
ein paar Jahren oder Jahrzehnten wird sich hier eine Musterstadt entfalten.
Und so reist man hier von Kontrast zu Kontrast, von der alten Stadt zur
neuen, von dem Urwald in die Neuzeit ist es hier oft nur ein Schritt, nichts ist
hier gleichgültig und schablonenhaft und jeder Tag einer Reise eine andere
Entdeckung.
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197