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Bahia: Kirchen und Feste
Bahia ist nicht nur die Stadt der Farben: sie ist auch die Stadt der Kirchen,
Brasiliens Rom. Daß sie so viele besitzt wie Tage im Jahr, mag ebenso eine
Übertreibung sein, als daß sich Rio in seiner Bucht von Guanabara 365 Inseln
zuzählt. In Wirklichkeit dürften es etwa achtzig sein. Aber sie beherrschen die
Stadt. Sonst ist in großen Metropolen die zum Himmel aufragende Linie der
alten Kirchen längst überhöht durch die Hochhäuser und modernen Bauten –
nichts symbolischer vielleicht als jene alte Kirche bei der Wall Street in New
York, die, einstmals die Straße beherrschend, sich ganz verschüchtert in den
Schatten der Bankpaläste drückt. In Bahia aber beherrschen die Kirchen noch
die Stadt. Sie stehen hoch und imposant auf ihren freien Plätzen, von ihren
Klöstern und Gärten umringt, jede einem andern Schirmherrn geweiht,
Franciscus, Benedictus oder Ignazius. Mit ihnen hat die Stadt begonnen; sie
sind älter als der Palast des Gouverneurs und die vornehmen Häuser. Um sie
hat sich die Niederlassung, Gottes Schutz in dem neuen Lande anflehend,
geschart, und wenn die Seeleute, die nach Wochen und Wochen zwiefachen
Blaus endlich Land erblickten, sahen sie als erstes die fromme Geste der
hocherhobenen Türme. Und ihr erster dankbarer Weg ging für die Gnade der
glücklichen Überfahrt ihrem Gotte zu danken.
Die mächtigste, nicht die schönste dieser Kirchen ist die Kathedrale, die
sich an das alte Kolleg der Jesuiten lehnt, die Kirche der großen
Erinnerungen, unter deren Fliesen Mem de Sá, der erste Gouverneur,
begraben liegt, und von deren Kanzeln Padre António Vieira gepredigt. Sie ist
die erste Brasiliens und wohl auch Südamerikas, deren Eingang mit echtem
Marmor bedeckt ist; dieselben Schiffe, die Zucker aus Bahia frachteten,
brachten auf der Rückreise den kostbaren Stein zurück. Denn nichts war
diesen Männern des Glaubens zu kostbar für ihre Kirchen. Eng und düster,
nieder und schmutzig starrten die Straßen, neun Zehntel der dunklen
Bevölkerung hauste in Hütten und Mocambos. Aber die Kirche in diesem
fernen Land, das keinen Luxus kannte, sollte alle Pracht haben; so brachte
man die blauen Terrakotten, die azulejos, um die Wände zu schmücken, das
Gold aus Minas Gerais hüllte das dunkle Holz in blendendes Licht. Und dann
kam der Wettstreit der Orden. Hatten die Jesuiten eine weiträumige, pompöse
Kirche, so wollten die Franziskaner eine noch schönere haben. Tatsächlich ist
São Francisco noch reiner, weil schlichter in den Proportionen; welcher
Zauber in seinen Klostergängen: die Wände mit Azulejos leuchtend, die
Räume mit kostbarem Schnitzwerk aus Jacarandá geschmückt, die Decken
getäfelt und in jeder Einzelheit das Walten eines besonnenen kultivierten
Geschmacks! Aber auch die Karmeliter wollten ihre Kirche nicht minder
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197