Page - 144 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Gärten, Berge und Inseln
Nachts, wenn man an das Fenster tritt und das Meer liegt still und keine Brise
geht, dann spĂĽrt man es an dem weichen, satten, mit geheimnisvollen Ă–len
und Harzen durchsĂĽĂźten Atem der Luft, daĂź man in Rio immer inmitten von
Bäumen und Gärten ist. Man begegnet ihnen überall. Nie eine Minute ohne
einen Blick auf GrĂĽn. Die StraĂźen sind vielfach mit Palmen bestanden, um
jedes kleine Haus quellen dichte BĂĽschel, mit Blumen und sonderbaren
FrĂĽchten durchsprenkelt, und je mehr man sich vom Meere entfernt, um so
ĂĽppiger entfalten sich die Parks, und manche der Villen verschwinden fast
völlig in ihrer andrängenden Umfassung. Immer sieht man auf Grün und
überall. Manchmal weitet es sich zu breiten Gärten, wie auf der Praça Paris
und Praça da República, aber innerhalb der Stadt ist es immer noch gezähmte,
gebändigte, gehütete Natur. In Trijuca aber schon wirft sie sich ungestüm wie
ein Ozean heran, ein dicht verschlungenes Gewirr von Bäumen und
Sträuchern und Lianen, es ist, als ob – so wie beim Meere die Wellen
wetteifern, zuerst an den Strand zu gelangen – diese Stämme und Gipfel
miteinander ringen und kämpfen würden, um aus dem grünen Dickicht hinauf
an die Sonne sich durchzustoßen. Wald ist hier nicht wie bei uns dämmernder
Durchblick, sondern dunkle kompakte Masse, und wenn man versucht, in ihn
einzudringen – nur einige Schritte – so fühlt man sich gefangen, isoliert wie
unter einer Taucherglocke; der Atem spĂĽrt die fremde und
zusammengedrängte Luft wie den schwülen feuchten Atem eines riesigen und
gefährlichen Tiers; man hat – eine Stunde von der Stadt – an die Zone des
Urwalds gerĂĽhrt.
Darum ist der Botanische Garten Rios, – der nach Aussage aller Fachleute
(ich bin es nicht) auch der reichhaltigste der Welt sein soll – ein solches
Wunder und eine solche Wohltat. Hier ist alles, was der Urwald enthält, ohne
seinen Schrecken, seine Endlosigkeit, seine Unwegsamkeit, seine Gefahr.
Hier sind alle Bäume, alle Pflanzen, alle Phänomene der Tropen in ihren
groĂźartigsten Exemplaren, und man kann sie mĂĽhelos bewundern. Schon die
eine gigantische Palmenreihe des Eingangs ist ein wunderbares Bild, die
Triumphallee, die sich ein König – König João VI. – vor anderthalb
Jahrhunderten errichtet hat, und die so herrlich symmetrisch und aufrecht
steht wie die Säulenreihe eines tausendjährigen griechischen Tempels. Man
hat unzählige Palmen gesehen, hier in Brasilien und anderorts, und meint
doch nie gewußt zu haben, wie herrlich majestätisch, wie wahrhaft königlich
eine Palme sein kann, ehe man diese sah – kerzengrade, wunderbar rund der
Stamm mit seiner arabisch-feinmaschigen Panzerhaut und hoch dann, o, ganz
hoch, viel höher als man jemals den Blick erhoben, die Krone. Und rings
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen StraĂźen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf SĂŁo Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug ĂĽber den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197