Page - 160 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Besuch beim Kaffee
Freundliche Sitte wie jedwede in diesem gastfreien Land: besucht man in
Brasilien ein Haus, so wird einem zu jeder Stunde des Tages Kaffee
angeboten, köstlicher schwarzer Kaffee in kleinen Tassen, es ist hier eine
Selbstverständlichkeit. Man trinkt ihn auf andere Art als bei uns – oder
vielmehr, man trinkt ihn eigentlich gar nicht, sondern stülpt ihn mit einem
einzigen scharfen Ruck hinunter wie einen Likör, ganz heiß, so heiß, daß, wie
man hierzulande sagt, ein Hund heulend davonlaufen würde, wenn man ein
paar Tropfen auf ihn schüttete. Wie viele solcher schwarzduftender, glühender
Tassen ein Brasilianer durchschnittlich im Tage konsumiert, dürfte statistisch
kaum festzustellen sein ich nehme an, zwischen zehn und zwanzig – und
ebenso schwer wäre es, apodiktisch zu entscheiden, in welcher Stadt er am
besten mundet. Mit homerischem Eifer fordern hier alle Orte den Ruhm der
vorzüglichsten, der richtigsten Zubereitung für sich, und so habe ich ihn
unparteilich mit gleicher Begeisterung getrunken in den kleinen
Kaffeehäusern in Rio, wo die Tasse zweihundert Reis kostet (ein in unseren
Währungen kaum münzbarer Betrag), und in der Fazenda selbst und in
Santos, der Kaffeestadt, und sogar im Instituto do Café in São Paulo, wo seine
richtige Zubereitung geradezu zur Wissenschaft erhoben wird und ich nach
genommenem Kurs einen Sack Kaffee und die richtigste Kaffeemaschine zur
weiteren Ausübung mitbekam – überall, an allen Stellen war er gleich
zauberhaft würzig, stark und nervenbelebend, ein schwarzes Feuer, das die
Sinne heller und die Gedanken leuchtkräftiger macht.
König Kaffee, so möchte man diesen schwarzen Potentaten hier nennen,
denn er beherrscht noch immer ökonomisch dieses riesige Land und regiert
von seinem Hafen in Santos aus mehr oder minder sämtliche Märkte und
Börsen der Welt, sechzehn Millionen Sack von den vierundzwanzig, welche
unsere Erde konsumiert, werden hierzulande gepflanzt und verschifft: im
letzten sind diese winzigen perlgrauen oder rehfarbenen Körner die
eigentliche Münze und Währung des Landes. Mit Kaffee kauft und bezahlt
Brasilien die wenigen Rohstoffe, die ihm fehlen, Öl vor allem und Getreide,
mit Kaffeekörnern (mit Milliarden Kaffeekörnern allerdings) die Maschinen
und technischen Behelfe. Darum war der Weltmarktpreis des Kaffees das
eigentliche Thermometer der brasilianischen Wirtschaft; stieg sein Wert, so
blühte das ganze Land, drohte er zu sinken, so verbrannte die Regierung die
überschüssigen Säcke oder warf die kostbaren Körner den unverständigen
Fischen vor. Kaffee bedeutete hier durch ein Jahrhundert im letzten Gold und
Reichtum, Gewinn und Gefahr; von seinem Wert und Walten hing bis zu
einem gewissen Grade die Handelsbilanz des ganzen Landes ab; nicht der
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197