Page - 194 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Flug zum Amazonas
Und weiter nach Norden. Von Recife nach Belém an der Mündung des
Amazonenstroms muß man sich – sonst dauerte es ebensoviele Tage als jetzt
Stunden – des Flugzeugs bedienen; es sind kleine, nicht sehr bequeme
Hydroplane, die einen fast jede Stunde an einer anderen Stadt der KĂĽste
absetzen, in Cabedelo, in Natal, in Fortaleza, Camocin, Amarração, São Luiz,
ehe man endlich in Belém landet. Aber welche kleine, unbekannte Städte
sonderlichster Art lernt man dadurch kennen und wieviel Landschaft! Es ist
der einzige Weg, den man wählen soll, denn mit dem Schiff sieht man nur
Schale ohne den Kern, nur die KĂĽste und nicht das Land; eine Bahn
wiederum und AutostraĂźen sind hier nur selten zur Stelle. Einzig diese
Vogelschau gewährt eine erste Ahnung von der Vielfalt und Größe dieses
Landes. Die eigentliche Überraschung in diesem unablässig
abwechslungsreichen Bilde sind die Ströme. Wie viele Flüsse durchschneiden
das Land und wie mächtig sind sie an ihren Mündungen, jeder einzelne,
obwohl wir ihren Namen nie gehört, so gewaltig wie die größten unserer
europäischen Ströme. Aber gleichzeitig erkennt man auch – und dies hat
Brasilien sehr gehemmt in seiner Entwicklung – wie unwillig, fast möchte
man sagen: wie boshaft, wie tĂĽckisch sie sich dem Verkehr verweigern. Statt
sich zu verbinden oder mit starkem Gefälle dem Meer entgegenzuströmen,
winden und krümmen sie sich unablässig und zögern in seichten Lagunen. So
liegt das Land eigentlich noch verlassen; selten zeigt sich ein Weg oder ein
Dorf, weit dehnen sich die Wälder, die in Wochen und Monaten kaum jemand
betritt, selten leuchtet ein Segel am Strande oder auf den unzähligen Flüssen
und Teichen. Wieviel Land wartet hier noch auf den Menschen und ein wie
schönes Land, gekühlt vom Atem der Brise, leuchtend im Licht, überall –
außer in der kurzen Fläche, wo eine kleine Salzwüste weiß funkelt wie frisch
gefallener Schnee – fruchtbar und wahrscheinlich noch lange nicht nach all
seinen Möglichkeiten durchforscht! Hier wird erst die Zukunft Antwort
geben.
Und dann Belém! Seit Kindheitstagen hat man geträumt, den Amazonas,
den mächtigsten Fluß zu sehen – seit Kindheitstagen, seit man zum erstenmal
von Orellana gelesen, der ihn auf einem kleinen Kanu von Peru als erster
hinabgefahren in der denkwürdigsten aller Reisen – seit Kindheitstagen, da
man in dem Tiergarten die Papageien sah, die dort im Glast ihrer Farben
prunkten, und die geschwinden Ă„ffchen, und an dem Schilde stand:
Amazonas! Nun ist man an seiner MĂĽndung oder vielmehr: einer seiner
Mündungen, deren jede mächtiger ist als alle unserer Flüsse.
Belém selbst ist zuerst nicht so eindrucksvoll wie man erwartet, weil es
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen StraĂźen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf SĂŁo Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug ĂĽber den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197