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Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990
reichischen Regierung in der Berlin-Frage stimmt mit derjenigen der Bundesregierung
überein. Die Errichtung der Berliner Mauer hat die Abneigung der österreichischen
Bevölkerung gegen das SBZ-Regime und den Kommunismus ganz erheblich verstärkt.
Presse, Rundfunk und Fernsehen in Österreich bringen immer wieder ausführliche Be-
richte über die Mauer und das zweigeteilte Berlin, wobei sie mit scharfer Kritik an dem
Zonenregime nicht zurückhalten.“78
Der politische Jahresbericht der westdeutschen Botschaft in Wien aus dem Jahre
1965 zeugt von einer fortgesetzten positiven Wertung der österreichischen Hal-
tung. So bestimmt wie optimistisch und zuversichtlich hielt man fest: „Es un-
terliegt keinem Zweifel, dass Österreich die deutsche Wiedervereinigung nach
Kräften unterstützen würde, wenn sich einmal eine konkrete Lösungsmöglich-
keit abzeichnet.“ Als „besonderes Aktivum“ für die bundesdeutsche Außen
politik
wertete man die „freimütigen Äusserungen“, die Außenminister Kreisky in seinen
offiziellen Gesprächen mit Vertretern sozialistischer Staaten tätigte. Stets betonte
er die große wirtschaftliche, kulturelle und politische Bedeutung der Bundesrepu-
blik sowie die sich gut entwickelnden freundschaftlichen Beziehungen zwischen
Wien und Bonn: „Es gäbe keine Ressentiments und Reminiszenzen und es sei
selbstverständlich, dass Österreich der friedlichen Wiedervereinigung Deutsch-
lands grosse Aufmerksamkeit schenke.“79
Wie weit dies letztendlich seiner innersten Überzeugung entsprach, ist schwer
zu entscheiden. Seine Stellungnahmen waren jedenfalls eindeutig. Im Gespräch
mit dem ungarischen Außenminister János Péter am 9. April 1965 führte Kreisky
aus: „Der österreichischen Auffassung zufolge würde es zu einer vollkommenen
Stabilisierung in Europa kommen, wenn die beiden Teile Deutschlands vereinigt
werden würden. Das würde eine Spannung beseitigen.“80 Zur Frage der Anerken-
nung der DDR hielt er, nachdem er zuerst zu den Handelsbeziehungen gesprochen
hatte, in aller Deutlichkeit fest:
„Ich hoffe, Herr Minister, dass ich hier offen und klar war. Die österreichische Regie-
rung sieht in dieser Hinsicht vollkommen klar, und zwar nicht nur aus einer politischen
Überzeugung heraus, sondern auch aus einem anderen Grund: Die Beziehungen zur
BRD sind für Österreich wichtiger, bedeutungsvoller und interessanter als die Bezie-
hungen zur DDR. Wenn ich sehe, dass die Beziehungen mit der BRD gefährdet wären,
wenn ich ähnliche zur DDR aufnehmen würde, dann sagt uns der Opportunismus, dass
wir eben kein solches Risiko in Kauf nehmen dürfen. Das ist unsere realistische Basis. Es
kommt uns gar nicht in den Sinn, irgendein diplomatisches oder para-diplomatisches
Verhältnis mit der DDR aufzunehmen. Wir denken nicht einmal darüber nach, das hat
nichts mit politischer Solidarität mit der BRD zu tun.“81
78 Ebd.
79 Politischer Jahresbericht der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Wien 1965, PA /
AA, B 26, B. 314.
80 Gesprächsprotokoll Kreisky – Péter, Wien, 9. April 1965 ÖStA, AdR, Bundesministerium für
Auswärtige Angelegenheiten (BMAA), II-Pol 1965, Ungarn 2, Gr.Zl. 130.292–6/65.
81 Ebd.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99