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Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990
hinsichtlich des künftigen militärischen Status’ Deutschlands gehalten waren,
gleichzeitig war der „Link“ zwischen der NATO-Mitgliedschaft Deutschlands
und deutscher Wirtschaftshilfe für die Sowjetunion offensichtlich. Schwierig-
keiten sah man auf Gorbatschow bei der internen Argumentation und Durch-
setzung dieses Pakets zukommen. Man erwartete, dass dem Generalsekretär
„Nachgiebigkeit“ und „leichtfertige Konzessionen“ vorgeworfen werden würden.
Auch Putschgerüchte kursierten in diesem Zusammenhang. Nach Ansicht der
Botschaft hing die tatsächliche Umsetzung der getroffenen Vereinbarungen „in
einem großen Maße auch vom Takt und Fingerspitzengefühl der Deutschen selbst
in den kommenden Tagen und Wochen“ ab.377 Auch der Leiter der Ostabteilung
Sucharipa vertrat die Ansicht, dass eine innenpolitische Absicherung der Ver-
handlungsergebnisse „von der weiteren Reaktion im Westen abhängen“ würde.
Ein potentiell schädliches zu „lautes Triumphieren“ erwartete er aber „angesichts
des deutschen ‚Alleinganges‘“ nicht.378 Damit hatte er Recht.
Die österreichische Botschaft in Washington berichtete, dass die USA die er-
zielte Einigung inhaltlich zwar begrüßen, jedoch gerne bei den entscheidenden
Gesprächen mitgeredet hätten. Dies führte auch dazu, dass umgehend Über-
legungen zum künftigen deutsch-sowjetischen Verhältnis angestellt wurden.379
Sucharipa, der die Einigung vom Kaukasus auch als Zeichen für „eine künftige
Eigenständigkeit deutscher Außenpolitik“ interpretierte, sah das Ergebnis als
„gelungene ‚Realpolitik‘“ an.380 Für die Westabteilung des Ballhausplatzes stand
nach Auflistung der für alle Seiten Positives beinhaltenden Ergebnisse fest, „daß
die Vereinigung der beiden deutschen Staaten noch vor Jahresende Wirklichkeit“
würde. „Für Österreich“ – so Abteilungsleiter Plattner – „wird u. a. von Interesse
sein, welche Auswirkungen die Bemühungen der westeuropäischen Staaten um
die feste ‚Westbindung‘ Deutschlands auf die Entwicklung der EG (Vertiefung,
Europäische Union!) haben werden“.381
Das dritte „Zwei-plus-Vier“-Außenministertreffen hatte am Tag nach der Eini-
gung von Archys am 17. Juli in Paris stattgefunden, wo nun auch viele wichtige
Details gelöst werden konnten. Nun stand endgültig fest, dass die „Zwei-plus-
Vier“-Regelung einen Friedensvertrag ersetzen würde, wodurch laut erleich-
terter Auskunft des Auswärtigen Amts auch die Frage möglicher Reparationen
vom Tisch war.382 Daraufhin galt es, binnen kürzester Frist den deutschen Eini-
gungsvertrag fertig zu stellen, den „Zwei-plus-Vier“-Prozess abzuschließen und
umgehend mit den Verhandlungen über ein umfangreiches deutsch-sowjeti-
sches Vertragswerk sowie die entsprechenden deutschen Wirtschaftshilfen an die
Sowjetunion zu beginnen. Der Gesamtkomplex war kaum zu überblicken und
377 Siehe Dok. 161.
378 Siehe Dok. 163.
379 Siehe Dok. 164
380 Siehe Dok. 163.
381 Siehe Dok. 162.
382 Siehe Dok. 166.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99