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17.7.1990: Bericht Botschafter Grubmayr und Gesandter Sajdik
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Dok. 161
2. „Link“ zwischen Konzession hinsichtlich NATO-Mitgliedschaft und deutscher
Wirtschaftshilfe an SU
Die sowjet. Kommentare zum „G7“-Treffen von Houston6 waren im wesentlichen
kritisch zur Frage, ob die SU „ein westl. Milliardenhilfe für die Perestrojka“ über-
haupt akzeptieren soll. Am prononciertesten formulierte diese Haltung der be-
kannte „Iswestija“-Kommentator Bowin,7 der Zweifel äußerte, dass die UdSSR der-
zeit überhaupt reif für eine massive wirtschaftl. Unterstützung durch den Westen
sei. Bowin polemisierte dabei gegen die deutsche Bereitschaft, die UdSSR ökono-
misch zu unterstützen, da die BRD in seinen Augen nur rein politische Ziele im
Zusammenhang mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten verfolge.
Gorbatschow steht nun vor dem Dilemma, wie er den „Link“ zwischen Wirt-
schaftshilfe und NATO-Mitgliedschaft eines vereinigten Deutschlands sowjetin-
tern „verkauft“. Verstärkt wird diese Problematik durch die Tatsache, dass ein
Vertrag über die langfristige Regulierung der deutsch-sowjet. Beziehungen, der
auch wirtschaftl. Aspekte umfassen soll, erst nach der Vereinigung abgeschlos-
sen wird. Gorbatschow wird sich dem Argument stellen müssen, dass er – aber-
mals – zu leichtfertig Konzessionen gemacht hat, ohne adäquate Zusicherungen
erhalten zu haben.
3. Sowjet. „decision-making“ im Matchinterregnum?
In seiner Rede vor dem 28. Parteitag erklärte Ex-Politbüromitglied Lew Saikow,8
dass alle wesentlichen außen- und rüstungspolit. Entscheidungen der letzten Zeit
von einer für diese Fragen zuständigen Sonderkommission des Politbüros der
KPdSU getroffen worden seien. Diesem Gremium gehörten die führenden Au-
ßenpolitiker, Militärs und der KGB an. Inwieweit unter den gegenwärtigen Be-
dingungen – Verteidigungsminister Jasow9 ist im übrigen krank und glänzt seit
einiger Zeit durch Abwesenheit von der polit. Bühne – die sowjet. Konzession
hinsichtlich einer NATO-Mitgliedschaft Deutschlands von allen diesen Pfeilern
der sowjet. Realverfassung mitgetragen werden [sic!], lässt sich nicht ergrün-
den. (Schewardnadse, Jasow und Krjutschkow10 gehören bekanntlich dem neuen
KPdSU-Politbüro nicht an.) Eine Tagung des Präsidentschaftsrates ist erst für
kommenden Donnerstag angesetzt, wie mir dessen Mitglied, Prof. Schatalin,11
gestern mitteilte.
6 Der Weltwirtschaftsgipfel (G7-Gipfeltreffen) fand vom 9. bis 11. Juli 1990 in Houston, Texas statt.
7 Alexander Bowin, Politischer Kommentator der sowjetischen Tageszeitung Iswestija (1972–
1991), siehe Personenregister mit Funktionsangaben.
8 Lew Saikow, Mitglied des Politbüros des ZK der KPdSU (März 1986 – Juli 1990), siehe Per-
sonenregister mit Funktionsangaben.
9 Dmitri Jasow, Minister für Verteidigung der UdSSR (1987–1991), siehe Personenregister mit
Funktionsangaben.
10 Wladimir Krjutschkow, Leiter des KGB (1988–1991), siehe Personenregister mit Funktions-
angaben.
11 Stanislaw Schatalin, Mitglied des Präsidialrats (März – Dezember 1990), siehe Personenregis-
ter mit Funktionsangaben.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99