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20.9.1990: Abschlussbericht Botschafter Bauer
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Dok. 173
Dok. 173: Bericht: 4 ½ Jahre in Bonn. Versuch eines Ausblicks, 20.9.1990
Botschafter Friedrich Bauer an BMAA, Bonn, 20. September 1990, Zl. 438-RES/90, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1990,
GZ. 502.01.19/10-II.1/901
4 ½ Jahre Bonn; Versuch eines Ausblicks
Die essentiellen Grundzüge der österreichischen und deutschen Ostpolitik, ins-
besonders im Rahmen der KSZE, sind fast kongruent. Dafür mag man viele Er-
klärungen finden. Hauptgrund scheint mir zu sein, dass sich sowohl die Partner
der großen Koalition in Österreich als auch Regierungsparteien und SPD-Opposi-
tion über die elementaren Erfordernisse der außenpolitischen Zielsetzungen einig
sind.
So gibt es zwischen Österreich und der BRD immer wieder Auseinanderset-
zungen „nur“ mit wirtschaftlichem Hintergrund: atomare Wiederaufbereitungs-
anlage Wackersdorf,2 Giftmüllschiff Petersberg,3 Nachtfahrverbot und Schwer-
LKW-Transit.4
Allen Konfliktthemen ist gemeinsam, dass sich nach raschem Aufbau des Kon-
fliktpotentials über die Printmedien – mit Ausnahme des Schwer-LKW-Transits
1 Der Abschlussbericht Botschafter Bauers wurde im BMAA von der Abteilung II.1 in Bear-
beitung genommen, Abteilungsleiter Gesandter Johann Plattner veranlasste am 27. September
1990 seine Weiterleitung an die österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland gemäß
Liste „KSZE“. In der Abteilung II.1 zeichnete zudem Gesandter Marius Calligaris am 26. und
28. September 1990 ab.
2 Das seit 1985 in Bau befindliche Wiederaufbereitungslager Wackersdorf rief nicht nur in
der Bundesrepublik umfassende Proteste seitens der Anti-Atombewegung hervor, sondern
führte auch zu bilateralen Verstimmungen mit seinen Nachbarstaaten. Der Auftritt der öster-
reichischen Umweltministerin Marilies Flemming, die die bereits zuvor eingelangten 453.000
Einwendungen aus Österreich mit ihrem persönlichen Auftreten am 22. Juli 1988 bei einem
Verhandlungstermin in Bayern unterstrich, veranlasste die Bundesrepublik die weiteren Ver-
handlungen mit Österreich über ein Abkommen zur Regelung von Fragen gemeinsamen In-
teresses im Zusammenhang mit kerntechnischen Anlagen vorübergehend auszusetzen, bis die
öffentlich verkündete Klagsdrohung seitens Flemming zurückgenommen werde. Siehe dazu
bereits Dok. 11, Anm. 6 und 7.
3 Siehe dazu bereits Dok 34, Anm. 3.
4 Siehe dazu bereits Dok. 11, Anm. 8. Die in den 1980er-Jahren stetig steigende Belastung durch
den alpenquerenden Verkehr, insbesondere den Schwerverkehr, führte 1990 zu einem „Tran-
sitkrieg“ zwischen den betroffenen westösterreichischen Bundesländern Tirol, Salzburg und
Vorarlberg sowie dem Freistaat Bayern auf der anderen Seite. Auslöser für die Eskalation
des Konfliktes war die notwendig gewordene Sperrung der einsturzgefährdeten Kufsteiner
Autobahnbrücke Anfang Juli 1990, wodurch sich der Verkehr auf die Inntalroute in Richtung
Brenner verlagerte. Italien folgte mit der Sperrung sämtlicher Transitübergänge zu Österreich
für den Schwerverkehr. Vgl. Der Spiegel Nr. 35, 27. August 1990. Eine vorläufige Lösung des
Transitproblems erfolgte mit Unterzeichnung des Transitvertrages 1992 zwischen Österreich
und den EG, siehe Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Europäischen Wirt-
schaftsgemeinschaft über den Güterverkehr im Transit auf der Schiene und der Straße samt
Anhängen I bis X, BGBl. Nr. 823/1992.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99