Page - 35 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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und performativen Grenzsituationen (die Brecht thematisch beschäftigen wer-
den) und wirft anthropologische sowie psycho- und körperkulturelle Fragen
auf, denen sich Musil widmen wird. Als „Diskurskonfiguration“25 reicht es über
die engen Bezirke des Normativen (etwa der Faustkampfverhaltenslehren) und
Faktischen hinaus (der jeweiligen Boxveranstaltungen mit ihren Ökonomien
von Sieg und Niederlage; den Dokumentationen von Kampfverläufen, Runden-
zahlen und Erfolgsbilanzen) und dringt in konkrete Lebenswelten.
Boxen eröffnet diskursive Möglichkeiten in umfassendem Sinn: Körpertech-
nologien; Selbstregulierungsmechanismen; Duellsituationen, die neue Austra-
gungsorte und -formen gesellschaftlicher Konfliktfelder sichtbar werden las-
sen; Boxen lässt sich weiter als selbsttechnologische Subjektivierungspraktik
begreifen. Der Boxer wählt Techniken, um „aus eigener Kraft oder mit Hilfe
anderer eine Reihe von Operationen an seinem Körper oder seiner Seele, sei-
nem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise“26 vorzunehmen; er
wendet Wissensarten „individueller Beherrschung“27 an, zur Erlangung einer
Art „Kontrollmentalität“28. Boxer unterwerfen sich freiwillig dem Diktat der
Selbst-Bezwingung. Mit Foucault lässt sich diese Selbstbestimmungslogik als
„Dressurarbeit“29 verstehen. In Überwachen und Strafen schreibt Foucault: „Sie
legt die Kräfte nicht in Ketten, um sie einzuschränken; sie sucht sie allesamt
so zu verbinden, dass sie vervielfältigt und nutzbar gemacht werden.“30 In der
Denkfigur des dispositiven Netzes, in das unterschiedliche Diskurse und Praxen
eingeflochten sind, lässt sich Boxen neu in den Blick nehmen.31
2.
Eingrenzungen:
Foucaults
Dispositivraum
In der französischen Umgangssprache wird „Dispositiv“ weitestgehend in drei
Bedeutungen verwendet: in juristischer (als Teil eines Urteils oder Gesetzes),
technischer (als Beschreibung der Anordnung der Teile einer Maschine; in me-
25 Gamper 2003, S. 45
26 Foucault 1993, S. 26
27 Ebd., S. 27
28 Ebd.
29 Foucault 1977a, S. 381
30 Ebd., 220
31 Mit Pierre Bourdieu lässt sich die vorgeschlagene Methode untermauern; in dem Essay Pro-
gramm für eine Soziologie des Sports schreibt Bourdieu: „Statt sich damit zufriedenzugeben, einen
kleinen Sektor der Realität gründlich zu kennen, aber nicht zu wissen, in welchen größeren
Rahmen er hingehört“, so Bourdieu, müsse alles daran gesetzt werden, einen „Grundriss des
betrachteten Raums in seiner Gesamtheit“ zu entwerfen, vgl. Bourdieu 1992, S. 193 35
Vorstellung
der
Methode:
Dispositiver
Gefechtsraum |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440