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bricht ein regelrechtes âBoxfieberâ155 aus: Es grassiert das nach den jeweiligen
Boxakteuren benannte âBreitenstrĂ€ter- oder Prenzelfieberâ156. Emil Faktor er-
hebt in KrÀftespiel den Anspruch auf Sensationen:
Wir Menschen des Jahres 1924 fĂŒhlen uns durch die Erlebnisse des verflossenen
Jahrzehntes vielfach verbraucht und leisten Lockungen des Interesses Widerstand.
Wir wollen, wenn wir vom Alltag abbiegen, nur starken und stÀrksten Suggestio-
nen uns hingeben, die uns in der Stundenzahl, die wir opfern, ĂŒber die FatalitĂ€t des
Daseins völlig hinaus heben. Wir suchen Selbstvergessenheit.157
Boxsportliche ZusammenhÀnge tauchen nahezu epidemisch in Literatur und
Journalismus auf: 1928 macht der Querschnitt fĂŒr Max Schmelings Erfolge ein
âKnockout-Rezeptâ158 aus; der Komponist Kurt Weill schreibt 1927 eine euphori-
sierte Reportage ĂŒber die Boxszene159; eine Berliner Sportfirma warnt vor Nach-
bildungen ihrer âOhrenschĂŒtzer zum Trainingâ160; Schauspielerinnen posieren fĂŒr
Pressefotos in Kampfpose161; Boxer besprechen Schallplatten, treten in Filmen auf
und machen Werbung162; die Deutsche Reichsbahn eröffnet selbststÀndige Boxab-
teilungen163; Zeitungen verschicken an ihre Abonnenten Unterrichtsbehelfe zum
schrittweisen Erlernen des Sports164: âJedermann ein Boxerâ165, so das Motto der
Aktion. Max Schmeling bettelt in einer gereimten Geburtstagsnote fĂŒr den Ak-
teur und Regisseur Fritz Kortner geradezu darum, als ein Mann von grundseriöser
Erscheinung wahrgenommen zu werden: âUnd es macht mich oft traurig, dass
ich manches verstehe, aber als / Boxer nicht verstehen soll und darf. Schade.â166
Der Berliner Autor Heinrich Hauser schwÀrmt 1931 wÀhrend des Besuchs einer
Autofabrik im Norden der USA: âDie Arbeiter laufen bei der Arbeit mit, oft rĂŒck-
wÀrts gewandt. Es entsteht daraus ein fast sportlicher Eindruck, so etwas wie von
der âBeinarbeitâ eines Boxers.â167 Kortner, dem Schmeling gereimte Geburtstags-
155 Behrendt 1990, S. 85
156 Pawlowski 1990, S. 102; vgl. Marcus 2013, S. 144
157 Faktor 1994, S. 228
158 Meisl 1928a, S. 122
159 Vgl. Weill 1990, S. 255
160 Zit. n. Berg 1995, S. 138
161 Vgl. Rase 2003, S. 121
162 Vgl. Repplinger 2008, S. 78; Schmeling 1956, S. 26
163 Vgl. Sigleur 1940, S. 118
164 Vgl. N. N. 1927, S. 1; N. N. o. J., S. 19
165 N. N. 1927, S. 1
166 Schmeling 1928, S. 70
167 Hauser 1931, S. 231
68 | Teilï»ż
I.ï»ż
Zeitzeichenï»ż
Boxen
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂŒberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂŒckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und NebenschauplÀtze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten ErzÀhlliteratur 160
- âZeitfigurâ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440