Page - 133 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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auftreten. Die offene These, wonach die Boxerfigur durch die Dialektik von An-
ziehung und Abstoßung an massenwirksamer Attraktivität gewinne, wird durch
Tier-, Mechanik- und Körpermetaphern gestützt: Sprachliche Übertragungen
mit einem Maximum an symbolischer und allegorischer Bedeutung finden sich
in den trivialboxerischen Schriften häufig. Seinen Reiz auf Hunderttausende Le-
ser gewinnt das trivialliterarische Schreiben über Boxen aus jenen Umspringbil-
dern, die wie am Fließband kreiert werden.138 In der Absicht, ein dialektisches
Spannungsfeld zu eröffnen, werden Boxer zugleich als Akteure dargestellt, deren
sportliches Agieren sich in den konservativ unterfütterten Wertekanon von bür-
gerlicher Tugendhaftigkeit und Bescheidenheit, Moral und Order, Toleranz und
Gerechtigkeit einfügt. In seiner populären Schrift Meine Methode des Boxens be-
hauptet der französische Boxer Georges Carpentier, dass das „Leben eines Boxers
das reinste und moralischste ist oder wenigstens sein sollte, wenn er wirklich auf
Erfolg bedacht“139 sei. „Der gewissenhafte Boxer ist ein wohlerzogener, anstän-
diger Mensch, ein Gentleman und eine Zierde seiner Nation.“140 Hans Natonek
weist in Bruder Boxer darauf hin, dass es im Boxring so moralisch wie „objek-
tiv“141 zugehe. Der Versuch, die Typologie des Boxens metaphorisch aufgefächert
vorzuführen, ist von diametral angelegten Beschreibungs- und Körpercodes ge-
prägt142: Die trivialliterarische Rede definiert die Gestalt des Boxers einerseits
als Mann, der „eisenharte Muskeln, aber wenig ‚brain‘“143 besitze, als einen des
Lesens kaum mächtigen „Dickschädel“144 und „Eisblock“145 – man fürchtet ge-
radezu, der „Neandertalermensch“146 treibe erneut sein Unwesen; andererseits
erscheint der Faustkämpfer glorifiziert als „Kopfboxer“147, „Naturboxer“148 und
138 Auch die elaborierte Literatur greift darauf bisweilen darauf zurück: Hilflos „wie ein Knabe“
steht Dempsey, der „Meister aller Klassen, aller Kontinente“, in Paul Zechs Ballade von dem
großen Boxer Jack Dempsey nach dem Kampf im Boxsportring, vgl. Zech 1956, S. 365
139 Vgl. Carpentier 1996, S. 150
140 Ebd., S. 151
141 Natonek 1994, S. 230
142 Ein Beispiel strikter Distinktion gibt Noel Calef in den 1960er-Jahren: „Für Boxergeschichten
gibt es zwei Fassungen: einmal ist es ein gigantischer Holzhackertyp, stark wie ein Türke, den
ein gewitzter Manager im Wald entdeckt hat, das andere Mal ein kleiner Junge, der einem Profi
bei einer Rauferei aufgefallen ist.“ (Calef 1965, S. 5)
143 Sigleur 1940, S. 17
144 Ebd., S. 56
145 Ebd.
146 Hollaender 1927, S. 267
147 Sigleur 1940, S. 56
148 Wohlbrück 1921, S. 328; Budd Schulberg greift Ende der 1960er-Jahre in der auf Anfang der
1920er-Jahre datierten Erzählung Ausgesorgt auf das Arsenal der doppeldeutigen Boxerbeschreibun-
gen zurück: „blöder Holzkopf“ – „Publikumsliebling und K.O.-Künstler“ (Schulberg 1969, S. 159) 133
Kraft-
und
Körperkulte:
Boxsport-Mode
im
Unterhaltungsroman
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440