Page - 134 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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„Wunderwerk der Natur“149, als „reines Kind“150 und großer „Junge“151. Diese
Umspringbilder diffundieren dabei propagandistisch bis in die zeitgenössische
Jugendbuchliteratur. Theos Vater in W. K. von Noharas Roman Theo boxt sich
durch kommentiert einen Zeitungsartikel, ohne zu wissen, dass sein Sohn verbo-
tenerweise Boxunterricht nimmt. „Boxen ist das Pöbelhafteste und Unmensch-
lichste, das mir jemals begegnet ist. Wenn zwei Fleischklöße sich gegenseitig die
Nase blutig schlagen – soll das etwa schön sein? Der Vater tobte fürchterlich.“152
Als Theo jedoch erste Meriten als Boxer erwirbt, ändert der Vater sprunghaft
seine Ansichten und beschwört die gesundheitlichen und tugendhaften Werte
des Sports153: Es scheine, so das Familienoberhaupt,
heute eine große Ehre zu sein, wenn man einen Jungen hat, der boxen kann. […]
Ja, so ist es wohl;
wir haben zu unserer Zeit Kegel geschoben oder sind auf die Jagd
gegangen;
heute läuft man oder man spielt Tennis oder man boxt. Wenn man sich’s
recht überlegt, ist das Boxen harmloser als die Jagd auf arme kleine Vögel, die sich
nicht wehren können; jedenfalls ist es gesünder und anstrengender als Kegeln.154
Im Bannkreis des Boxens bedingen sich nicht nur hier Hautgout und Faszina-
tion im Gitter kultureller Codes. Der rote Faden boxerischer Brutalitätsmuster
wird von emphatisch-positiver Positionierung durchschnitten. Auf weiterfüh-
rende Psychologisierung und diskursive Brückenschläge wird im Boxerroman
weitestgehend verzichtet – die Flut an wiederkehrenden Metaphern füllt diese
Lücke. Die Darstellung des Boxens erschöpft sich in der Beschreibung von
sinnbildlichen Restbeständen.
3.
Wirkungslose
Signalmomente:
Körpertechnisierung
In der Figur des Faustkämpfers wird im populären Schreiben auch die im End-
effekt in die Leere laufende Funktionalisierung des Körperlichen verdeutlicht.
Präzise wie die „feinste Maschine arbeitet das Hirn des Boxers“155, mit beson-
derer Sachkenntnis werden Arme und Beine eines Sportlers, ein „entseelter
149 Wohlbrück 1921, S. 336
150 Hellwig 1931, S. 95
151 Ebd.
152 Nohara o. J., S. 7
153 Vgl. ebd., S. 56
154 Ebd., S. 22f
155 Hollaender 1927, S. 260ff
134 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440