Page - 136 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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seine Glieder sind wie von einem „hartgeschmiedeten Muskelpanzer“172 um-
geben. Im Boxerimago überlagern sich die Bilder vom Boxer als einem Tech-
niker mit übersteigerter Leistungsbereitschaft und einem Virtuosen von Diszi-
plinierung und Willensbeherrschung.173 Der Boxer erscheint als „ganzer Kerl.
Groß, schlank, elegant“174, als Produzent körperplastischer Sensation: „robuste,
muskelbepackte Körper“175. Die Konfrontation im Ring, die bereitwillig auf die
Bewährungssituation im Lebenskampf übertragen wird, typisiert die Ringak-
teure schließlich als überdeterminierte Kunstfiguren: Die „geformte Kraft, der
kommandierte Muskel“176 dominieren die Vorstellungen vom Boxen; es gilt, die
„Buchstaben vom Alphabet der Boxkunst“177 zu deuten, merkt Jack London
bereits 1911 in der Erzählung Der Mexikaner Felipe Rivera an. In der Trivi-
alliteratur mit ihren diskursiv unverbundenen, gleichsam additiv kompilierten
Körpervorstellungen, welche die Fragen nach Selbstsorge und Selbsttechnolo-
gie generös vernachlässigen, erscheint der Körper nur mehr passiv als Effekt
– als ein Produkt und prozesshafter Gegenstand. Der Körper, nach Foucault
ein Ort der Einschreibung von Geschichte, bleibt seltsam unberührt (trotz des
gewaltigen Arsenals an beschreibenden Worten, die aufgewendet werden). Auf
dem Feld der Unterhaltungsliteratur bleibt der Körper daher selbst in den Trai-
ningsfolterkammern nahezu verschont, wie im folgenden Kapitel ausgeführt
werden wird: Die körperliche Erscheinung der Sportler wird keineswegs von
diskursiven Interdependenzen geformt, sondern – wie bei der Musterung der
Haupt- und Nebenschauplätze des Boxens bereits ausgeführt – nach Maßgabe
der literarischen Inszenierung des Boxens als modernem Sport.
4.
Trugbilder
der
Körper-
und
Menschendurchformung
durch
Training
Im Code des trivialliterarisierten Boxens reichen die Attribute Trainingsschliff
und Körperkonturierung aus, um den neuen, maschinenartigen Menschen fest-
zumachen: Die Bilder des körpertechnisierten Boxsportlers setzen bestimmte
Sehnsüchte nach Alltags(er)leben und Sportspezialistentum analog, wobei hier
wie da versucht wird, Kontingenz durch die Verbesserung der physischen Kon-
stitution und den psychischen Dispositionen weitestgehend auszuschließen. Im
172 Sigleur 1940, S. 10
173 Vgl. Hollaender 1927, S. 252f; Schievelkamp 1920, S. 204
174 Schievelkamp 1920, S. 29
175 Uzarski 1930, S. 53
176 Brentano 1981a, S. 48
177 London 1960, S. 19
136 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Title
- FAUST UND GEIST
- Subtitle
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Author
- Wolfgang Paterno
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Size
- 16.1 x 25.5 cm
- Pages
- 446
- Keywords
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440